Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sie hatten lang zu warten, endlich rief der Oberamtsrichter den Amtsdiener: Ist die Elisabeth Walter draußen, deren Scheidungsklage anhängig ist, und hat sich der Ehmann eingestellt? -- Draußen ist kein streitiges Ehpaar, Herr Oberamtsrichter, zwei Leute sitzen in großer "Liberität" beisammen, wird wohl ein Brautpaar sein, das Sporteln zahlen will. Zu großem Erstaunen des Dieners fand sich doch, daß das einträchtige Paar die streitigen Eheleute waren, und wer die beredte Schilderung der Liesbeth über das Elend ihres Ehestandes und die Unthaten ihres Mannes anhörte, konnte auch daran nicht zweifeln. Georg konnte nicht viel widersprechen, es war Alles wahr, nur einmal meinte er, wenn man "falsch"*) werde bei so einer "Giftkugel", so sei's kein Wunder. Habt Ihr von Anfang an einen Widerwillen gegen die Verbindung mit Eurer Frau gehabt? frug der Richter. -- I, o nein, sell net, o wie oft hab' ich gesagt: Bethle, wenn i di nu fressa könnt! Hätt' i se sellesmol no g'fressa! setzte er mit einem schweren Stoßseufzer hinzu. -- Ihr habt Euer Weib freiwillig und heimlich verlassen und verweigert auch jetzt noch die Fortsetzung der Ehe? -- Ja, das thu' ich, ich glaub' nicht, daß ich's wieder prestieren könnt', wenn ich auch wollt. -- Und Ihr, Elisabeth Walter, besteht auf der Fortsetzung der Ehe? -- Ich bestehen! ja lieber in Neckar sprin- *) zornig.
Sie hatten lang zu warten, endlich rief der Oberamtsrichter den Amtsdiener: Ist die Elisabeth Walter draußen, deren Scheidungsklage anhängig ist, und hat sich der Ehmann eingestellt? — Draußen ist kein streitiges Ehpaar, Herr Oberamtsrichter, zwei Leute sitzen in großer „Liberität“ beisammen, wird wohl ein Brautpaar sein, das Sporteln zahlen will. Zu großem Erstaunen des Dieners fand sich doch, daß das einträchtige Paar die streitigen Eheleute waren, und wer die beredte Schilderung der Liesbeth über das Elend ihres Ehestandes und die Unthaten ihres Mannes anhörte, konnte auch daran nicht zweifeln. Georg konnte nicht viel widersprechen, es war Alles wahr, nur einmal meinte er, wenn man „falsch“*) werde bei so einer „Giftkugel“, so sei's kein Wunder. Habt Ihr von Anfang an einen Widerwillen gegen die Verbindung mit Eurer Frau gehabt? frug der Richter. — I, o nein, sell net, o wie oft hab' ich gesagt: Bethle, wenn i di nu fressa könnt! Hätt' i se sellesmol no g'fressa! setzte er mit einem schweren Stoßseufzer hinzu. — Ihr habt Euer Weib freiwillig und heimlich verlassen und verweigert auch jetzt noch die Fortsetzung der Ehe? — Ja, das thu' ich, ich glaub' nicht, daß ich's wieder prestieren könnt', wenn ich auch wollt. — Und Ihr, Elisabeth Walter, besteht auf der Fortsetzung der Ehe? — Ich bestehen! ja lieber in Neckar sprin- *) zornig.
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Sie hatten lang zu warten, endlich rief der Oberamtsrichter den Amtsdiener: Ist die Elisabeth Walter draußen, deren Scheidungsklage anhängig ist, und hat sich der Ehmann eingestellt? — Draußen ist kein streitiges Ehpaar, Herr Oberamtsrichter, zwei Leute sitzen in großer „Liberität“ beisammen, wird wohl ein Brautpaar sein, das Sporteln zahlen will.
Zu großem Erstaunen des Dieners fand sich doch, daß das einträchtige Paar die streitigen Eheleute waren, und wer die beredte Schilderung der Liesbeth über das Elend ihres Ehestandes und die Unthaten ihres Mannes anhörte, konnte auch daran nicht zweifeln. Georg konnte nicht viel widersprechen, es war Alles wahr, nur einmal meinte er, wenn man „falsch“ *) werde bei so einer „Giftkugel“, so sei's kein Wunder. Habt Ihr von Anfang an einen Widerwillen gegen die Verbindung mit Eurer Frau gehabt? frug der Richter. — I, o nein, sell net, o wie oft hab' ich gesagt: Bethle, wenn i di nu fressa könnt! Hätt' i se sellesmol no g'fressa! setzte er mit einem schweren Stoßseufzer hinzu. — Ihr habt Euer Weib freiwillig und heimlich verlassen und verweigert auch jetzt noch die Fortsetzung der Ehe? — Ja, das thu' ich, ich glaub' nicht, daß ich's wieder prestieren könnt', wenn ich auch wollt. — Und Ihr, Elisabeth Walter, besteht auf der Fortsetzung der Ehe? — Ich bestehen! ja lieber in Neckar sprin-
*) zornig.
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Zitationshilfe: | Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/36>, abgerufen am 28.07.2024. |