Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit. worte von der melancholie der genialen naturen zur sinnlosigkeit ver-dreht, weil melagkholan und melancholie kaum etwas mit einander zu tun haben; selbst Dürers Melancholie kann man zur erklärung der aristo- telischen gedanken nicht herbeiziehn. besser geschieht das durch die vergleichung, welche Aristoteles selbst gibt, dass die schwarze galle auf die gemütsart etwa so wirkt wie ein köstlicher starker wein. wir dürfen etwa sagen, dass in der seele dieser höchstbegnadigten unter den sterb- lichen ein vulkanisches feuer brennt; so lange es nur in der tiefe treibt und wärmt, bringen sie hervor, was reicher und köstlicher ist, als sonst ein mensch vermag, aber wehe, wenn es durchbricht: dann verzehrt es alles und vernichtet sie selbst zuerst. schweres blut, schwerer mut: "der blick der schwermut ist ein fürchterlicher vorzug". sie sind mehr als die andres kaloi kagathoi, die eingepfercht zwischen die schranken der sophrosune den sichern weg ziehen, den die meilenzeiger des nomos weisen. aber sie sind was sie sind und leisten was sie leisten nur im gewaltsamen bruche dieser schranken; und das büssen sie, am schwersten im eignen innern. sie sind eben doch auch keine götter, denen allein das leben leicht ist. Aristoteles hatte ja einen solchen heros gesehen, und er nennt Platon auch in dieser reihe: seit wir die enttäuschung erlebt haben, die uns sein bild bereitet hat, verstehn wir, dass er melagkhola. wenn Herakles in die reihe der heroen des geistes und der sittlichen kraft eingeführt ist, so ist das in unserm sinne keine degradation, die gewalt der alten sagengestalt macht sich auch darin noch fühlbar. aber das ideal des höchsten menschentumes war doch ein anderes geworden; die Hellenen hatten gelernt, wo die grenzen der menschheit stehen, und dass der ruhm, ein woltäter der menschheit121) zu werden, nur mit dem eignen herzblut erkauft werden kann. werden, namentlich die charakteristik von Platon, Sokrates, Lysandros ist bezeichnend. auch wird der inhalt als aristotelisch von den grammatikern (Erotian Erakleia nosos) und Plutarch (Lysand. 2) citirt. die Eraklee nosos der späthippokratischen schrift über die weiblichen krankheiten I 17 (II 623 Kühn) meint die epilepsie, es ist also ein parallelname zu iere nousos und bedeutet nur die 'ungeheuerliche', wie Erakleia lithos den wunderbaren magnetstein; so haben die grammatiker richtig erklärt (Erotian, Galen zu Epidem. VI 7, XVIIb 341 K). Herakles selbst ist nicht epi- leptisch wie Caesar und Muhammed gewesen, wol aber Alexander melagkholon wie Herakles. 121) Als euergetes broton hat Aristoteles wie Euripides den Herakles gefasst,
in dem er natürlich eine geschichtliche person sah. als solchem sollen ihm die säulen des westens geweiht sein, Aelian. V. H. V 2 (Rose fgm. 678 zieht zu wenig aus und verdirbt den sinn). die heroen als verehrer der arete feiert Aristoteles in seinem threnos auf Hermeias, und zwar stellt er Herakles und die Dioskuren zuerst, Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit. worte von der melancholie der genialen naturen zur sinnlosigkeit ver-dreht, weil μελαγχολᾶν und melancholie kaum etwas mit einander zu tun haben; selbst Dürers Melancholie kann man zur erklärung der aristo- telischen gedanken nicht herbeiziehn. besser geschieht das durch die vergleichung, welche Aristoteles selbst gibt, daſs die schwarze galle auf die gemütsart etwa so wirkt wie ein köstlicher starker wein. wir dürfen etwa sagen, daſs in der seele dieser höchstbegnadigten unter den sterb- lichen ein vulkanisches feuer brennt; so lange es nur in der tiefe treibt und wärmt, bringen sie hervor, was reicher und köstlicher ist, als sonst ein mensch vermag, aber wehe, wenn es durchbricht: dann verzehrt es alles und vernichtet sie selbst zuerst. schweres blut, schwerer mut: “der blick der schwermut ist ein fürchterlicher vorzug”. sie sind mehr als die ἄνδρες καλοὶ κἀγαϑοί, die eingepfercht zwischen die schranken der σωφροσύνη den sichern weg ziehen, den die meilenzeiger des νόμος weisen. aber sie sind was sie sind und leisten was sie leisten nur im gewaltsamen bruche dieser schranken; und das büſsen sie, am schwersten im eignen innern. sie sind eben doch auch keine götter, denen allein das leben leicht ist. Aristoteles hatte ja einen solchen heros gesehen, und er nennt Platon auch in dieser reihe: seit wir die enttäuschung erlebt haben, die uns sein bild bereitet hat, verstehn wir, daſs er μελαγχολᾷ. wenn Herakles in die reihe der heroen des geistes und der sittlichen kraft eingeführt ist, so ist das in unserm sinne keine degradation, die gewalt der alten sagengestalt macht sich auch darin noch fühlbar. aber das ideal des höchsten menschentumes war doch ein anderes geworden; die Hellenen hatten gelernt, wo die grenzen der menschheit stehen, und daſs der ruhm, ein woltäter der menschheit121) zu werden, nur mit dem eignen herzblut erkauft werden kann. werden, namentlich die charakteristik von Platon, Sokrates, Lysandros ist bezeichnend. auch wird der inhalt als aristotelisch von den grammatikern (Erotian Ἡρακλεία νόσος) und Plutarch (Lysand. 2) citirt. die Ἡρακλῄη νόσος der späthippokratischen schrift über die weiblichen krankheiten I 17 (II 623 Kühn) meint die epilepsie, es ist also ein parallelname zu ἱερὴ νοῦσος und bedeutet nur die ‘ungeheuerliche’, wie Ἡρακλεία λίϑος den wunderbaren magnetstein; so haben die grammatiker richtig erklärt (Erotian, Galen zu Epidem. VI 7, XVIIb 341 K). Herakles selbst ist nicht epi- leptisch wie Caesar und Muhammed gewesen, wol aber Alexander μελαγχολῶν wie Herakles. 121) Als εύεργὲτης βροτῶν hat Aristoteles wie Euripides den Herakles gefaſst,
in dem er natürlich eine geschichtliche person sah. als solchem sollen ihm die säulen des westens geweiht sein, Aelian. V. H. V 2 (Rose fgm. 678 zieht zu wenig aus und verdirbt den sinn). die heroen als verehrer der ἀρετή feiert Aristoteles in seinem threnos auf Hermeias, und zwar stellt er Herakles und die Dioskuren zuerst, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0351" n="331"/><fw place="top" type="header">Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.</fw><lb/> worte von der melancholie der genialen naturen zur sinnlosigkeit ver-<lb/> dreht, weil μελαγχολᾶν und melancholie kaum etwas mit einander zu<lb/> tun haben; selbst Dürers Melancholie kann man zur erklärung der aristo-<lb/> telischen gedanken nicht herbeiziehn. besser geschieht das durch die<lb/> vergleichung, welche Aristoteles selbst gibt, daſs die schwarze galle auf<lb/> die gemütsart etwa so wirkt wie ein köstlicher starker wein. wir dürfen<lb/> etwa sagen, daſs in der seele dieser höchstbegnadigten unter den sterb-<lb/> lichen ein vulkanisches feuer brennt; so lange es nur in der tiefe treibt<lb/> und wärmt, bringen sie hervor, was reicher und köstlicher ist, als sonst<lb/> ein mensch vermag, aber wehe, wenn es durchbricht: dann verzehrt es<lb/> alles und vernichtet sie selbst zuerst. schweres blut, schwerer mut: “der<lb/> blick der schwermut ist ein fürchterlicher vorzug”. sie sind mehr als<lb/> die ἄνδρες καλοὶ κἀγαϑοί, die eingepfercht zwischen die schranken der<lb/> σωφροσύνη den sichern weg ziehen, den die meilenzeiger des νόμος<lb/> weisen. aber sie sind was sie sind und leisten was sie leisten nur im<lb/> gewaltsamen bruche dieser schranken; und das büſsen sie, am schwersten<lb/> im eignen innern. sie sind eben doch auch keine götter, denen allein<lb/> das leben leicht ist. Aristoteles hatte ja einen solchen heros gesehen,<lb/> und er nennt Platon auch in dieser reihe: seit wir die enttäuschung erlebt<lb/> haben, die uns sein bild bereitet hat, verstehn wir, daſs er μελαγχολᾷ.<lb/> wenn Herakles in die reihe der heroen des geistes und der sittlichen kraft<lb/> eingeführt ist, so ist das in unserm sinne keine degradation, die gewalt<lb/> der alten sagengestalt macht sich auch darin noch fühlbar. aber das ideal<lb/> des höchsten menschentumes war doch ein anderes geworden; die Hellenen<lb/> hatten gelernt, wo die grenzen der menschheit stehen, und daſs der ruhm,<lb/> ein woltäter der menschheit<note xml:id="note-0351a" next="#note-0352" place="foot" n="121)">Als εύεργὲτης βροτῶν hat Aristoteles wie Euripides den Herakles gefaſst,<lb/> in dem er natürlich eine geschichtliche person sah. als solchem sollen ihm die<lb/> säulen des westens geweiht sein, Aelian. V. H. V 2 (Rose fgm. 678 zieht zu wenig<lb/> aus und verdirbt den sinn). die heroen als verehrer der ἀρετή feiert Aristoteles in<lb/> seinem threnos auf Hermeias, und zwar stellt er Herakles und die Dioskuren zuerst,</note> zu werden, nur mit dem eignen herzblut<lb/> erkauft werden kann.</p><lb/> <note xml:id="note-0351" prev="#note-0350" place="foot" n="120)">werden, namentlich die charakteristik von Platon, Sokrates, Lysandros ist bezeichnend.<lb/> auch wird der inhalt als aristotelisch von den grammatikern (Erotian Ἡρακλεία νόσος)<lb/> und Plutarch (Lysand. 2) citirt. die Ἡρακλῄη νόσος der späthippokratischen schrift<lb/> über die weiblichen krankheiten I 17 (II 623 Kühn) meint die epilepsie, es ist<lb/> also ein parallelname zu ἱερὴ νοῦσος und bedeutet nur die ‘ungeheuerliche’, wie<lb/> Ἡρακλεία λίϑος den wunderbaren magnetstein; so haben die grammatiker richtig<lb/> erklärt (Erotian, Galen zu Epidem. VI 7, XVII<hi rendition="#sup">b</hi> 341 <hi rendition="#i">K</hi>). Herakles selbst ist nicht epi-<lb/> leptisch wie Caesar und Muhammed gewesen, wol aber Alexander μελαγχολῶν wie<lb/> Herakles.</note><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [331/0351]
Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.
worte von der melancholie der genialen naturen zur sinnlosigkeit ver-
dreht, weil μελαγχολᾶν und melancholie kaum etwas mit einander zu
tun haben; selbst Dürers Melancholie kann man zur erklärung der aristo-
telischen gedanken nicht herbeiziehn. besser geschieht das durch die
vergleichung, welche Aristoteles selbst gibt, daſs die schwarze galle auf
die gemütsart etwa so wirkt wie ein köstlicher starker wein. wir dürfen
etwa sagen, daſs in der seele dieser höchstbegnadigten unter den sterb-
lichen ein vulkanisches feuer brennt; so lange es nur in der tiefe treibt
und wärmt, bringen sie hervor, was reicher und köstlicher ist, als sonst
ein mensch vermag, aber wehe, wenn es durchbricht: dann verzehrt es
alles und vernichtet sie selbst zuerst. schweres blut, schwerer mut: “der
blick der schwermut ist ein fürchterlicher vorzug”. sie sind mehr als
die ἄνδρες καλοὶ κἀγαϑοί, die eingepfercht zwischen die schranken der
σωφροσύνη den sichern weg ziehen, den die meilenzeiger des νόμος
weisen. aber sie sind was sie sind und leisten was sie leisten nur im
gewaltsamen bruche dieser schranken; und das büſsen sie, am schwersten
im eignen innern. sie sind eben doch auch keine götter, denen allein
das leben leicht ist. Aristoteles hatte ja einen solchen heros gesehen,
und er nennt Platon auch in dieser reihe: seit wir die enttäuschung erlebt
haben, die uns sein bild bereitet hat, verstehn wir, daſs er μελαγχολᾷ.
wenn Herakles in die reihe der heroen des geistes und der sittlichen kraft
eingeführt ist, so ist das in unserm sinne keine degradation, die gewalt
der alten sagengestalt macht sich auch darin noch fühlbar. aber das ideal
des höchsten menschentumes war doch ein anderes geworden; die Hellenen
hatten gelernt, wo die grenzen der menschheit stehen, und daſs der ruhm,
ein woltäter der menschheit 121) zu werden, nur mit dem eignen herzblut
erkauft werden kann.
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121) Als εύεργὲτης βροτῶν hat Aristoteles wie Euripides den Herakles gefaſst,
in dem er natürlich eine geschichtliche person sah. als solchem sollen ihm die
säulen des westens geweiht sein, Aelian. V. H. V 2 (Rose fgm. 678 zieht zu wenig
aus und verdirbt den sinn). die heroen als verehrer der ἀρετή feiert Aristoteles in
seinem threnos auf Hermeias, und zwar stellt er Herakles und die Dioskuren zuerst,
120) werden, namentlich die charakteristik von Platon, Sokrates, Lysandros ist bezeichnend.
auch wird der inhalt als aristotelisch von den grammatikern (Erotian Ἡρακλεία νόσος)
und Plutarch (Lysand. 2) citirt. die Ἡρακλῄη νόσος der späthippokratischen schrift
über die weiblichen krankheiten I 17 (II 623 Kühn) meint die epilepsie, es ist
also ein parallelname zu ἱερὴ νοῦσος und bedeutet nur die ‘ungeheuerliche’, wie
Ἡρακλεία λίϑος den wunderbaren magnetstein; so haben die grammatiker richtig
erklärt (Erotian, Galen zu Epidem. VI 7, XVIIb 341 K). Herakles selbst ist nicht epi-
leptisch wie Caesar und Muhammed gewesen, wol aber Alexander μελαγχολῶν wie
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