Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.rät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet. Nur bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit; diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes, und schneidet viele Gelegenheit zu Händeln ab. Verlobung. Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein 'nausgefahren; unglücklicher Weise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmüthigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Liesbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippigen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat. Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm, als den Ruf an die Kellnerin: Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner! Liesbeth sah anfangs spöttisch zu ihm herüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar rät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet. Nur bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit; diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes, und schneidet viele Gelegenheit zu Händeln ab. Verlobung. Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein 'nausgefahren; unglücklicher Weise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmüthigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Liesbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippigen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat. Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm, als den Ruf an die Kellnerin: Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner! Liesbeth sah anfangs spöttisch zu ihm herüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0019"/> rät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet. Nur bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit; diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes, und schneidet viele Gelegenheit zu Händeln ab.</p><lb/> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="chapter" n="3"> <head>Verlobung.</head> <p>Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein 'nausgefahren; unglücklicher Weise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmüthigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Liesbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippigen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat. </p><lb/> <p>Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm, als den Ruf an die Kellnerin: Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner! Liesbeth sah anfangs spöttisch zu ihm herüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
rät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet. Nur bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit; diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes, und schneidet viele Gelegenheit zu Händeln ab.
Verlobung. Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein 'nausgefahren; unglücklicher Weise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmüthigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Liesbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippigen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat.
Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm, als den Ruf an die Kellnerin: Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner! Liesbeth sah anfangs spöttisch zu ihm herüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar
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Zitationshilfe: | Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/19>, abgerufen am 19.08.2022. |