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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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istoria. nachlass.
motive aus einer anderen herübernimmt 75), und das berührt sich wieder
mit dem ausmalen von situationen oder charakteren nach dem vorbilde
einer älteren eigenen schöpfung, wofür die schwesternpare in Sophokles
Antigone und Elektra das bekannteste beispiel sind. allein das greift schon
über in die künstlerische analyse der werke, die hier nicht berührt werden
soll. das stoffliche lässt sich für menschen die überhaupt geschichtliche
fragen begreifen nicht selten überzeugend dartun: aber vielfach gilt schon
von ihm und noch weit mehr von der beurteilung des poetischen, dass
erst eine reife kenntnis des dichters die dinge überhaupt sieht, und dass
sie auch für ähnlich gereifte allein einen beweis führen kann.

Was hier in betreff des stoffes gegeben ist, ist eine dürftige skizze.
erst wenn nicht bloss die einzelnen tragödien alle genau durchgearbeitet
sind, sondern überhaupt die heldensage eine erneuerung erfahren haben
wird, kann es gelingen dem einigermassen gerecht zu werden, was eigent-
lich die vorbedingung des aesthetischen urteils sein muss, was schon die
peripatetiker angestrebt haben: das verhältnis des dichters zu seinem
stoffe klar zu stellen. was die alten so viel behandelt haben, zumeist
freilich von einseitig rhetorischem standpunkte aus, die charakteristik
von stil und sprache, erfordert, ehe sie wirklich geliefert werden kann,
auch noch eine fülle von beobachtungen untersuchungen und namentlich
vergleichungen, die heut zu tage nur für die geschmacklosigkeit und den
stumpfsinn der gesunkenen latinität angestellt werden, denen es aller-
dings leichter ist congenial zu sein. die erklärung des einzelnen dramas
gibt aber auf schritt und tritt gelegenheit zu einschlagenden bemerkungen;
bei denen mag es sein bewenden haben. --

Über den poetischen nachlass des Euripides sind wir auffallend gutNachlass.
unterrichtet. verfasst soll er 92 dramen haben: das sind 23 x 4 (genos);
oder 22 mal aufgeführt (Suid.). also war eine tetralogie bestritten; und
wirklich werden in der summe der erhaltenen 3 unächte tragödien, ein
unächtes satyrspiel aufgeführt. da für die tragödie Peirithoos und das

75) So war es offenbar etwas ganz dürftiges, was Euripides als Kresphontes-
sage überkam. er fügte hinzu, dass der tyrann den rechtmässigen erben für vogelfrei
erklärt hat und dieser der bote seines eignen todes ist; dies aus der Orestessage; dass
der tyrann ein ohnmächtiges weib zur ehe zwingen will, aber durch die zwischen-
kunft des sohnes daran gehindert wird; dies aus der Danaesage, wenigstens wie er sie
wenige jahre zuvor im Diktys gestaltet hatte. seinen Archelaos soll er nach der
Temenossage gemacht haben, Agatharchides bei Phot. bibl. 444b 29. die gefangene
Melanippe hat motive aus den sagen von Ino, Antiope, Meleagros verbunden: eigen-
tümlich scheinen nur die namen; doch sind wir über die heimat der sage nicht
unterrichtet.

ἱστορία. nachlaſs.
motive aus einer anderen herübernimmt 75), und das berührt sich wieder
mit dem ausmalen von situationen oder charakteren nach dem vorbilde
einer älteren eigenen schöpfung, wofür die schwesternpare in Sophokles
Antigone und Elektra das bekannteste beispiel sind. allein das greift schon
über in die künstlerische analyse der werke, die hier nicht berührt werden
soll. das stoffliche läſst sich für menschen die überhaupt geschichtliche
fragen begreifen nicht selten überzeugend dartun: aber vielfach gilt schon
von ihm und noch weit mehr von der beurteilung des poetischen, daſs
erst eine reife kenntnis des dichters die dinge überhaupt sieht, und daſs
sie auch für ähnlich gereifte allein einen beweis führen kann.

Was hier in betreff des stoffes gegeben ist, ist eine dürftige skizze.
erst wenn nicht bloſs die einzelnen tragödien alle genau durchgearbeitet
sind, sondern überhaupt die heldensage eine erneuerung erfahren haben
wird, kann es gelingen dem einigermaſsen gerecht zu werden, was eigent-
lich die vorbedingung des aesthetischen urteils sein muſs, was schon die
peripatetiker angestrebt haben: das verhältnis des dichters zu seinem
stoffe klar zu stellen. was die alten so viel behandelt haben, zumeist
freilich von einseitig rhetorischem standpunkte aus, die charakteristik
von stil und sprache, erfordert, ehe sie wirklich geliefert werden kann,
auch noch eine fülle von beobachtungen untersuchungen und namentlich
vergleichungen, die heut zu tage nur für die geschmacklosigkeit und den
stumpfsinn der gesunkenen latinität angestellt werden, denen es aller-
dings leichter ist congenial zu sein. die erklärung des einzelnen dramas
gibt aber auf schritt und tritt gelegenheit zu einschlagenden bemerkungen;
bei denen mag es sein bewenden haben. —

Über den poetischen nachlaſs des Euripides sind wir auffallend gutNachlaſs.
unterrichtet. verfaſst soll er 92 dramen haben: das sind 23 × 4 (γένος);
oder 22 mal aufgeführt (Suid.). also war eine tetralogie bestritten; und
wirklich werden in der summe der erhaltenen 3 unächte tragödien, ein
unächtes satyrspiel aufgeführt. da für die tragödie Peirithoos und das

75) So war es offenbar etwas ganz dürftiges, was Euripides als Kresphontes-
sage überkam. er fügte hinzu, daſs der tyrann den rechtmäſsigen erben für vogelfrei
erklärt hat und dieser der bote seines eignen todes ist; dies aus der Orestessage; daſs
der tyrann ein ohnmächtiges weib zur ehe zwingen will, aber durch die zwischen-
kunft des sohnes daran gehindert wird; dies aus der Danaesage, wenigstens wie er sie
wenige jahre zuvor im Diktys gestaltet hatte. seinen Archelaos soll er nach der
Temenossage gemacht haben, Agatharchides bei Phot. bibl. 444b 29. die gefangene
Melanippe hat motive aus den sagen von Ino, Antiope, Meleagros verbunden: eigen-
tümlich scheinen nur die namen; doch sind wir über die heimat der sage nicht
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[39/0059] ἱστορία. nachlaſs. motive aus einer anderen herübernimmt 75), und das berührt sich wieder mit dem ausmalen von situationen oder charakteren nach dem vorbilde einer älteren eigenen schöpfung, wofür die schwesternpare in Sophokles Antigone und Elektra das bekannteste beispiel sind. allein das greift schon über in die künstlerische analyse der werke, die hier nicht berührt werden soll. das stoffliche läſst sich für menschen die überhaupt geschichtliche fragen begreifen nicht selten überzeugend dartun: aber vielfach gilt schon von ihm und noch weit mehr von der beurteilung des poetischen, daſs erst eine reife kenntnis des dichters die dinge überhaupt sieht, und daſs sie auch für ähnlich gereifte allein einen beweis führen kann. Was hier in betreff des stoffes gegeben ist, ist eine dürftige skizze. erst wenn nicht bloſs die einzelnen tragödien alle genau durchgearbeitet sind, sondern überhaupt die heldensage eine erneuerung erfahren haben wird, kann es gelingen dem einigermaſsen gerecht zu werden, was eigent- lich die vorbedingung des aesthetischen urteils sein muſs, was schon die peripatetiker angestrebt haben: das verhältnis des dichters zu seinem stoffe klar zu stellen. was die alten so viel behandelt haben, zumeist freilich von einseitig rhetorischem standpunkte aus, die charakteristik von stil und sprache, erfordert, ehe sie wirklich geliefert werden kann, auch noch eine fülle von beobachtungen untersuchungen und namentlich vergleichungen, die heut zu tage nur für die geschmacklosigkeit und den stumpfsinn der gesunkenen latinität angestellt werden, denen es aller- dings leichter ist congenial zu sein. die erklärung des einzelnen dramas gibt aber auf schritt und tritt gelegenheit zu einschlagenden bemerkungen; bei denen mag es sein bewenden haben. — Über den poetischen nachlaſs des Euripides sind wir auffallend gut unterrichtet. verfaſst soll er 92 dramen haben: das sind 23 × 4 (γένος); oder 22 mal aufgeführt (Suid.). also war eine tetralogie bestritten; und wirklich werden in der summe der erhaltenen 3 unächte tragödien, ein unächtes satyrspiel aufgeführt. da für die tragödie Peirithoos und das Nachlaſs. 75) So war es offenbar etwas ganz dürftiges, was Euripides als Kresphontes- sage überkam. er fügte hinzu, daſs der tyrann den rechtmäſsigen erben für vogelfrei erklärt hat und dieser der bote seines eignen todes ist; dies aus der Orestessage; daſs der tyrann ein ohnmächtiges weib zur ehe zwingen will, aber durch die zwischen- kunft des sohnes daran gehindert wird; dies aus der Danaesage, wenigstens wie er sie wenige jahre zuvor im Diktys gestaltet hatte. seinen Archelaos soll er nach der Temenossage gemacht haben, Agatharchides bei Phot. bibl. 444b 29. die gefangene Melanippe hat motive aus den sagen von Ino, Antiope, Meleagros verbunden: eigen- tümlich scheinen nur die namen; doch sind wir über die heimat der sage nicht unterrichtet.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/59>, abgerufen am 28.11.2024.