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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Die dienstbarkeit. Her. in Theben.

Ausserhalb von Argos hat weder die abstammung aus dem blute desHer. in
Theben.

Perseus noch die dienstbarkeit irgend welche bedeutung. aber obwol
gerade in Boeotien der cultus der Alkmene so lebhaft war wie nirgend
sonst 53), Theben die geburtsstätte des Herakles ohne widerspruch geworden
ist, seine erzeugung und seine jugend durch boeotische dichtung ver-
herrlicht ward, hat doch schon ehe unsere tradition beginnt der über-
mächtige einfluss der argolischen sage gesiegt, oder vielmehr einen com-
promiss erzwungen. Alkmene war und blieb eine Tirynthierin, und eben
daher sollte auch der irdische vater des Herakles stammen, den er in
Amphitryon erhielt. dieser hatte in wahrheit gar nichts in Argos zu
suchen, sondern war ein thebanischer held. der zug Amphitryons gegen
die Teleboer oder Taphier, der ganz ungewöhnliche und unverständliche
völker- und machtverhältnisse voraussetzt, die verbindung mit Kephalos
von Thorikos, die jagd des teumesischen fuchses, das sind sagen die schon
im 5. jahrhundert halb verklungen sind, um so mehr aber beweisen, dass
Amphitryon eine selbständige bedeutung neben Herakles gehabt hat, und
für ihn die stellung als nährvater des Zeuskindes ein degradation be-
deutete. aus dieser empfindung heraus ist der conflict zwischen Alkmene
und Amphitryon entstanden, ein conflict, der für antikes und modernes
empfinden ein guter prüsstein ist. wer einfach antik empfindet, wird den
gatten, dem ein gott aus seinem weibe einen übermenschlich herrlichen
sohn schenkt, demütig und stolz zugleich die gnade hinnehmen lassen, wie
Tyndareos, Ariston der vater Platons, Joseph der zimmermann tun. wer
modern empfindet, wird einen hahnrei sehen: den komisch oder tragisch
zu nehmen gleichermassen eine errungenschaft der christlich germanischen
weltanschauung ist. man muss diesen gegensatz zu verstehen und auch
zu empfinden gelernt haben, um das ganz singuläre zu schätzen, das in
der Amphitryonfabel liegt. und man muss die glänzende und völlig ge-
lungene leistung Molieres bewundern, aber auch den mislungenen ver-
such Heinrichs von Kleist, die ehrwürdige und heilige sage nach ihrem
werte verständlich zu machen, bewundern können, damit man die freiheit

der in eros steckt: also zwar nicht lautlich, aber dem sinne nach steht sie als Nerio
neben Nar Nero, oder noch besser, sie ist frouwa.
53) Pausan. V 17, 8 bezeugt, dass der samische genealoge Asios unter den
kindern des Amphiaraos eine Alkmene nannte. aber dass diese die mutter des Herakles
gewesen wäre, sagt er nicht, und kann man leider nicht annehmen: genealogen
pflegen ihre listen mit beliebigen heroennamen zu füllen. an sich würde man sehr
gern sehen, dass die Boeoter ihre ansprüche auf das land des gottes, der mit
wechselnden namen Amphiaraos Trephonios Melampous Asklepios heisst, dadurch
begründet hätten, dass die mutter ihres heros seine tochter gewesen wäre.
Die dienstbarkeit. Her. in Theben.

Auſserhalb von Argos hat weder die abstammung aus dem blute desHer. in
Theben.

Perseus noch die dienstbarkeit irgend welche bedeutung. aber obwol
gerade in Boeotien der cultus der Alkmene so lebhaft war wie nirgend
sonst 53), Theben die geburtsstätte des Herakles ohne widerspruch geworden
ist, seine erzeugung und seine jugend durch boeotische dichtung ver-
herrlicht ward, hat doch schon ehe unsere tradition beginnt der über-
mächtige einfluſs der argolischen sage gesiegt, oder vielmehr einen com-
promiſs erzwungen. Alkmene war und blieb eine Tirynthierin, und eben
daher sollte auch der irdische vater des Herakles stammen, den er in
Amphitryon erhielt. dieser hatte in wahrheit gar nichts in Argos zu
suchen, sondern war ein thebanischer held. der zug Amphitryons gegen
die Teleboer oder Taphier, der ganz ungewöhnliche und unverständliche
völker- und machtverhältnisse voraussetzt, die verbindung mit Kephalos
von Thorikos, die jagd des teumesischen fuchses, das sind sagen die schon
im 5. jahrhundert halb verklungen sind, um so mehr aber beweisen, daſs
Amphitryon eine selbständige bedeutung neben Herakles gehabt hat, und
für ihn die stellung als nährvater des Zeuskindes ein degradation be-
deutete. aus dieser empfindung heraus ist der conflict zwischen Alkmene
und Amphitryon entstanden, ein conflict, der für antikes und modernes
empfinden ein guter prüſstein ist. wer einfach antik empfindet, wird den
gatten, dem ein gott aus seinem weibe einen übermenschlich herrlichen
sohn schenkt, demütig und stolz zugleich die gnade hinnehmen lassen, wie
Tyndareos, Ariston der vater Platons, Joseph der zimmermann tun. wer
modern empfindet, wird einen hahnrei sehen: den komisch oder tragisch
zu nehmen gleichermaſsen eine errungenschaft der christlich germanischen
weltanschauung ist. man muſs diesen gegensatz zu verstehen und auch
zu empfinden gelernt haben, um das ganz singuläre zu schätzen, das in
der Amphitryonfabel liegt. und man muſs die glänzende und völlig ge-
lungene leistung Molières bewundern, aber auch den mislungenen ver-
such Heinrichs von Kleist, die ehrwürdige und heilige sage nach ihrem
werte verständlich zu machen, bewundern können, damit man die freiheit

der in ἥρως steckt: also zwar nicht lautlich, aber dem sinne nach steht sie als Nerio
neben Nar Nero, oder noch besser, sie ist frouwa.
53) Pausan. V 17, 8 bezeugt, daſs der samische genealoge Asios unter den
kindern des Amphiaraos eine Alkmene nannte. aber daſs diese die mutter des Herakles
gewesen wäre, sagt er nicht, und kann man leider nicht annehmen: genealogen
pflegen ihre listen mit beliebigen heroennamen zu füllen. an sich würde man sehr
gern sehen, daſs die Boeoter ihre ansprüche auf das land des gottes, der mit
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[297/0317] Die dienstbarkeit. Her. in Theben. Auſserhalb von Argos hat weder die abstammung aus dem blute des Perseus noch die dienstbarkeit irgend welche bedeutung. aber obwol gerade in Boeotien der cultus der Alkmene so lebhaft war wie nirgend sonst 53), Theben die geburtsstätte des Herakles ohne widerspruch geworden ist, seine erzeugung und seine jugend durch boeotische dichtung ver- herrlicht ward, hat doch schon ehe unsere tradition beginnt der über- mächtige einfluſs der argolischen sage gesiegt, oder vielmehr einen com- promiſs erzwungen. Alkmene war und blieb eine Tirynthierin, und eben daher sollte auch der irdische vater des Herakles stammen, den er in Amphitryon erhielt. dieser hatte in wahrheit gar nichts in Argos zu suchen, sondern war ein thebanischer held. der zug Amphitryons gegen die Teleboer oder Taphier, der ganz ungewöhnliche und unverständliche völker- und machtverhältnisse voraussetzt, die verbindung mit Kephalos von Thorikos, die jagd des teumesischen fuchses, das sind sagen die schon im 5. jahrhundert halb verklungen sind, um so mehr aber beweisen, daſs Amphitryon eine selbständige bedeutung neben Herakles gehabt hat, und für ihn die stellung als nährvater des Zeuskindes ein degradation be- deutete. aus dieser empfindung heraus ist der conflict zwischen Alkmene und Amphitryon entstanden, ein conflict, der für antikes und modernes empfinden ein guter prüſstein ist. wer einfach antik empfindet, wird den gatten, dem ein gott aus seinem weibe einen übermenschlich herrlichen sohn schenkt, demütig und stolz zugleich die gnade hinnehmen lassen, wie Tyndareos, Ariston der vater Platons, Joseph der zimmermann tun. wer modern empfindet, wird einen hahnrei sehen: den komisch oder tragisch zu nehmen gleichermaſsen eine errungenschaft der christlich germanischen weltanschauung ist. man muſs diesen gegensatz zu verstehen und auch zu empfinden gelernt haben, um das ganz singuläre zu schätzen, das in der Amphitryonfabel liegt. und man muſs die glänzende und völlig ge- lungene leistung Molières bewundern, aber auch den mislungenen ver- such Heinrichs von Kleist, die ehrwürdige und heilige sage nach ihrem werte verständlich zu machen, bewundern können, damit man die freiheit 52) Her. in Theben. 53) Pausan. V 17, 8 bezeugt, daſs der samische genealoge Asios unter den kindern des Amphiaraos eine Alkmene nannte. aber daſs diese die mutter des Herakles gewesen wäre, sagt er nicht, und kann man leider nicht annehmen: genealogen pflegen ihre listen mit beliebigen heroennamen zu füllen. an sich würde man sehr gern sehen, daſs die Boeoter ihre ansprüche auf das land des gottes, der mit wechselnden namen Ἀμφιάραος Τρεφώνιος Μελάμπους Ἀσκληπιός heiſst, dadurch begründet hätten, daſs die mutter ihres heros seine tochter gewesen wäre. 52) der in ἥρως steckt: also zwar nicht lautlich, aber dem sinne nach steht sie als Nerio neben Nar Nero, oder noch besser, sie ist frouwa.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/317>, abgerufen am 22.11.2024.