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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Der Herakles der sage.
lediglich die metopen, also die willkür jener peloponnesischen künstler
oder ihrer auftraggeber der gesammten mythographie den ganzen cyclus
aufgezwungen hätte, ist an sich eine ungeheuerliche annahme, und selbst
an dem einen stücke lässt sie sich widerlegen: denn die mythographie
hat zwar die ställe aufgenommen, aber die Kentauromachie nicht auf-
gegeben, sondern nur in anorganischer weise als beiwerk bei dem eber
untergebracht. somit hat der cyclus der 12 taten um 480 im Peloponnes
kanonische geltung gehabt. auch Euripides stimmt zu Olympia nicht
bloss in der zahl, sondern in neun kämpfen. neun hat auch das Theseion,
an welchem die Kentauren aus demselben grunde wie in Olympia fehlen
mussten. an ihrer stelle erscheint der von Euripides fortgelassene eber,
der also schon damals mit diesem abenteuer wechseln konnte, wie in
der mythographie. in wahrheit bezeugt also Athen 10 von 12, und die
fehlenden, vögel und stier, fehlen aus bestimmtem besonderem grunde.
nun tritt aber die mythographie, und zwar auschlaggebend hinzu. wer
mit diesem factor wirklich zu rechnen gelernt hat, kann darüber in
zweifel sein, ob nicht alle erzähler der Heraklestaten den cyclus fest-
gehalten haben: dass er bei Pherekydes gestanden hat, kann er nicht
bezweifeln, und er weiss dann, dass wol das beste zeugnis, das aus dem
5. jahrhundert für die geltende sage beizubringen ist, diesen cyclus voraus-
setzt. aber noch mehr: er hat für die ganze folgezeit gegolten. so steht
es: selbst gigantomachie, eroberung Oichalias, bezwingung des Acheloos
sind parerga geblieben. man hat sich mit dem widersinn abfinden
müssen, dass ein wildschwein und ein bulle mehr bedeuten als die be-
friedung des westens und die eroberung von Troia.

Zunächst ist damit nur bewiesen, dass der cyclus aus der archaischen
zeit stammt. nun ist er aber auch eine wirkliche einheit und ein wirk-
liches ganze, kein ungefüges conglomerat einzelner taten. ein gedanke
beherrscht ihn, Herakles ist der wehrhafte mann, der den frieden und
wolstand seines landes sichert: mokhthesas akumon etheken bioton bro-
tois, persas deimata theron. er selbst baut den acker nicht, aber er
gibt den ackerbauern die sicherheit, ihrem geschäfte nachzugehen: das
liegt den ersten sechs kämpfen allen zu grunde. so ist Herakles das rechte
idealbild eines streitbaren adels, der über perioeken herrscht, des wehr-
standes, der die schlachten schlägt, während die bauern ihn nähren. seiner
hand stehen die schätze aller himmelsrichtungen zu gebote; ihm gehört

sie ist aber vielleicht zu finden. übrigens haben die leute von Phigaleia auf dem
friese ihres Apollontempels dieselbe Kentauromachie verstanden, mochten auch die
athenischen künstler eine andere gemeint haben.

Der Herakles der sage.
lediglich die metopen, also die willkür jener peloponnesischen künstler
oder ihrer auftraggeber der gesammten mythographie den ganzen cyclus
aufgezwungen hätte, ist an sich eine ungeheuerliche annahme, und selbst
an dem einen stücke läſst sie sich widerlegen: denn die mythographie
hat zwar die ställe aufgenommen, aber die Kentauromachie nicht auf-
gegeben, sondern nur in anorganischer weise als beiwerk bei dem eber
untergebracht. somit hat der cyclus der 12 taten um 480 im Peloponnes
kanonische geltung gehabt. auch Euripides stimmt zu Olympia nicht
bloſs in der zahl, sondern in neun kämpfen. neun hat auch das Theseion,
an welchem die Kentauren aus demselben grunde wie in Olympia fehlen
muſsten. an ihrer stelle erscheint der von Euripides fortgelassene eber,
der also schon damals mit diesem abenteuer wechseln konnte, wie in
der mythographie. in wahrheit bezeugt also Athen 10 von 12, und die
fehlenden, vögel und stier, fehlen aus bestimmtem besonderem grunde.
nun tritt aber die mythographie, und zwar auschlaggebend hinzu. wer
mit diesem factor wirklich zu rechnen gelernt hat, kann darüber in
zweifel sein, ob nicht alle erzähler der Heraklestaten den cyclus fest-
gehalten haben: daſs er bei Pherekydes gestanden hat, kann er nicht
bezweifeln, und er weiſs dann, daſs wol das beste zeugnis, das aus dem
5. jahrhundert für die geltende sage beizubringen ist, diesen cyclus voraus-
setzt. aber noch mehr: er hat für die ganze folgezeit gegolten. so steht
es: selbst gigantomachie, eroberung Oichalias, bezwingung des Acheloos
sind πάρεργα geblieben. man hat sich mit dem widersinn abfinden
müssen, daſs ein wildschwein und ein bulle mehr bedeuten als die be-
friedung des westens und die eroberung von Troia.

Zunächst ist damit nur bewiesen, daſs der cyclus aus der archaischen
zeit stammt. nun ist er aber auch eine wirkliche einheit und ein wirk-
liches ganze, kein ungefüges conglomerat einzelner taten. ein gedanke
beherrscht ihn, Herakles ist der wehrhafte mann, der den frieden und
wolstand seines landes sichert: μοχϑήσας ἀκύμον̕ ἔϑηκεν βίοτον βρο-
τοῖς, πέρσας δείματα ϑηρῶν. er selbst baut den acker nicht, aber er
gibt den ackerbauern die sicherheit, ihrem geschäfte nachzugehen: das
liegt den ersten sechs kämpfen allen zu grunde. so ist Herakles das rechte
idealbild eines streitbaren adels, der über perioeken herrscht, des wehr-
standes, der die schlachten schlägt, während die bauern ihn nähren. seiner
hand stehen die schätze aller himmelsrichtungen zu gebote; ihm gehört

sie ist aber vielleicht zu finden. übrigens haben die leute von Phigaleia auf dem
friese ihres Apollontempels dieselbe Kentauromachie verstanden, mochten auch die
athenischen künstler eine andere gemeint haben.
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[306/0326] Der Herakles der sage. lediglich die metopen, also die willkür jener peloponnesischen künstler oder ihrer auftraggeber der gesammten mythographie den ganzen cyclus aufgezwungen hätte, ist an sich eine ungeheuerliche annahme, und selbst an dem einen stücke läſst sie sich widerlegen: denn die mythographie hat zwar die ställe aufgenommen, aber die Kentauromachie nicht auf- gegeben, sondern nur in anorganischer weise als beiwerk bei dem eber untergebracht. somit hat der cyclus der 12 taten um 480 im Peloponnes kanonische geltung gehabt. auch Euripides stimmt zu Olympia nicht bloſs in der zahl, sondern in neun kämpfen. neun hat auch das Theseion, an welchem die Kentauren aus demselben grunde wie in Olympia fehlen muſsten. an ihrer stelle erscheint der von Euripides fortgelassene eber, der also schon damals mit diesem abenteuer wechseln konnte, wie in der mythographie. in wahrheit bezeugt also Athen 10 von 12, und die fehlenden, vögel und stier, fehlen aus bestimmtem besonderem grunde. nun tritt aber die mythographie, und zwar auschlaggebend hinzu. wer mit diesem factor wirklich zu rechnen gelernt hat, kann darüber in zweifel sein, ob nicht alle erzähler der Heraklestaten den cyclus fest- gehalten haben: daſs er bei Pherekydes gestanden hat, kann er nicht bezweifeln, und er weiſs dann, daſs wol das beste zeugnis, das aus dem 5. jahrhundert für die geltende sage beizubringen ist, diesen cyclus voraus- setzt. aber noch mehr: er hat für die ganze folgezeit gegolten. so steht es: selbst gigantomachie, eroberung Oichalias, bezwingung des Acheloos sind πάρεργα geblieben. man hat sich mit dem widersinn abfinden müssen, daſs ein wildschwein und ein bulle mehr bedeuten als die be- friedung des westens und die eroberung von Troia. Zunächst ist damit nur bewiesen, daſs der cyclus aus der archaischen zeit stammt. nun ist er aber auch eine wirkliche einheit und ein wirk- liches ganze, kein ungefüges conglomerat einzelner taten. ein gedanke beherrscht ihn, Herakles ist der wehrhafte mann, der den frieden und wolstand seines landes sichert: μοχϑήσας ἀκύμον̕ ἔϑηκεν βίοτον βρο- τοῖς, πέρσας δείματα ϑηρῶν. er selbst baut den acker nicht, aber er gibt den ackerbauern die sicherheit, ihrem geschäfte nachzugehen: das liegt den ersten sechs kämpfen allen zu grunde. so ist Herakles das rechte idealbild eines streitbaren adels, der über perioeken herrscht, des wehr- standes, der die schlachten schlägt, während die bauern ihn nähren. seiner hand stehen die schätze aller himmelsrichtungen zu gebote; ihm gehört 74) 74) sie ist aber vielleicht zu finden. übrigens haben die leute von Phigaleia auf dem friese ihres Apollontempels dieselbe Kentauromachie verstanden, mochten auch die athenischen künstler eine andere gemeint haben.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/326>, abgerufen am 25.11.2024.