grundbesitzes zu entrinnen. immer noch konnten sie hoffen, dass Solon, ihr standesgenosse und ein massvoller mann, die standesherrschaft eher befestigen als schmälern würde. aber die gesetzgebung, die er natür- lich erst am ende seines amtsjahres vor den souveränen demos bringen konnte, beseitigte nicht bloss die verfassung Drakons, sondern begrün- dete die demokratie.
Alle Athener (Athenaioi apantes, wie der ausdruck wol schon jetzt lautete) erhielten an der staatsverwaltung anteil. für die volksver- sammlungen, den rat und die geschwornenstellen ward hinfort kein census gefordert, für die beiden letzteren nur die zurücklegung des dreissigsten lebensjahres; für den rat gieng ausserdem noch eine persön- liche prüfung der würdigkeit dem eintritte vorher. eine ausnahme bil- deten die geschwornenstellen in den mordgerichten, wo die adligen epheten Drakons blieben, weil der sacrale charakter dieser richtstätten die älteren formen sicherte. die teilnahme des ganzen volkes an den volksversammlungen verlieh diesem das active wahlrecht für die wahl- ämter, aber auch die wirksamste controlle selbst der archonten. denn die prytanen des rates, (über deren bestellung wir weiter nichts wissen) waren gehalten, in bestimmten (uns unbekannten) fristen eine volks- versammlung zu berufen, in der alle selbständig, nicht unter aufsicht eines der räte, fungirenden magistrate neu bestätigt werden mussten; im falle ihrer suspension kamen sie vor die thesmotheten, die ein ge- richt von geschwornen zu berufen hatten. dasselbe hatte unbedingt mit der rechenschaftsablage der feldherren zu geschehen. gegen die anderen beamten konnte jeder bürger nach ablauf ihres amtsjahres an eine commission des rates, die euthynen, eine beschwerde einreichen, die erforderlichen falles von den thesmotheten in der nämlichen weise vor ein volksgericht gebracht ward. die competenzen aller beamten wurden in bestimmter weise abgegrenzt, so dass sie höhere strafen, ins- besondere leibesstrafen, nur unter zuziehung eines gerichtes zuerkennen konnten. die bestellung der beamten, so weit sie nicht direct gewählt wurden, geschah durch das los auf grund einer vorschlagsliste, über deren aufstellung genaueres nicht bekannt ist, als dass sie durch wahl in unterabteilungen des volkes, phylen oder (für den rat) naukrarien zu stande kam. als qualification ward ein census, abgestuft nach den alten drei classen, gefordert, die nun wieder ihre vordrakontische bedeu- tung nach dem einkommen erhielten. ob an der competenz der einzelnen beamten oder des oberen rates geändert worden ist, wissen wir nicht; der überlieferung nach ist da ziemlich alles beim alten geblieben.
Solon.
grundbesitzes zu entrinnen. immer noch konnten sie hoffen, daſs Solon, ihr standesgenosse und ein maſsvoller mann, die standesherrschaft eher befestigen als schmälern würde. aber die gesetzgebung, die er natür- lich erst am ende seines amtsjahres vor den souveränen demos bringen konnte, beseitigte nicht bloſs die verfassung Drakons, sondern begrün- dete die demokratie.
Alle Athener (Ἀϑηναῖοι ἅπαντες, wie der ausdruck wol schon jetzt lautete) erhielten an der staatsverwaltung anteil. für die volksver- sammlungen, den rat und die geschwornenstellen ward hinfort kein census gefordert, für die beiden letzteren nur die zurücklegung des dreiſsigsten lebensjahres; für den rat gieng auſserdem noch eine persön- liche prüfung der würdigkeit dem eintritte vorher. eine ausnahme bil- deten die geschwornenstellen in den mordgerichten, wo die adligen epheten Drakons blieben, weil der sacrale charakter dieser richtstätten die älteren formen sicherte. die teilnahme des ganzen volkes an den volksversammlungen verlieh diesem das active wahlrecht für die wahl- ämter, aber auch die wirksamste controlle selbst der archonten. denn die prytanen des rates, (über deren bestellung wir weiter nichts wissen) waren gehalten, in bestimmten (uns unbekannten) fristen eine volks- versammlung zu berufen, in der alle selbständig, nicht unter aufsicht eines der räte, fungirenden magistrate neu bestätigt werden muſsten; im falle ihrer suspension kamen sie vor die thesmotheten, die ein ge- richt von geschwornen zu berufen hatten. dasselbe hatte unbedingt mit der rechenschaftsablage der feldherren zu geschehen. gegen die anderen beamten konnte jeder bürger nach ablauf ihres amtsjahres an eine commission des rates, die euthynen, eine beschwerde einreichen, die erforderlichen falles von den thesmotheten in der nämlichen weise vor ein volksgericht gebracht ward. die competenzen aller beamten wurden in bestimmter weise abgegrenzt, so daſs sie höhere strafen, ins- besondere leibesstrafen, nur unter zuziehung eines gerichtes zuerkennen konnten. die bestellung der beamten, so weit sie nicht direct gewählt wurden, geschah durch das los auf grund einer vorschlagsliste, über deren aufstellung genaueres nicht bekannt ist, als daſs sie durch wahl in unterabteilungen des volkes, phylen oder (für den rat) naukrarien zu stande kam. als qualification ward ein census, abgestuft nach den alten drei classen, gefordert, die nun wieder ihre vordrakontische bedeu- tung nach dem einkommen erhielten. ob an der competenz der einzelnen beamten oder des oberen rates geändert worden ist, wissen wir nicht; der überlieferung nach ist da ziemlich alles beim alten geblieben.
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Solon.
grundbesitzes zu entrinnen. immer noch konnten sie hoffen, daſs Solon,
ihr standesgenosse und ein maſsvoller mann, die standesherrschaft eher
befestigen als schmälern würde. aber die gesetzgebung, die er natür-
lich erst am ende seines amtsjahres vor den souveränen demos bringen
konnte, beseitigte nicht bloſs die verfassung Drakons, sondern begrün-
dete die demokratie.
Alle Athener (Ἀϑηναῖοι ἅπαντες, wie der ausdruck wol schon
jetzt lautete) erhielten an der staatsverwaltung anteil. für die volksver-
sammlungen, den rat und die geschwornenstellen ward hinfort kein
census gefordert, für die beiden letzteren nur die zurücklegung des
dreiſsigsten lebensjahres; für den rat gieng auſserdem noch eine persön-
liche prüfung der würdigkeit dem eintritte vorher. eine ausnahme bil-
deten die geschwornenstellen in den mordgerichten, wo die adligen
epheten Drakons blieben, weil der sacrale charakter dieser richtstätten
die älteren formen sicherte. die teilnahme des ganzen volkes an den
volksversammlungen verlieh diesem das active wahlrecht für die wahl-
ämter, aber auch die wirksamste controlle selbst der archonten. denn
die prytanen des rates, (über deren bestellung wir weiter nichts wissen)
waren gehalten, in bestimmten (uns unbekannten) fristen eine volks-
versammlung zu berufen, in der alle selbständig, nicht unter aufsicht
eines der räte, fungirenden magistrate neu bestätigt werden muſsten;
im falle ihrer suspension kamen sie vor die thesmotheten, die ein ge-
richt von geschwornen zu berufen hatten. dasselbe hatte unbedingt
mit der rechenschaftsablage der feldherren zu geschehen. gegen die
anderen beamten konnte jeder bürger nach ablauf ihres amtsjahres an
eine commission des rates, die euthynen, eine beschwerde einreichen,
die erforderlichen falles von den thesmotheten in der nämlichen weise
vor ein volksgericht gebracht ward. die competenzen aller beamten
wurden in bestimmter weise abgegrenzt, so daſs sie höhere strafen, ins-
besondere leibesstrafen, nur unter zuziehung eines gerichtes zuerkennen
konnten. die bestellung der beamten, so weit sie nicht direct gewählt
wurden, geschah durch das los auf grund einer vorschlagsliste, über
deren aufstellung genaueres nicht bekannt ist, als daſs sie durch wahl
in unterabteilungen des volkes, phylen oder (für den rat) naukrarien
zu stande kam. als qualification ward ein census, abgestuft nach den
alten drei classen, gefordert, die nun wieder ihre vordrakontische bedeu-
tung nach dem einkommen erhielten. ob an der competenz der einzelnen
beamten oder des oberen rates geändert worden ist, wissen wir nicht;
der überlieferung nach ist da ziemlich alles beim alten geblieben.
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/73>, abgerufen am 26.11.2024.
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