Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der schöne Sommertag war nicht für wilde Wallungen, nur für Liebe gemacht. Von der allgemeinen Zärtlichkeit der Natur um und um gewühlt, hielt er's zuletzt nicht mehr aus, so für sich allein dahinzuschlendern. Er kehrte wieder um, strich im Rücken des Orts über die Wiesen hin und trat in Johann Ohlerich's kleinen Küchengarten ein, der an dessen Häuschen stieß. Er überließ es dem Schicksal, was daraus werden sollte. Klar vor dem Bewußtsein stand ihm nichts, als das Verlangen, Liesbeth wiederzusehen. Der Garten war leer, der Hof desgleichen. Er trat links in die Küche ein und fand hier die junge Frau am Herd, einen Winterstrumpf strickend; in einer sanften Dämmerung, denn der Tag ging schon dem Ende zu, und mit nachdenklichem, etwas finsterem Gesicht. Guten Abend, Liesbeth! sagte er verlegen. Sitzen Sie hier allein? Sie sah auf, erkannte ihn und betrachtete ihn mit seltsamem Lächeln. Es schien fast, als wenn sie ihn erwartet hätte. Ja, ich sitze hier allein! sagte sie kurzweg, aber nicht unfreundlich. Wo ist Johann Ohlerich? Fort. Wohin? Nun, wohin? -- Nach der Stadt hinauf; nach Rostock. Julius machte ein überraschtes Gesicht. Da kommt er ja eben her! Was hat er in Rostock zu thun? Nun, er wird's ja wohl wissen! Liesbeth, haben Sie sich -- -- Sind Sie wieder gut mit ihm? Die junge Frau schwieg eine Weile; dann antwortete sie: Nein. Ist er denn gekommen, hat er abgebeten? Oh! -- Sie haben ihn also noch nicht wiedergesehen? Wann soll ich ihn denn gesehen haben? Durch die alte Rieke hat er mir sagen lassen, daß er in Rostock zu thun Der schöne Sommertag war nicht für wilde Wallungen, nur für Liebe gemacht. Von der allgemeinen Zärtlichkeit der Natur um und um gewühlt, hielt er's zuletzt nicht mehr aus, so für sich allein dahinzuschlendern. Er kehrte wieder um, strich im Rücken des Orts über die Wiesen hin und trat in Johann Ohlerich's kleinen Küchengarten ein, der an dessen Häuschen stieß. Er überließ es dem Schicksal, was daraus werden sollte. Klar vor dem Bewußtsein stand ihm nichts, als das Verlangen, Liesbeth wiederzusehen. Der Garten war leer, der Hof desgleichen. Er trat links in die Küche ein und fand hier die junge Frau am Herd, einen Winterstrumpf strickend; in einer sanften Dämmerung, denn der Tag ging schon dem Ende zu, und mit nachdenklichem, etwas finsterem Gesicht. Guten Abend, Liesbeth! sagte er verlegen. Sitzen Sie hier allein? Sie sah auf, erkannte ihn und betrachtete ihn mit seltsamem Lächeln. Es schien fast, als wenn sie ihn erwartet hätte. Ja, ich sitze hier allein! sagte sie kurzweg, aber nicht unfreundlich. Wo ist Johann Ohlerich? Fort. Wohin? Nun, wohin? — Nach der Stadt hinauf; nach Rostock. Julius machte ein überraschtes Gesicht. Da kommt er ja eben her! Was hat er in Rostock zu thun? Nun, er wird's ja wohl wissen! Liesbeth, haben Sie sich — — Sind Sie wieder gut mit ihm? Die junge Frau schwieg eine Weile; dann antwortete sie: Nein. Ist er denn gekommen, hat er abgebeten? Oh! — Sie haben ihn also noch nicht wiedergesehen? Wann soll ich ihn denn gesehen haben? Durch die alte Rieke hat er mir sagen lassen, daß er in Rostock zu thun <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0026"/> Der schöne Sommertag war nicht für wilde Wallungen, nur für Liebe gemacht. Von der allgemeinen Zärtlichkeit der Natur um und um gewühlt, hielt er's zuletzt nicht mehr aus, so für sich allein dahinzuschlendern. Er kehrte wieder um, strich im Rücken des Orts über die Wiesen hin und trat in Johann Ohlerich's kleinen Küchengarten ein, der an dessen Häuschen stieß. Er überließ es dem Schicksal, was daraus werden sollte. Klar vor dem Bewußtsein stand ihm nichts, als das Verlangen, Liesbeth wiederzusehen. Der Garten war leer, der Hof desgleichen. Er trat links in die Küche ein und fand hier die junge Frau am Herd, einen Winterstrumpf strickend; in einer sanften Dämmerung, denn der Tag ging schon dem Ende zu, und mit nachdenklichem, etwas finsterem Gesicht.</p><lb/> <p>Guten Abend, Liesbeth! sagte er verlegen. Sitzen Sie hier allein?</p><lb/> <p>Sie sah auf, erkannte ihn und betrachtete ihn mit seltsamem Lächeln. Es schien fast, als wenn sie ihn erwartet hätte. Ja, ich sitze hier allein! sagte sie kurzweg, aber nicht unfreundlich.</p><lb/> <p>Wo ist Johann Ohlerich?</p><lb/> <p>Fort.</p><lb/> <p>Wohin?</p><lb/> <p>Nun, wohin? — Nach der Stadt hinauf; nach Rostock.</p><lb/> <p>Julius machte ein überraschtes Gesicht. Da kommt er ja eben her! Was hat er in Rostock zu thun?</p><lb/> <p>Nun, er wird's ja wohl wissen!</p><lb/> <p>Liesbeth, haben Sie sich — — Sind Sie wieder gut mit ihm?</p><lb/> <p>Die junge Frau schwieg eine Weile; dann antwortete sie: Nein. Ist er denn gekommen, hat er abgebeten?</p><lb/> <p>Oh! — Sie haben ihn also noch nicht wiedergesehen?</p><lb/> <p>Wann soll ich ihn denn gesehen haben? Durch die alte Rieke hat er mir sagen lassen, daß er in Rostock zu thun<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Der schöne Sommertag war nicht für wilde Wallungen, nur für Liebe gemacht. Von der allgemeinen Zärtlichkeit der Natur um und um gewühlt, hielt er's zuletzt nicht mehr aus, so für sich allein dahinzuschlendern. Er kehrte wieder um, strich im Rücken des Orts über die Wiesen hin und trat in Johann Ohlerich's kleinen Küchengarten ein, der an dessen Häuschen stieß. Er überließ es dem Schicksal, was daraus werden sollte. Klar vor dem Bewußtsein stand ihm nichts, als das Verlangen, Liesbeth wiederzusehen. Der Garten war leer, der Hof desgleichen. Er trat links in die Küche ein und fand hier die junge Frau am Herd, einen Winterstrumpf strickend; in einer sanften Dämmerung, denn der Tag ging schon dem Ende zu, und mit nachdenklichem, etwas finsterem Gesicht.
Guten Abend, Liesbeth! sagte er verlegen. Sitzen Sie hier allein?
Sie sah auf, erkannte ihn und betrachtete ihn mit seltsamem Lächeln. Es schien fast, als wenn sie ihn erwartet hätte. Ja, ich sitze hier allein! sagte sie kurzweg, aber nicht unfreundlich.
Wo ist Johann Ohlerich?
Fort.
Wohin?
Nun, wohin? — Nach der Stadt hinauf; nach Rostock.
Julius machte ein überraschtes Gesicht. Da kommt er ja eben her! Was hat er in Rostock zu thun?
Nun, er wird's ja wohl wissen!
Liesbeth, haben Sie sich — — Sind Sie wieder gut mit ihm?
Die junge Frau schwieg eine Weile; dann antwortete sie: Nein. Ist er denn gekommen, hat er abgebeten?
Oh! — Sie haben ihn also noch nicht wiedergesehen?
Wann soll ich ihn denn gesehen haben? Durch die alte Rieke hat er mir sagen lassen, daß er in Rostock zu thun
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/26 |
Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/26>, abgerufen am 25.07.2024. |