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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Todes- und geburtsjahr. herkunft.
im felde gestanden, und diesen politischen gegensatz hat er denn auch
sein leben lang bewahrt. Athen, die hauptstadt von Hellas, das attische
Reich berufen zur vormacht aller Hellenen, das ist die voraussetzung
seines politischen denkens, wie sie es sein musste.

Es gibt noch ein anderes geburtsjahr, 484, das sogar in der zeit
des Philochoros selbst aufgestellt ist.6) aber es hat auch nur symbolische
bedeutung. 455, in dem jahre, wo Euripides zuerst auftrat, soll nach
allgemeiner vielleicht urkundlich begründeter tradition Aischylos gestorben
sein, 484 hat er den ersten sieg errungen: damit schien als viertes glied
der gleichung die geburt des Euripides gegeben. symbolisch ist auch
das wahr. Euripides folgt auf Aischylos wie der sohn auf den vater;
es steht kein dritter zwischen ihnen, aber der eine musste vom schau-
platz abtreten, damit für den anderen raum wurde.

Euripides war der sohn des Mnesarchides oder Mnesarchos vonHerkunft.
Phlya; patronyme ableitungen wechseln häufig mit dem vollnamen und
seinen abkürzungen, so dass keine differenz vorliegt. die mutter, Kleito,
war eine adliche.7) Mnesarchides war aus keinem adlichen aber doch aus
einem ansehnlichen hause, welches an dem dienste des Apollon in Phlya
anteil hatte. Phlya war ein dorf östlich vom Hymettos, schon in der adels-
zeit namhaft. aber der Apollon war nicht der des ionischen adels, dem die
Apaturien gelten, sondern der delische, dessen fest die Thargelien sind.
wie an diesen eine procession vom Phaleron nach Athen zog, und knaben
zweige mit allerhand guten dingen daran trugen, so ist Euripides als
knabe im festzuge von cap Zoster nach Phlya gezogen. er hat auch das
schenkenamt für eine cultgenossenschaft der 'tänzer' inne gehabt.8) das

6) In der parischen chronik z. 65. 75.
7) Suid. Kleito -- ton sphodra eugenon etugkhanen, os Philokhoros. da es
nötig war, die persönlichkeit festzustellen, um über die herkunft etwas zu ermitteln,
darf man dem namen glauben schenken.
8) Das genos gibt an genesthai d auton kai purphoron tou Zosteriou Apol-
lonos. Theophrastos peri methes (Athen. X 424b) beruft sich auf ein schriftstück
im daphnephoreion von Phlya, aus dem er sich über die culthandlung, die tracht,
die herkunft der tänzergilde (ton proton Athenaion) unterrichtet hat: das waren
also die statuten der orkhestai. dass Euripides das schenkenamt geübt, gibt er an;
das ist aber nicht auf jene urkunde zurückzuführen. wenn Theophrast den de-
lischen Apollon nennt, die vita den von Zoster, jener Euripides schenken, dieser
feuerträger sein lässt, so sind das differenzen, welche verschiedene herkunft der notizen
beweisen, aber die glaubwürdigkeit nicht berühren; die urquelle sind fasten der or-
khestai. für das genos ist man berechtigt an Philochoros zu denken. wer zuerst
das tempelarchiv benutzt hat, steht dahin, wie es scheint beide. in betreff der

Todes- und geburtsjahr. herkunft.
im felde gestanden, und diesen politischen gegensatz hat er denn auch
sein leben lang bewahrt. Athen, die hauptstadt von Hellas, das attische
Reich berufen zur vormacht aller Hellenen, das ist die voraussetzung
seines politischen denkens, wie sie es sein muſste.

Es gibt noch ein anderes geburtsjahr, 484, das sogar in der zeit
des Philochoros selbst aufgestellt ist.6) aber es hat auch nur symbolische
bedeutung. 455, in dem jahre, wo Euripides zuerst auftrat, soll nach
allgemeiner vielleicht urkundlich begründeter tradition Aischylos gestorben
sein, 484 hat er den ersten sieg errungen: damit schien als viertes glied
der gleichung die geburt des Euripides gegeben. symbolisch ist auch
das wahr. Euripides folgt auf Aischylos wie der sohn auf den vater;
es steht kein dritter zwischen ihnen, aber der eine muſste vom schau-
platz abtreten, damit für den anderen raum wurde.

Euripides war der sohn des Mnesarchides oder Mnesarchos vonHerkunft.
Phlya; patronyme ableitungen wechseln häufig mit dem vollnamen und
seinen abkürzungen, so daſs keine differenz vorliegt. die mutter, Kleito,
war eine adliche.7) Mnesarchides war aus keinem adlichen aber doch aus
einem ansehnlichen hause, welches an dem dienste des Apollon in Phlya
anteil hatte. Phlya war ein dorf östlich vom Hymettos, schon in der adels-
zeit namhaft. aber der Apollon war nicht der des ionischen adels, dem die
Apaturien gelten, sondern der delische, dessen fest die Thargelien sind.
wie an diesen eine procession vom Phaleron nach Athen zog, und knaben
zweige mit allerhand guten dingen daran trugen, so ist Euripides als
knabe im festzuge von cap Zoster nach Phlya gezogen. er hat auch das
schenkenamt für eine cultgenossenschaft der ‘tänzer’ inne gehabt.8) das

6) In der parischen chronik z. 65. 75.
7) Suid. Κλειτὼ — τῶν σφόδρα εὐγενῶν ἐτύγχανεν, ὡς Φιλόχορος. da es
nötig war, die persönlichkeit festzustellen, um über die herkunft etwas zu ermitteln,
darf man dem namen glauben schenken.
8) Das γένος gibt an γενέσϑαι δ̕ αὐτὸν καὶ πυρφόρον τοῦ Ζωστηρίου Ἀπόλ-
λωνος. Theophrastos περὶ μέϑης (Athen. X 424b) beruft sich auf ein schriftstück
im δαφνηφορεῖον von Phlya, aus dem er sich über die culthandlung, die tracht,
die herkunft der tänzergilde (τῶν πρώτων Ἀϑηναίων) unterrichtet hat: das waren
also die statuten der ὀρχησταί. daſs Euripides das schenkenamt geübt, gibt er an;
das ist aber nicht auf jene urkunde zurückzuführen. wenn Theophrast den de-
lischen Apollon nennt, die vita den von Zoster, jener Euripides schenken, dieser
feuerträger sein läſst, so sind das differenzen, welche verschiedene herkunft der notizen
beweisen, aber die glaubwürdigkeit nicht berühren; die urquelle sind fasten der ὀρ-
χησταί. für das γένος ist man berechtigt an Philochoros zu denken. wer zuerst
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[5/0025] Todes- und geburtsjahr. herkunft. im felde gestanden, und diesen politischen gegensatz hat er denn auch sein leben lang bewahrt. Athen, die hauptstadt von Hellas, das attische Reich berufen zur vormacht aller Hellenen, das ist die voraussetzung seines politischen denkens, wie sie es sein muſste. Es gibt noch ein anderes geburtsjahr, 484, das sogar in der zeit des Philochoros selbst aufgestellt ist. 6) aber es hat auch nur symbolische bedeutung. 455, in dem jahre, wo Euripides zuerst auftrat, soll nach allgemeiner vielleicht urkundlich begründeter tradition Aischylos gestorben sein, 484 hat er den ersten sieg errungen: damit schien als viertes glied der gleichung die geburt des Euripides gegeben. symbolisch ist auch das wahr. Euripides folgt auf Aischylos wie der sohn auf den vater; es steht kein dritter zwischen ihnen, aber der eine muſste vom schau- platz abtreten, damit für den anderen raum wurde. Euripides war der sohn des Mnesarchides oder Mnesarchos von Phlya; patronyme ableitungen wechseln häufig mit dem vollnamen und seinen abkürzungen, so daſs keine differenz vorliegt. die mutter, Kleito, war eine adliche. 7) Mnesarchides war aus keinem adlichen aber doch aus einem ansehnlichen hause, welches an dem dienste des Apollon in Phlya anteil hatte. Phlya war ein dorf östlich vom Hymettos, schon in der adels- zeit namhaft. aber der Apollon war nicht der des ionischen adels, dem die Apaturien gelten, sondern der delische, dessen fest die Thargelien sind. wie an diesen eine procession vom Phaleron nach Athen zog, und knaben zweige mit allerhand guten dingen daran trugen, so ist Euripides als knabe im festzuge von cap Zoster nach Phlya gezogen. er hat auch das schenkenamt für eine cultgenossenschaft der ‘tänzer’ inne gehabt. 8) das Herkunft. 6) In der parischen chronik z. 65. 75. 7) Suid. Κλειτὼ — τῶν σφόδρα εὐγενῶν ἐτύγχανεν, ὡς Φιλόχορος. da es nötig war, die persönlichkeit festzustellen, um über die herkunft etwas zu ermitteln, darf man dem namen glauben schenken. 8) Das γένος gibt an γενέσϑαι δ̕ αὐτὸν καὶ πυρφόρον τοῦ Ζωστηρίου Ἀπόλ- λωνος. Theophrastos περὶ μέϑης (Athen. X 424b) beruft sich auf ein schriftstück im δαφνηφορεῖον von Phlya, aus dem er sich über die culthandlung, die tracht, die herkunft der tänzergilde (τῶν πρώτων Ἀϑηναίων) unterrichtet hat: das waren also die statuten der ὀρχησταί. daſs Euripides das schenkenamt geübt, gibt er an; das ist aber nicht auf jene urkunde zurückzuführen. wenn Theophrast den de- lischen Apollon nennt, die vita den von Zoster, jener Euripides schenken, dieser feuerträger sein läſst, so sind das differenzen, welche verschiedene herkunft der notizen beweisen, aber die glaubwürdigkeit nicht berühren; die urquelle sind fasten der ὀρ- χησταί. für das γένος ist man berechtigt an Philochoros zu denken. wer zuerst das tempelarchiv benutzt hat, steht dahin, wie es scheint beide. in betreff der

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/25>, abgerufen am 29.03.2024.