ist. dachte er doch sogar daran, nicht nur den Prometheus, sondern selbst das sprödeste aller antiken dramen, die Hiketiden des Aischylos, durch nachdichtung des anschliessenden stückes zu ergänzen. aber er vermochte all das wesentlich durch die intuitive kraft der congenialität. dies vorrecht war keinem zweiten gegeben; selbst Schiller ist es nicht gelungen mit irgend einer andern hellenischen poesie ausser Homer ein innerliches verhältnis zu gewinnen. es ist eben nicht anders: man konnte in Deutschland kein griechisch.
Griechisch zu können und lehren zu können, die schande von demGottfried Hermann. deutschen namen zu entfernen, die er noch in Porsons augen mit recht trug, das war die nächste und wichtigste aufgabe der philologie; an ein mehr als an der oberfläche tastendes oder zu allgemeinheiten in un- sicherem fluge sich erhebendes verständnis der tragiker war vorher gar nicht zu denken. dies nächste und notwendigste geleistet zu haben ist Gottfried Hermanns verdienst. er konnte griechisch wie kein deutscher vor ihm, jeder spätere aber durch ihn, er durch eigene kraft aus dem lebendigen verkehre mit den schriftwerken. er lehrte viele generationen hinter einander griechisch, indem er sie wieder in den lebendigen ver- kehr mit den schriftstellern einführte, er übertrug auf sie das charisma seines geistes. das können war's, was ihn zum grossen manne machte. gleich unempfänglich für den kribskrabs der imagination wie für den krimskrams der erudition gieng er geraden weges auf das zu, was er wiederholt als das ziel seiner philologie hinstellte, das verständnis des geschriebenen. rücksichtslos schüttelte er alles ab, was ihm diese einfache aufgabe zu stören schien. mit dem frischen wagemute des reiters, der dem Deutschen das ideal des mannes ist, hielt er sich an die husaren- parole 'vorwärts'; aplous o muthos tes aletheias ephu. darin lag das geheimnis seiner macht; darum kam er wider seine absicht von kampf zu kampf, und blieb zwar nicht immer sieger, aber immer unbesiegt. er strebte nicht nach herrschaft, bescheiden wie er war, wenn auch nicht wie die lumpe bescheiden, aber er herrschte tatsächlich mehr als ein menschenalter, liess die philologie welche er vertrat bei seinem tode hauptlos zurück, und bestimmte speciell in den tragikern ihre geschicke weit über seinen tod hinaus.
Hermanns leben verlief fast ganz an dem ufer der Pleisse, und ver- leugnen kann er nicht, dass er das wasser getrunken hat, von dem Schillers Flüsse unehrerbietiges erzählen. er steht dem sächsischen rationalismus so nahe, dass er für alle offenbarungen Herders und dann der romantik, selbst als diese sich zur geschichtswissenschaft ausbildet, unempfänglich
Die goethische zeit. Gottfried Hermann.
ist. dachte er doch sogar daran, nicht nur den Prometheus, sondern selbst das sprödeste aller antiken dramen, die Hiketiden des Aischylos, durch nachdichtung des anschlieſsenden stückes zu ergänzen. aber er vermochte all das wesentlich durch die intuitive kraft der congenialität. dies vorrecht war keinem zweiten gegeben; selbst Schiller ist es nicht gelungen mit irgend einer andern hellenischen poesie auſser Homer ein innerliches verhältnis zu gewinnen. es ist eben nicht anders: man konnte in Deutschland kein griechisch.
Griechisch zu können und lehren zu können, die schande von demGottfried Hermann. deutschen namen zu entfernen, die er noch in Porsons augen mit recht trug, das war die nächste und wichtigste aufgabe der philologie; an ein mehr als an der oberfläche tastendes oder zu allgemeinheiten in un- sicherem fluge sich erhebendes verständnis der tragiker war vorher gar nicht zu denken. dies nächste und notwendigste geleistet zu haben ist Gottfried Hermanns verdienst. er konnte griechisch wie kein deutscher vor ihm, jeder spätere aber durch ihn, er durch eigene kraft aus dem lebendigen verkehre mit den schriftwerken. er lehrte viele generationen hinter einander griechisch, indem er sie wieder in den lebendigen ver- kehr mit den schriftstellern einführte, er übertrug auf sie das charisma seines geistes. das können war’s, was ihn zum groſsen manne machte. gleich unempfänglich für den kribskrabs der imagination wie für den krimskrams der erudition gieng er geraden weges auf das zu, was er wiederholt als das ziel seiner philologie hinstellte, das verständnis des geschriebenen. rücksichtslos schüttelte er alles ab, was ihm diese einfache aufgabe zu stören schien. mit dem frischen wagemute des reiters, der dem Deutschen das ideal des mannes ist, hielt er sich an die husaren- parole ‘vorwärts’; ἁπλοῦς ὁ μῦϑος τῆς ἀληϑείας ἔφυ. darin lag das geheimnis seiner macht; darum kam er wider seine absicht von kampf zu kampf, und blieb zwar nicht immer sieger, aber immer unbesiegt. er strebte nicht nach herrschaft, bescheiden wie er war, wenn auch nicht wie die lumpe bescheiden, aber er herrschte tatsächlich mehr als ein menschenalter, lieſs die philologie welche er vertrat bei seinem tode hauptlos zurück, und bestimmte speciell in den tragikern ihre geschicke weit über seinen tod hinaus.
Hermanns leben verlief fast ganz an dem ufer der Pleiſse, und ver- leugnen kann er nicht, daſs er das wasser getrunken hat, von dem Schillers Flüsse unehrerbietiges erzählen. er steht dem sächsischen rationalismus so nahe, daſs er für alle offenbarungen Herders und dann der romantik, selbst als diese sich zur geschichtswissenschaft ausbildet, unempfänglich
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Die goethische zeit. Gottfried Hermann.
ist. dachte er doch sogar daran, nicht nur den Prometheus, sondern
selbst das sprödeste aller antiken dramen, die Hiketiden des Aischylos,
durch nachdichtung des anschlieſsenden stückes zu ergänzen. aber er
vermochte all das wesentlich durch die intuitive kraft der congenialität.
dies vorrecht war keinem zweiten gegeben; selbst Schiller ist es nicht
gelungen mit irgend einer andern hellenischen poesie auſser Homer ein
innerliches verhältnis zu gewinnen. es ist eben nicht anders: man konnte
in Deutschland kein griechisch.
Griechisch zu können und lehren zu können, die schande von dem
deutschen namen zu entfernen, die er noch in Porsons augen mit recht
trug, das war die nächste und wichtigste aufgabe der philologie; an ein
mehr als an der oberfläche tastendes oder zu allgemeinheiten in un-
sicherem fluge sich erhebendes verständnis der tragiker war vorher gar
nicht zu denken. dies nächste und notwendigste geleistet zu haben ist
Gottfried Hermanns verdienst. er konnte griechisch wie kein deutscher
vor ihm, jeder spätere aber durch ihn, er durch eigene kraft aus dem
lebendigen verkehre mit den schriftwerken. er lehrte viele generationen
hinter einander griechisch, indem er sie wieder in den lebendigen ver-
kehr mit den schriftstellern einführte, er übertrug auf sie das charisma
seines geistes. das können war’s, was ihn zum groſsen manne machte.
gleich unempfänglich für den kribskrabs der imagination wie für den
krimskrams der erudition gieng er geraden weges auf das zu, was er
wiederholt als das ziel seiner philologie hinstellte, das verständnis des
geschriebenen. rücksichtslos schüttelte er alles ab, was ihm diese einfache
aufgabe zu stören schien. mit dem frischen wagemute des reiters, der
dem Deutschen das ideal des mannes ist, hielt er sich an die husaren-
parole ‘vorwärts’; ἁπλοῦς ὁ μῦϑος τῆς ἀληϑείας ἔφυ. darin lag das
geheimnis seiner macht; darum kam er wider seine absicht von kampf
zu kampf, und blieb zwar nicht immer sieger, aber immer unbesiegt. er
strebte nicht nach herrschaft, bescheiden wie er war, wenn auch nicht
wie die lumpe bescheiden, aber er herrschte tatsächlich mehr als ein
menschenalter, lieſs die philologie welche er vertrat bei seinem tode
hauptlos zurück, und bestimmte speciell in den tragikern ihre geschicke
weit über seinen tod hinaus.
Gottfried
Hermann.
Hermanns leben verlief fast ganz an dem ufer der Pleiſse, und ver-
leugnen kann er nicht, daſs er das wasser getrunken hat, von dem Schillers
Flüsse unehrerbietiges erzählen. er steht dem sächsischen rationalismus
so nahe, daſs er für alle offenbarungen Herders und dann der romantik,
selbst als diese sich zur geschichtswissenschaft ausbildet, unempfänglich
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/255>, abgerufen am 26.07.2024.
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