Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dir behaglich ans Ohr. Dein Geist wird schläfriger, deine Sinne schärfer: der Geruch des Theers, der dicken Taue, der Netze, die am Ufer in der Sonne trocknen, des Seetangs, der unten auf dem steinernen Bollwerk fault, des feuchten Meersands, den die Frauen in ihren tiefgehenden "Jöllen" vorüberfahren, -- Alles wird dir bewußt. Du hörst den hellen Klang der Pantoffeln neben dir auf den Steinen, sie klingen an dir vorbei, du blickst auf und siehst die schlanke Gestalt, die in diesen Pantoffeln vorüberschreitet. Es fällt dir auf, wie elastisch sich diese junge Seemannsfrau dahinbewegt. Wie gut der sonderbare Strohhut ihr steht, wie angenehm die langen schwarzen Hutbänder über ihre grüne Jacke herunterflattern. Es ist nichts Bäurisches an ihr, keine plumpen Schultern, keine eckigen Arme; auf ihren kleinen Pantoffeln geht sie so sicher und so leicht, wie eine Städterin, nur majestätischer. Eine eigenthümliche Würde liegt in jedem Schritt, in der Art, wie sie die Schultern hält und den Kopf zurücklegt. Sieh da -- warum hustest du? Sie hat es gehört, sie wendet sich mechanisch um -- ohne zu wissen, daß du das eben wolltest, -- und zeigt dir ihr Profil. Dich überrascht dieser scharfe Schnitt; die schön gewölbte Stirn, die kühne, etwas gebogene Nase, der festgeschlossene Mund und das starke Kinn. Sie wirft dir aus ihren großen blauen Augen einen gleichgültigen Blick zu, der dich fast kalt überläuft. Das ist keiner von den Blicken, die man als Netze oder als Schlingen auswirft. Sie wendet sich wieder ab und geht davon. Du siehst ihr nach, hörst wieder ihre Pantoffeln auf den Steinen, verwunderst dich, was für Gestalten hier aus dem Boden wachsen, und weißt nicht mehr, wie öde die Gegend ist. Die Warnemünder sind ein besonderes Geschlecht; in Gestalt und Wesen nicht von der gewöhnlichen Mecklenburger Art um sie her, auch in der Sprache haben sie ihre Eigenheiten für sich. Wie richtige Hafenstädter leben sie nur aufs Meer hinaus: die Männer in der Jugend als Seefahrer, dir behaglich ans Ohr. Dein Geist wird schläfriger, deine Sinne schärfer: der Geruch des Theers, der dicken Taue, der Netze, die am Ufer in der Sonne trocknen, des Seetangs, der unten auf dem steinernen Bollwerk fault, des feuchten Meersands, den die Frauen in ihren tiefgehenden „Jöllen“ vorüberfahren, — Alles wird dir bewußt. Du hörst den hellen Klang der Pantoffeln neben dir auf den Steinen, sie klingen an dir vorbei, du blickst auf und siehst die schlanke Gestalt, die in diesen Pantoffeln vorüberschreitet. Es fällt dir auf, wie elastisch sich diese junge Seemannsfrau dahinbewegt. Wie gut der sonderbare Strohhut ihr steht, wie angenehm die langen schwarzen Hutbänder über ihre grüne Jacke herunterflattern. Es ist nichts Bäurisches an ihr, keine plumpen Schultern, keine eckigen Arme; auf ihren kleinen Pantoffeln geht sie so sicher und so leicht, wie eine Städterin, nur majestätischer. Eine eigenthümliche Würde liegt in jedem Schritt, in der Art, wie sie die Schultern hält und den Kopf zurücklegt. Sieh da — warum hustest du? Sie hat es gehört, sie wendet sich mechanisch um — ohne zu wissen, daß du das eben wolltest, — und zeigt dir ihr Profil. Dich überrascht dieser scharfe Schnitt; die schön gewölbte Stirn, die kühne, etwas gebogene Nase, der festgeschlossene Mund und das starke Kinn. Sie wirft dir aus ihren großen blauen Augen einen gleichgültigen Blick zu, der dich fast kalt überläuft. Das ist keiner von den Blicken, die man als Netze oder als Schlingen auswirft. Sie wendet sich wieder ab und geht davon. Du siehst ihr nach, hörst wieder ihre Pantoffeln auf den Steinen, verwunderst dich, was für Gestalten hier aus dem Boden wachsen, und weißt nicht mehr, wie öde die Gegend ist. Die Warnemünder sind ein besonderes Geschlecht; in Gestalt und Wesen nicht von der gewöhnlichen Mecklenburger Art um sie her, auch in der Sprache haben sie ihre Eigenheiten für sich. Wie richtige Hafenstädter leben sie nur aufs Meer hinaus: die Männer in der Jugend als Seefahrer, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0008"/> dir behaglich ans Ohr. Dein Geist wird schläfriger, deine Sinne schärfer: der Geruch des Theers, der dicken Taue, der Netze, die am Ufer in der Sonne trocknen, des Seetangs, der unten auf dem steinernen Bollwerk fault, des feuchten Meersands, den die Frauen in ihren tiefgehenden „Jöllen“ vorüberfahren, — Alles wird dir bewußt. Du hörst den hellen Klang der Pantoffeln neben dir auf den Steinen, sie klingen an dir vorbei, du blickst auf und siehst die schlanke Gestalt, die in diesen Pantoffeln vorüberschreitet. Es fällt dir auf, wie elastisch sich diese junge Seemannsfrau dahinbewegt. Wie gut der sonderbare Strohhut ihr steht, wie angenehm die langen schwarzen Hutbänder über ihre grüne Jacke herunterflattern. Es ist nichts Bäurisches an ihr, keine plumpen Schultern, keine eckigen Arme; auf ihren kleinen Pantoffeln geht sie so sicher und so leicht, wie eine Städterin, nur majestätischer. Eine eigenthümliche Würde liegt in jedem Schritt, in der Art, wie sie die Schultern hält und den Kopf zurücklegt. Sieh da — warum hustest du? Sie hat es gehört, sie wendet sich mechanisch um — ohne zu wissen, daß du das eben wolltest, — und zeigt dir ihr Profil. Dich überrascht dieser scharfe Schnitt; die schön gewölbte Stirn, die kühne, etwas gebogene Nase, der festgeschlossene Mund und das starke Kinn. Sie wirft dir aus ihren großen blauen Augen einen gleichgültigen Blick zu, der dich fast kalt überläuft. Das ist keiner von den Blicken, die man als Netze oder als Schlingen auswirft. Sie wendet sich wieder ab und geht davon. 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Die Warnemünder sind ein besonderes Geschlecht; in Gestalt und Wesen nicht von der gewöhnlichen Mecklenburger Art um sie her, auch in der Sprache haben sie ihre Eigenheiten für sich. Wie richtige Hafenstädter leben sie nur aufs Meer hinaus: die Männer in der Jugend als Seefahrer,
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/8>, abgerufen am 25.07.2024. |