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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Lebensführung.
darüber haben sie ganz vergessen, dass der dichter sowol für sein vater-
land in officiellem auftrag tätig gewesen ist, wie auch in verbindung
zu dem staatsmanne gestanden hat, der für sein vaterland verhängnis-
voll geworden ist. uns ist das durch die geschichtsschreiber überliefert
worden.

In der perikleischen zeit, wo Sophokles in den höchsten staatsämtern
tätig ist, verlautet von Euripides nichts, und seine ältesten dramen zeigen
keine starken einwirkungen der zeitgeschichte; was vorkommt, sind nur
äusserungen der allgemeinen stimmung 19). aber längst hat man bemerkt,
dass er gegen ende des archidamischen krieges geradezu tendenzstücke
dichtet. davon sind die Hiketiden erhalten, in welchen der rat, frieden mit
Sparta, aber anschluss an Argos zu suchen, kaum minder hervorsticht als die
forderung, dass Athen einen neanias strategos esthlos erhalte, wie The-
seus es ist (192). damals bewarb sich Alkibiades um diese stellung und nahm
bald die führung des staates mit der entschiedenen tendenz in die hand,
durch den bund mit Argos Sparta im Peloponnes selbst matt zu setzen. den
höhepunkt persönlichen glanzes erreichte derselbe, als er an der feier der
neunzigsten olympiade, von der Sparta ausgeschlossen war, mit einer
ganzen reihe viergespanne auftrat und preise davontrug. und zu dieser
siegesfeier hat Euripides ihm das siegeslied gedichtet, das letzte nach-
weisbare beispiel dieser pindarischen weise. damit hatte er partei ge-
nommen im angesichte aller Hellenen. der grossartige Athenerstolz, der
in den dichtungen jener jahre lebt, und der auch ein stolz auf die
demokratische verfassung ist, zeigt, wie zukunftsfreudig seine stimmung
war. ohne zweifel hat er in Alkibiades einen grösseren Perikles gehofft.
aber was er gleichzeitig ersehnte, war der friede, und ausdrücklich ist
uns überliefert, dass ein friedenslied aus dem Erechtheus in aller munde

19) Ins besondere liegt keine spur davon vor, dass Eur. zu Perikles und seinem
kreise beziehungen gehabt oder die perikleische politik in entschiedener weise ver-
treten hätte. Böckh hat zwar auf den unlängst vorher erfolgten tod des Perikles das
wort bezogen, das Theseus an der leiche des Hippolytos spricht, 1459, o klein Athe-
non Pallados thorismata oiou steresesth andros. aber einen ausserhalb des dramas
liegenden bezug dürfte man nur hineintragen, wenn die unmittelbare deutung nicht
genügte. und die würdigung des Hippolytos ist nur die gerechte (955. 1100). übrigens
ist der vers verdorben, da orismata nicht mit den namen des landes und der göttin
verbunden werden kann. gefordert wird, da Theseus in Trozen spricht, eine be-
zeichnung dieser stadt, wie 973, 1095, 1159. zu schreiben ist o klein Athenon
Pelopias th orismata, vgl. 373. damit ist die beziehung auf Perikles unmöglich,
denn dessen tod als ein unglück für die Peloponnesier hinzustellen, würde eine be-
leidigung des toten gewesen sein.

Lebensführung.
darüber haben sie ganz vergessen, daſs der dichter sowol für sein vater-
land in officiellem auftrag tätig gewesen ist, wie auch in verbindung
zu dem staatsmanne gestanden hat, der für sein vaterland verhängnis-
voll geworden ist. uns ist das durch die geschichtsschreiber überliefert
worden.

In der perikleischen zeit, wo Sophokles in den höchsten staatsämtern
tätig ist, verlautet von Euripides nichts, und seine ältesten dramen zeigen
keine starken einwirkungen der zeitgeschichte; was vorkommt, sind nur
äuſserungen der allgemeinen stimmung 19). aber längst hat man bemerkt,
daſs er gegen ende des archidamischen krieges geradezu tendenzstücke
dichtet. davon sind die Hiketiden erhalten, in welchen der rat, frieden mit
Sparta, aber anschluſs an Argos zu suchen, kaum minder hervorsticht als die
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seus es ist (192). damals bewarb sich Alkibiades um diese stellung und nahm
bald die führung des staates mit der entschiedenen tendenz in die hand,
durch den bund mit Argos Sparta im Peloponnes selbst matt zu setzen. den
höhepunkt persönlichen glanzes erreichte derselbe, als er an der feier der
neunzigsten olympiade, von der Sparta ausgeschlossen war, mit einer
ganzen reihe viergespanne auftrat und preise davontrug. und zu dieser
siegesfeier hat Euripides ihm das siegeslied gedichtet, das letzte nach-
weisbare beispiel dieser pindarischen weise. damit hatte er partei ge-
nommen im angesichte aller Hellenen. der groſsartige Athenerstolz, der
in den dichtungen jener jahre lebt, und der auch ein stolz auf die
demokratische verfassung ist, zeigt, wie zukunftsfreudig seine stimmung
war. ohne zweifel hat er in Alkibiades einen gröſseren Perikles gehofft.
aber was er gleichzeitig ersehnte, war der friede, und ausdrücklich ist
uns überliefert, daſs ein friedenslied aus dem Erechtheus in aller munde

19) Ins besondere liegt keine spur davon vor, daſs Eur. zu Perikles und seinem
kreise beziehungen gehabt oder die perikleische politik in entschiedener weise ver-
treten hätte. Böckh hat zwar auf den unlängst vorher erfolgten tod des Perikles das
wort bezogen, das Theseus an der leiche des Hippolytos spricht, 1459, ὦ κλείν̕ Ἀϑη-
νῶν Παλλάδος ϑ̕ὁρίσματα οἵου στερήσεσϑ̕ ἀνδρός. aber einen auſserhalb des dramas
liegenden bezug dürfte man nur hineintragen, wenn die unmittelbare deutung nicht
genügte. und die würdigung des Hippolytos ist nur die gerechte (955. 1100). übrigens
ist der vers verdorben, da ὁρίσματα nicht mit den namen des landes und der göttin
verbunden werden kann. gefordert wird, da Theseus in Trozen spricht, eine be-
zeichnung dieser stadt, wie 973, 1095, 1159. zu schreiben ist ὦ κλείν̕ Ἀϑηνῶν
Πελοπίας ϑ̕ ὁρίσματα, vgl. 373. damit ist die beziehung auf Perikles unmöglich,
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[13/0033] Lebensführung. darüber haben sie ganz vergessen, daſs der dichter sowol für sein vater- land in officiellem auftrag tätig gewesen ist, wie auch in verbindung zu dem staatsmanne gestanden hat, der für sein vaterland verhängnis- voll geworden ist. uns ist das durch die geschichtsschreiber überliefert worden. In der perikleischen zeit, wo Sophokles in den höchsten staatsämtern tätig ist, verlautet von Euripides nichts, und seine ältesten dramen zeigen keine starken einwirkungen der zeitgeschichte; was vorkommt, sind nur äuſserungen der allgemeinen stimmung 19). aber längst hat man bemerkt, daſs er gegen ende des archidamischen krieges geradezu tendenzstücke dichtet. davon sind die Hiketiden erhalten, in welchen der rat, frieden mit Sparta, aber anschluſs an Argos zu suchen, kaum minder hervorsticht als die forderung, daſs Athen einen νεανίας στρατηγὸς ἐσϑλός erhalte, wie The- seus es ist (192). damals bewarb sich Alkibiades um diese stellung und nahm bald die führung des staates mit der entschiedenen tendenz in die hand, durch den bund mit Argos Sparta im Peloponnes selbst matt zu setzen. den höhepunkt persönlichen glanzes erreichte derselbe, als er an der feier der neunzigsten olympiade, von der Sparta ausgeschlossen war, mit einer ganzen reihe viergespanne auftrat und preise davontrug. und zu dieser siegesfeier hat Euripides ihm das siegeslied gedichtet, das letzte nach- weisbare beispiel dieser pindarischen weise. damit hatte er partei ge- nommen im angesichte aller Hellenen. der groſsartige Athenerstolz, der in den dichtungen jener jahre lebt, und der auch ein stolz auf die demokratische verfassung ist, zeigt, wie zukunftsfreudig seine stimmung war. ohne zweifel hat er in Alkibiades einen gröſseren Perikles gehofft. aber was er gleichzeitig ersehnte, war der friede, und ausdrücklich ist uns überliefert, daſs ein friedenslied aus dem Erechtheus in aller munde 19) Ins besondere liegt keine spur davon vor, daſs Eur. zu Perikles und seinem kreise beziehungen gehabt oder die perikleische politik in entschiedener weise ver- treten hätte. Böckh hat zwar auf den unlängst vorher erfolgten tod des Perikles das wort bezogen, das Theseus an der leiche des Hippolytos spricht, 1459, ὦ κλείν̕ Ἀϑη- νῶν Παλλάδος ϑ̕ὁρίσματα οἵου στερήσεσϑ̕ ἀνδρός. aber einen auſserhalb des dramas liegenden bezug dürfte man nur hineintragen, wenn die unmittelbare deutung nicht genügte. und die würdigung des Hippolytos ist nur die gerechte (955. 1100). übrigens ist der vers verdorben, da ὁρίσματα nicht mit den namen des landes und der göttin verbunden werden kann. gefordert wird, da Theseus in Trozen spricht, eine be- zeichnung dieser stadt, wie 973, 1095, 1159. zu schreiben ist ὦ κλείν̕ Ἀϑηνῶν Πελοπίας ϑ̕ ὁρίσματα, vgl. 373. damit ist die beziehung auf Perikles unmöglich, denn dessen tod als ein unglück für die Peloponnesier hinzustellen, würde eine be- leidigung des toten gewesen sein.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/33>, abgerufen am 24.11.2024.