Aus derselben wurzel, welche den melagkholikos Erakles getrieben hat, ist schliesslich das gerade gegenteil auch erwachsen, der Herakles, der als vertreter der philedonia eingeführt werden konnte 121a). die breite masse mochte es nicht wort haben, dass Herakles es auf erden so schlecht gehabt hatte; aber die himmlische belohnung am tische der götter war ihnen auch zu unsicher. für sie ist die eudaimonia ein irdisches gut, ist sie irdischer genuss. den konnten sie ihm auch bereiten. Athena und Hermes hatten ihn ja geliebt; Aphrodite und Dionysos waren ihm auch nicht feindlich. schenkten ihm jene die köstlichsten waffen und hielten sie ihm treue kameradschaft in allen fährlichkeiten, so vergassen sie sein auch nicht, wenn er müde war und ruhe und trost bedurfte. so kühlte ihm Athena die heisse stirn, und liess ihm die warmen quellen allerorten entspringen, den schweiss abzuspülen: das schwesterlichste verhältnis mit der erhabensten himmlischen jungfrau ward schon in archaischer zeit auf das anmutigste ausgestaltet. aber neben diesem reinen bilde sehen wir auch Dionysos den vollen becher reichen und all seine muntern gefährten stellen sich ein. und gefällige nymphen und schöne königstöchter fehlten nirgend; selbst die frevler, die Herakles erschlagen musste, pflegten hübsche töchter zu haben. er aber kommt ungeladen zu feste, weilt nicht lange und zahlt nicht gold: im sturm erringt er den minnesold. so ward er zuerst ein idealbild des dorischen ritters, 'sein halbes leben stürmt' er fort, ver- dehnt' die hälft' in ruh'. und im verlaufe der zeiten ward er ein geselle des dionysischen thiasos, ein schutzherr der epheben und der athleten, der fahrenden leute und der landsknechte: und das ideal, das diese leute haben, die ungemessene körperliche leistungsfähigkeit des 'starken mannes', der doch geistig zugleich in ihre sphäre gehört, ist im wesentlichen, wenn auch einige züge aus dem andern bilde sich einmischen und die ein- geborne erhabenheit nie ganz verloren geht, der Herakles, den die helle- nistische und zumal die römische zeit als lebendige potenz des volks- glaubens besessen hat. es genügt dafür die tatsache, dass kaiser Commodus der neos Erakles sein wollte. diese gestalt ist, wie natürlich, der modernen welt zunächst überliefert worden: so pflegt sich der gebildete von heute den Hercules vorzustellen; er ahnt ja nicht, dass die sage mehr ist als ein gefälliges und lascives spiel. oder aber er entsetzt sich über die heiden und die verworfenheit ihrer heiligen. das schwatzt er dann unbewusst den christlichen apologeten nach, die mit recht den
den alexikakos und die soteres, natürlich, weil sie den himmel sich erworben haben, schon ganz wie Horaz.
121a) Z. b. Megakleides bei Athen. XII 513.
Der Herakles der sage.
Aus derselben wurzel, welche den μελαγχολικὸς Ἡρακλῆς getrieben hat, ist schlieſslich das gerade gegenteil auch erwachsen, der Herakles, der als vertreter der φιληδονία eingeführt werden konnte 121a). die breite masse mochte es nicht wort haben, daſs Herakles es auf erden so schlecht gehabt hatte; aber die himmlische belohnung am tische der götter war ihnen auch zu unsicher. für sie ist die εὐδαιμονία ein irdisches gut, ist sie irdischer genuſs. den konnten sie ihm auch bereiten. Athena und Hermes hatten ihn ja geliebt; Aphrodite und Dionysos waren ihm auch nicht feindlich. schenkten ihm jene die köstlichsten waffen und hielten sie ihm treue kameradschaft in allen fährlichkeiten, so vergaſsen sie sein auch nicht, wenn er müde war und ruhe und trost bedurfte. so kühlte ihm Athena die heiſse stirn, und lieſs ihm die warmen quellen allerorten entspringen, den schweiſs abzuspülen: das schwesterlichste verhältnis mit der erhabensten himmlischen jungfrau ward schon in archaischer zeit auf das anmutigste ausgestaltet. aber neben diesem reinen bilde sehen wir auch Dionysos den vollen becher reichen und all seine muntern gefährten stellen sich ein. und gefällige nymphen und schöne königstöchter fehlten nirgend; selbst die frevler, die Herakles erschlagen muſste, pflegten hübsche töchter zu haben. er aber kommt ungeladen zu feste, weilt nicht lange und zahlt nicht gold: im sturm erringt er den minnesold. so ward er zuerst ein idealbild des dorischen ritters, ‘sein halbes leben stürmt’ er fort, ver- dehnt’ die hälft’ in ruh’. und im verlaufe der zeiten ward er ein geselle des dionysischen thiasos, ein schutzherr der epheben und der athleten, der fahrenden leute und der landsknechte: und das ideal, das diese leute haben, die ungemessene körperliche leistungsfähigkeit des ‘starken mannes’, der doch geistig zugleich in ihre sphäre gehört, ist im wesentlichen, wenn auch einige züge aus dem andern bilde sich einmischen und die ein- geborne erhabenheit nie ganz verloren geht, der Herakles, den die helle- nistische und zumal die römische zeit als lebendige potenz des volks- glaubens besessen hat. es genügt dafür die tatsache, daſs kaiser Commodus der νέος Ἡρακλῆς sein wollte. diese gestalt ist, wie natürlich, der modernen welt zunächst überliefert worden: so pflegt sich der gebildete von heute den Hercules vorzustellen; er ahnt ja nicht, daſs die sage mehr ist als ein gefälliges und lascives spiel. oder aber er entsetzt sich über die heiden und die verworfenheit ihrer heiligen. das schwatzt er dann unbewuſst den christlichen apologeten nach, die mit recht den
den ἀλεξίκακος und die σωτῆρες, natürlich, weil sie den himmel sich erworben haben, schon ganz wie Horaz.
121a) Z. b. Megakleides bei Athen. XII 513.
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Der Herakles der sage.
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hat, ist schlieſslich das gerade gegenteil auch erwachsen, der Herakles, der
als vertreter der φιληδονία eingeführt werden konnte 121a). die breite
masse mochte es nicht wort haben, daſs Herakles es auf erden so schlecht
gehabt hatte; aber die himmlische belohnung am tische der götter war
ihnen auch zu unsicher. für sie ist die εὐδαιμονία ein irdisches gut,
ist sie irdischer genuſs. den konnten sie ihm auch bereiten. Athena und
Hermes hatten ihn ja geliebt; Aphrodite und Dionysos waren ihm auch
nicht feindlich. schenkten ihm jene die köstlichsten waffen und hielten
sie ihm treue kameradschaft in allen fährlichkeiten, so vergaſsen sie sein
auch nicht, wenn er müde war und ruhe und trost bedurfte. so kühlte
ihm Athena die heiſse stirn, und lieſs ihm die warmen quellen allerorten
entspringen, den schweiſs abzuspülen: das schwesterlichste verhältnis mit
der erhabensten himmlischen jungfrau ward schon in archaischer zeit auf
das anmutigste ausgestaltet. aber neben diesem reinen bilde sehen wir auch
Dionysos den vollen becher reichen und all seine muntern gefährten stellen
sich ein. und gefällige nymphen und schöne königstöchter fehlten nirgend;
selbst die frevler, die Herakles erschlagen muſste, pflegten hübsche töchter
zu haben. er aber kommt ungeladen zu feste, weilt nicht lange und zahlt
nicht gold: im sturm erringt er den minnesold. so ward er zuerst ein
idealbild des dorischen ritters, ‘sein halbes leben stürmt’ er fort, ver-
dehnt’ die hälft’ in ruh’. und im verlaufe der zeiten ward er ein geselle
des dionysischen thiasos, ein schutzherr der epheben und der athleten, der
fahrenden leute und der landsknechte: und das ideal, das diese leute
haben, die ungemessene körperliche leistungsfähigkeit des ‘starken mannes’,
der doch geistig zugleich in ihre sphäre gehört, ist im wesentlichen, wenn
auch einige züge aus dem andern bilde sich einmischen und die ein-
geborne erhabenheit nie ganz verloren geht, der Herakles, den die helle-
nistische und zumal die römische zeit als lebendige potenz des volks-
glaubens besessen hat. es genügt dafür die tatsache, daſs kaiser Commodus
der νέος Ἡρακλῆς sein wollte. diese gestalt ist, wie natürlich, der
modernen welt zunächst überliefert worden: so pflegt sich der gebildete
von heute den Hercules vorzustellen; er ahnt ja nicht, daſs die sage
mehr ist als ein gefälliges und lascives spiel. oder aber er entsetzt sich
über die heiden und die verworfenheit ihrer heiligen. das schwatzt er
dann unbewuſst den christlichen apologeten nach, die mit recht den
121)
121a) Z. b. Megakleides bei Athen. XII 513.
121) den ἀλεξίκακος und die σωτῆρες, natürlich, weil sie den himmel sich erworben haben,
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/352>, abgerufen am 16.02.2025.
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