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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Der wirtschaftliche notstand. Solon.
die erste gabe des attischen bodens, die entdeckt ward: wir bewundern
die riesengefässe, die auf den gräbern des siebenten jahrhunderts standen,
und erkennen die echt attische typische auffassung des wirklichen lebens
in den schildereien des Dipylonstiles. der treffliche Ergotimos trägt die
ehre der attischen arbeit im namen; aber Klitias, der für ihn malte, war
kein Athener, wie wieder der name lehrt31), und zu Kleisthenes zeiten
stehen neben wolhabenden attischen sehr viele fremde leute dieses hand-
werkes. es kann in der industrie der capitalist durch billige sclaven-
arbeit nur zu leicht den freien handwerker niederhalten. die hoffart der
dorischen weltanschauung kam dazu, die den hesiodischen spruch ergon
ouden oneidos in sein gegenteil verkehrt hatte. Drakon hat den töpfer
und den gerber ohne zweifel für einen banausen gehalten; Aristoteles
tut es ja auch. also schied der bauer, wenn er in die stadt zog um
als handwerker seine familie vor der sclaverei zu schützen, aus der ge-
sellschaft aus. an dieser anschauung hat selbst die demokratie wenig
geändert.

So war der staat und die gesellschaft Athens um 600, schwach
nach aussen, schwach nach innen, die verfassung durch vielfache ver-
änderungen erschüttert, das erwerbsleben schwer krank, die gesellschaft
durch die gegensätze der ehrgeizigen parteiführer unter sich, des adels
und des volkes, der armen und der reichen zerklüftet. die götter schienen
Athen verlassen zu haben; auch wer noch für sich hoffte, rechnete mit
dem untergange mindestens des staates Athen.

Da erweckte ihnen gott einen propheten: so würde es von IsraelSolon.
heissen. da erstand ihnen ein dichter, heisst es in der stadt Athenas.
Solon, des Exekestides sohn aus dem blute des alten königshauses, war
ein wolhabender mann32), der die erziehung seiner standesgenossen er-
halten und anteil an ihren vergnügungen genommen hatte. dass der
handel ihn über das meer führte, hob ihn auch noch nicht über

31) Man kann nur klitus vergleichen, das ein fremdwort der attischen dichter-
sprache ist.
32) Er ist unter der geltung von Drakons verfassung archon geworden, gehörte
also zur classe der höchstbesteuerten. wenn Aristoteles ihn einen mesos auch nach
dem vermögen nennt, so ist das seiner eigenen angabe nach aus den gedichten ge-
nommen, in denen Solon wirklich übertriebenen reichtum nicht wünscht. er war
freilich kein mann von tyrannischem vermögen wie Kallias oder Hippokleides, er
hatte kein haus von überwältigender macht hinter sich wie Kleisthenes, aber nach
den anschauungen der späteren demokratie war er gewiss ein reicher und vor-
nehmer, und ein anderer hätte auch den staatsstreich nicht in den gesetzlichen
formen durchführen können.

Der wirtschaftliche notstand. Solon.
die erste gabe des attischen bodens, die entdeckt ward: wir bewundern
die riesengefässe, die auf den gräbern des siebenten jahrhunderts standen,
und erkennen die echt attische typische auffassung des wirklichen lebens
in den schildereien des Dipylonstiles. der treffliche Ergotimos trägt die
ehre der attischen arbeit im namen; aber Klitias, der für ihn malte, war
kein Athener, wie wieder der name lehrt31), und zu Kleisthenes zeiten
stehen neben wolhabenden attischen sehr viele fremde leute dieses hand-
werkes. es kann in der industrie der capitalist durch billige sclaven-
arbeit nur zu leicht den freien handwerker niederhalten. die hoffart der
dorischen weltanschauung kam dazu, die den hesiodischen spruch ἔϱγον
οὐδὲν ὄνειδος in sein gegenteil verkehrt hatte. Drakon hat den töpfer
und den gerber ohne zweifel für einen banausen gehalten; Aristoteles
tut es ja auch. also schied der bauer, wenn er in die stadt zog um
als handwerker seine familie vor der sclaverei zu schützen, aus der ge-
sellschaft aus. an dieser anschauung hat selbst die demokratie wenig
geändert.

So war der staat und die gesellschaft Athens um 600, schwach
nach auſsen, schwach nach innen, die verfassung durch vielfache ver-
änderungen erschüttert, das erwerbsleben schwer krank, die gesellschaft
durch die gegensätze der ehrgeizigen parteiführer unter sich, des adels
und des volkes, der armen und der reichen zerklüftet. die götter schienen
Athen verlassen zu haben; auch wer noch für sich hoffte, rechnete mit
dem untergange mindestens des staates Athen.

Da erweckte ihnen gott einen propheten: so würde es von IsraelSolon.
heiſsen. da erstand ihnen ein dichter, heiſst es in der stadt Athenas.
Solon, des Exekestides sohn aus dem blute des alten königshauses, war
ein wolhabender mann32), der die erziehung seiner standesgenossen er-
halten und anteil an ihren vergnügungen genommen hatte. daſs der
handel ihn über das meer führte, hob ihn auch noch nicht über

31) Man kann nur κλιτύς vergleichen, das ein fremdwort der attischen dichter-
sprache ist.
32) Er ist unter der geltung von Drakons verfassung archon geworden, gehörte
also zur classe der höchstbesteuerten. wenn Aristoteles ihn einen μέσος auch nach
dem vermögen nennt, so ist das seiner eigenen angabe nach aus den gedichten ge-
nommen, in denen Solon wirklich übertriebenen reichtum nicht wünscht. er war
freilich kein mann von tyrannischem vermögen wie Kallias oder Hippokleides, er
hatte kein haus von überwältigender macht hinter sich wie Kleisthenes, aber nach
den anschauungen der späteren demokratie war er gewiſs ein reicher und vor-
nehmer, und ein anderer hätte auch den staatsstreich nicht in den gesetzlichen
formen durchführen können.
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[59/0069] Der wirtschaftliche notstand. Solon. die erste gabe des attischen bodens, die entdeckt ward: wir bewundern die riesengefässe, die auf den gräbern des siebenten jahrhunderts standen, und erkennen die echt attische typische auffassung des wirklichen lebens in den schildereien des Dipylonstiles. der treffliche Ergotimos trägt die ehre der attischen arbeit im namen; aber Klitias, der für ihn malte, war kein Athener, wie wieder der name lehrt 31), und zu Kleisthenes zeiten stehen neben wolhabenden attischen sehr viele fremde leute dieses hand- werkes. es kann in der industrie der capitalist durch billige sclaven- arbeit nur zu leicht den freien handwerker niederhalten. die hoffart der dorischen weltanschauung kam dazu, die den hesiodischen spruch ἔϱγον οὐδὲν ὄνειδος in sein gegenteil verkehrt hatte. Drakon hat den töpfer und den gerber ohne zweifel für einen banausen gehalten; Aristoteles tut es ja auch. also schied der bauer, wenn er in die stadt zog um als handwerker seine familie vor der sclaverei zu schützen, aus der ge- sellschaft aus. an dieser anschauung hat selbst die demokratie wenig geändert. So war der staat und die gesellschaft Athens um 600, schwach nach auſsen, schwach nach innen, die verfassung durch vielfache ver- änderungen erschüttert, das erwerbsleben schwer krank, die gesellschaft durch die gegensätze der ehrgeizigen parteiführer unter sich, des adels und des volkes, der armen und der reichen zerklüftet. die götter schienen Athen verlassen zu haben; auch wer noch für sich hoffte, rechnete mit dem untergange mindestens des staates Athen. Da erweckte ihnen gott einen propheten: so würde es von Israel heiſsen. da erstand ihnen ein dichter, heiſst es in der stadt Athenas. Solon, des Exekestides sohn aus dem blute des alten königshauses, war ein wolhabender mann 32), der die erziehung seiner standesgenossen er- halten und anteil an ihren vergnügungen genommen hatte. daſs der handel ihn über das meer führte, hob ihn auch noch nicht über Solon. 31) Man kann nur κλιτύς vergleichen, das ein fremdwort der attischen dichter- sprache ist. 32) Er ist unter der geltung von Drakons verfassung archon geworden, gehörte also zur classe der höchstbesteuerten. wenn Aristoteles ihn einen μέσος auch nach dem vermögen nennt, so ist das seiner eigenen angabe nach aus den gedichten ge- nommen, in denen Solon wirklich übertriebenen reichtum nicht wünscht. er war freilich kein mann von tyrannischem vermögen wie Kallias oder Hippokleides, er hatte kein haus von überwältigender macht hinter sich wie Kleisthenes, aber nach den anschauungen der späteren demokratie war er gewiſs ein reicher und vor- nehmer, und ein anderer hätte auch den staatsstreich nicht in den gesetzlichen formen durchführen können.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/69>, abgerufen am 25.11.2024.