Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hätt', und mit dem letzten Schiff käm' er wieder zurück. Und nun sitz' ich hier und stricke Strümpfe für mich. Nun, das ist auch eine Beschäftigung! sagte Julius, um etwas zu sagen. Darf ich Ihnen dabei etwas zuschauen, Liesbeth? Da steht ja ein Stuhl! antwortete sie und ließ wieder dasselbe seltsame Lächeln sehn. Julius nahm den Stuhl, der mit Leder gepolstert und schon tief eingesessen war, und streckte sich möglichst unbefangen darin aus. Das war eine sonderbare Geschichte heute Morgen! fing er endlich mit verlegener Heiterkeit an. Ich hoffe, Sie sind wieder guter Laune, Liesbeth? Da fehlt's nicht dran, antwortete sie. Sie haben sich einen etwas wilden Mann ausgesucht, Liesbeth! Der wird noch zahm werden, sagte sie ganz ruhig. Dann lief ihr irgend ein trotziger Gedanke über das Gesicht; sie ließ die Unterlippe sinken und schien in Bedenken zu stehen. Plötzlich griff sie neben sich nach der Kommode, auf der ein Buch und ein Kärtchen lag, nahm das Kärtchen und hielt es ihm hin. -- Wenn Sie meine Photographie noch haben wollen -- da ist sie. Ich danke Ihnen, Liesbeth! sagte er verwirrt. Damit nahm er die Photographie etwas zaghaft zwischen zwei Finger, wie wenn es ein gefährliches Ding wäre, das in seiner Hand explodiren könnte. Doch gleich darauf sah er die junge Frau wieder um so muthiger an. Sie hatte ihren Strickstrumpf in den Schooß fallen lassen, und ihre Augen leuchteten in der Dämmerung so aufgeregt, daß er nicht umhin konnte, es zu bemerken. Sie murmelte etwas vor sich hin, das er nicht verstand. Er soll sich wundern! sagte sie endlich halblaut. Wer soll sich wundern? fragte Julius. Sie antwortete nicht. Sprechen Sie von Ihrem Haustyrannen, Liesbeth? hätt', und mit dem letzten Schiff käm' er wieder zurück. Und nun sitz' ich hier und stricke Strümpfe für mich. Nun, das ist auch eine Beschäftigung! sagte Julius, um etwas zu sagen. Darf ich Ihnen dabei etwas zuschauen, Liesbeth? Da steht ja ein Stuhl! antwortete sie und ließ wieder dasselbe seltsame Lächeln sehn. Julius nahm den Stuhl, der mit Leder gepolstert und schon tief eingesessen war, und streckte sich möglichst unbefangen darin aus. Das war eine sonderbare Geschichte heute Morgen! fing er endlich mit verlegener Heiterkeit an. Ich hoffe, Sie sind wieder guter Laune, Liesbeth? Da fehlt's nicht dran, antwortete sie. Sie haben sich einen etwas wilden Mann ausgesucht, Liesbeth! Der wird noch zahm werden, sagte sie ganz ruhig. Dann lief ihr irgend ein trotziger Gedanke über das Gesicht; sie ließ die Unterlippe sinken und schien in Bedenken zu stehen. Plötzlich griff sie neben sich nach der Kommode, auf der ein Buch und ein Kärtchen lag, nahm das Kärtchen und hielt es ihm hin. — Wenn Sie meine Photographie noch haben wollen — da ist sie. Ich danke Ihnen, Liesbeth! sagte er verwirrt. Damit nahm er die Photographie etwas zaghaft zwischen zwei Finger, wie wenn es ein gefährliches Ding wäre, das in seiner Hand explodiren könnte. Doch gleich darauf sah er die junge Frau wieder um so muthiger an. Sie hatte ihren Strickstrumpf in den Schooß fallen lassen, und ihre Augen leuchteten in der Dämmerung so aufgeregt, daß er nicht umhin konnte, es zu bemerken. Sie murmelte etwas vor sich hin, das er nicht verstand. Er soll sich wundern! sagte sie endlich halblaut. Wer soll sich wundern? fragte Julius. Sie antwortete nicht. Sprechen Sie von Ihrem Haustyrannen, Liesbeth? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0027"/> hätt', und mit dem letzten Schiff käm' er wieder zurück. 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hätt', und mit dem letzten Schiff käm' er wieder zurück. Und nun sitz' ich hier und stricke Strümpfe für mich.
Nun, das ist auch eine Beschäftigung! sagte Julius, um etwas zu sagen. Darf ich Ihnen dabei etwas zuschauen, Liesbeth?
Da steht ja ein Stuhl! antwortete sie und ließ wieder dasselbe seltsame Lächeln sehn. Julius nahm den Stuhl, der mit Leder gepolstert und schon tief eingesessen war, und streckte sich möglichst unbefangen darin aus. Das war eine sonderbare Geschichte heute Morgen! fing er endlich mit verlegener Heiterkeit an. Ich hoffe, Sie sind wieder guter Laune, Liesbeth?
Da fehlt's nicht dran, antwortete sie.
Sie haben sich einen etwas wilden Mann ausgesucht, Liesbeth!
Der wird noch zahm werden, sagte sie ganz ruhig. Dann lief ihr irgend ein trotziger Gedanke über das Gesicht; sie ließ die Unterlippe sinken und schien in Bedenken zu stehen. Plötzlich griff sie neben sich nach der Kommode, auf der ein Buch und ein Kärtchen lag, nahm das Kärtchen und hielt es ihm hin. — Wenn Sie meine Photographie noch haben wollen — da ist sie.
Ich danke Ihnen, Liesbeth! sagte er verwirrt. Damit nahm er die Photographie etwas zaghaft zwischen zwei Finger, wie wenn es ein gefährliches Ding wäre, das in seiner Hand explodiren könnte. Doch gleich darauf sah er die junge Frau wieder um so muthiger an. Sie hatte ihren Strickstrumpf in den Schooß fallen lassen, und ihre Augen leuchteten in der Dämmerung so aufgeregt, daß er nicht umhin konnte, es zu bemerken. Sie murmelte etwas vor sich hin, das er nicht verstand. Er soll sich wundern! sagte sie endlich halblaut.
Wer soll sich wundern? fragte Julius.
Sie antwortete nicht.
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/27>, abgerufen am 25.07.2024. |