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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.

Eine prächtig gewölbete Erhobenheit der Brust wurde an Männli-g Der Flächen,
als der Brust
und des Unter-
leibes; ingl.
der Schaam
und der Knie.

chen Figuren für eine allgemeine Eigenschaft der Schönheit gehalten, und
mit solcher Brust bildet sich der Vater der Dichter den Neptunus 1), und
nach demselben den Agamemnon; so wünschte Anacreon 2) dieselbe an dem
Bilde dessen, den er liebte, zu sehen. Die Brust oder der Busen Weiblicher
Figuren ist niemals überflüßig begabet: denn überhaupt wurde die Schön-
heit in dem mäßigen Wachsthume der Brüste gesetzet, und man gebrauchte
einen Stein aus der Insel Naxus 3), welcher fein geschabet und aufgelegt,
den aufschwellenden Wachsthum derselben verhindern sollte. Eine jung-
fräuliche Brust wird von Dichtern 4) mit unreifen Trauben verglichen,
und an einigen Figuren der Venus unter Lebensgröße, sind die Brüste ge-
drungen und Hügeln ähnlich, die sich zuspitzen, welches für die schönste
Form derselben scheinet gehalten worden zu seyn.

Der Unterleib ist auch an Männlichen Figuren, wie derselbe an einem
Menschen nach einem süßen Schlaf, und nach einer gesunden Verdauung
seyn würde, das ist, ohne Bauch, und so wie ihn die Naturkündiger 5)
zum Zeichen eines langen Lebens setzen. Der Nabel ist nachdrücklich ver-
tieft, sonderlich an Weiblichen Figuren 6), an welchen er in einen Bogen,
und zuweilen in einen kleinen halben Cirkel gezogen ist, der theils nieder-
werts, theils aufwerts gehet, und es findet sich dieses Theil an einigen
Figuren schöner, als an der Mediceischen Venus, gearbeitet, an welcher der
Nabel ungewöhnlich tief und groß ist.

Auch
1) Die Brust war dem Neptunus gewidmet, und wir finden die Köpfe desselben auf allen
geschnittenen Steinen bis unter die Brust, welches bey andern Gottheiten nicht
so gewöhnlich ist.
*) conf. Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 102.
2) conf. Casaub. ad Athen. Deipn. L. 15. p. 972. l. 40.
3) Dioscor. L. 5. c. 168.
4) Theocrit. Idyl. 11. v. 1. Nonn. Dionys. L. 1. p. 4. l. 4. p. 15. l. 9.
5) Baco Verul. Hist. vit. & mort. p. 174.
6) conf. Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l. 7.
Von der Kunſt unter den Griechen.

Eine praͤchtig gewoͤlbete Erhobenheit der Bruſt wurde an Maͤnnli-γ Der Flaͤchen,
als der Bruſt
und des Unter-
leibes; ingl.
der Schaam
und der Knie.

chen Figuren fuͤr eine allgemeine Eigenſchaft der Schoͤnheit gehalten, und
mit ſolcher Bruſt bildet ſich der Vater der Dichter den Neptunus 1), und
nach demſelben den Agamemnon; ſo wuͤnſchte Anacreon 2) dieſelbe an dem
Bilde deſſen, den er liebte, zu ſehen. Die Bruſt oder der Buſen Weiblicher
Figuren iſt niemals uͤberfluͤßig begabet: denn uͤberhaupt wurde die Schoͤn-
heit in dem maͤßigen Wachsthume der Bruͤſte geſetzet, und man gebrauchte
einen Stein aus der Inſel Naxus 3), welcher fein geſchabet und aufgelegt,
den aufſchwellenden Wachsthum derſelben verhindern ſollte. Eine jung-
fraͤuliche Bruſt wird von Dichtern 4) mit unreifen Trauben verglichen,
und an einigen Figuren der Venus unter Lebensgroͤße, ſind die Bruͤſte ge-
drungen und Huͤgeln aͤhnlich, die ſich zuſpitzen, welches fuͤr die ſchoͤnſte
Form derſelben ſcheinet gehalten worden zu ſeyn.

Der Unterleib iſt auch an Maͤnnlichen Figuren, wie derſelbe an einem
Menſchen nach einem ſuͤßen Schlaf, und nach einer geſunden Verdauung
ſeyn wuͤrde, das iſt, ohne Bauch, und ſo wie ihn die Naturkuͤndiger 5)
zum Zeichen eines langen Lebens ſetzen. Der Nabel iſt nachdruͤcklich ver-
tieft, ſonderlich an Weiblichen Figuren 6), an welchen er in einen Bogen,
und zuweilen in einen kleinen halben Cirkel gezogen iſt, der theils nieder-
werts, theils aufwerts gehet, und es findet ſich dieſes Theil an einigen
Figuren ſchoͤner, als an der Mediceiſchen Venus, gearbeitet, an welcher der
Nabel ungewoͤhnlich tief und groß iſt.

Auch
1) Die Bruſt war dem Neptunus gewidmet, und wir finden die Koͤpfe deſſelben auf allen
geſchnittenen Steinen bis unter die Bruſt, welches bey andern Gottheiten nicht
ſo gewoͤhnlich iſt.
*) conf. Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 102.
2) conf. Caſaub. ad Athen. Deipn. L. 15. p. 972. l. 40.
3) Dioſcor. L. 5. c. 168.
4) Theocrit. Idyl. 11. v. 1. Nonn. Dionyſ. L. 1. p. 4. l. 4. p. 15. l. 9.
5) Baco Verul. Hiſt. vit. & mort. p. 174.
6) conf. Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l. 7.
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[183/0233] Von der Kunſt unter den Griechen. Eine praͤchtig gewoͤlbete Erhobenheit der Bruſt wurde an Maͤnnli- chen Figuren fuͤr eine allgemeine Eigenſchaft der Schoͤnheit gehalten, und mit ſolcher Bruſt bildet ſich der Vater der Dichter den Neptunus 1), und nach demſelben den Agamemnon; ſo wuͤnſchte Anacreon 2) dieſelbe an dem Bilde deſſen, den er liebte, zu ſehen. Die Bruſt oder der Buſen Weiblicher Figuren iſt niemals uͤberfluͤßig begabet: denn uͤberhaupt wurde die Schoͤn- heit in dem maͤßigen Wachsthume der Bruͤſte geſetzet, und man gebrauchte einen Stein aus der Inſel Naxus 3), welcher fein geſchabet und aufgelegt, den aufſchwellenden Wachsthum derſelben verhindern ſollte. Eine jung- fraͤuliche Bruſt wird von Dichtern 4) mit unreifen Trauben verglichen, und an einigen Figuren der Venus unter Lebensgroͤße, ſind die Bruͤſte ge- drungen und Huͤgeln aͤhnlich, die ſich zuſpitzen, welches fuͤr die ſchoͤnſte Form derſelben ſcheinet gehalten worden zu ſeyn. γ Der Flaͤchen, als der Bruſt und des Unter- leibes; ingl. der Schaam und der Knie. Der Unterleib iſt auch an Maͤnnlichen Figuren, wie derſelbe an einem Menſchen nach einem ſuͤßen Schlaf, und nach einer geſunden Verdauung ſeyn wuͤrde, das iſt, ohne Bauch, und ſo wie ihn die Naturkuͤndiger 5) zum Zeichen eines langen Lebens ſetzen. Der Nabel iſt nachdruͤcklich ver- tieft, ſonderlich an Weiblichen Figuren 6), an welchen er in einen Bogen, und zuweilen in einen kleinen halben Cirkel gezogen iſt, der theils nieder- werts, theils aufwerts gehet, und es findet ſich dieſes Theil an einigen Figuren ſchoͤner, als an der Mediceiſchen Venus, gearbeitet, an welcher der Nabel ungewoͤhnlich tief und groß iſt. Auch 1) Die Bruſt war dem Neptunus gewidmet, und wir finden die Koͤpfe deſſelben auf allen geſchnittenen Steinen bis unter die Bruſt, welches bey andern Gottheiten nicht ſo gewoͤhnlich iſt. *⁾ conf. Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 102. 2) conf. Caſaub. ad Athen. Deipn. L. 15. p. 972. l. 40. 3) Dioſcor. L. 5. c. 168. 4) Theocrit. Idyl. 11. v. 1. Nonn. Dionyſ. L. 1. p. 4. l. 4. p. 15. l. 9. 5) Baco Verul. Hiſt. vit. & mort. p. 174. 6) conf. Achil. Tat. Erot. L. 1. p. 9. l. 7.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/233>, abgerufen am 26.11.2024.