Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 2. Von Kekrops bis Solon.
rasch einer solchen belastung. der staat aber erkennt eine jede hypo-
thekarische schuld an und bietet seine organe zur beitreibung, und das
recht erstreckt die haftpflicht des gläubigers auf sein landlos und weiter
auf seinen leib und den der seinen. die capitalisten im lande sind in erster
linie die götter, die bruderschaften und sonstigen ideellen personen.
aber über diese cassen verfügen die herrschenden kreise, das sind eben
die capitalisten, die gläubiger. die vornehmen nützen nun ihren gol-
denen und silbernen hausrat besser aus als ihre ahnen, die ihn zu toten-
masken und allerlei zierrat verbrauchten. sie ziehen ein landlos nach
dem anderen an sich. wie rasch ist bei einer verzinsung von 20 procent
der bauer gelegt; er muss zufrieden sein, wenn er nicht als sclave übers
meer verkauft wird, sondern auf dem erbe seiner väter weiter arbeiten
darf, fünf garben für den herrn, die sechste für sich. der herr aber
erhält so eine ganze schar von hörigen, trabanten für die gewaltherr-
schaft, die er hofft. die verteilung des grundbesitzes scheint wieder zu
schwinden. sehr bedeutende teile müssen auch wieder gemeinbesitz in
irgend welcher form geworden sein; aber die gemeinde, die jetzt davon
nutzen zieht, ist auf die reichen beschränkt. der druck wäre kaum zu
ertragen, wenn das harte recht allein bestünde. aber Solon spricht un-
umwunden von den veruntreuungen und der habgier der herrschenden.
die grausamkeit, die dem capitale von natur inne wohnt, pflegt von der
unredlichkeit begleitet zu sein, zur philarguria gehört die uperephania.
tiktei gar koros ubris, epen polus olbos epetai. diese erfahrungen
sind in dieser zeit gemacht. wenn dann vollends eine verfassung ge-
geben wird, die die höchsten stellen der regierung den besitzern schulden-
freier güter vorbehält, so kann das geschrei nach einer neuen aufteilung
des ackers kaum für unberechtigt erklärt werden.

Wenn die landwirtschaft wenigstens im kleinbetriebe sich nicht mehr
halten kann, so sollte handwerk und handel und jeder städtische beruf
um so besser seinen mann nähren. so sollte man meinen. wirklich
ist Athen durch den peloponnesischen krieg, der die attische landwirt-
schaft zerstörte, zu einer industriestadt geworden. aber der handel er-
forderte in folge des risicos damals noch mehr als heute ein starkes an-
lagecapital. ihn trieben die besitzenden herren selbst, wie Solons beispiel
zeigt. das handwerk in dem weiten sinne, den das wort demiourgos
umfasst, war in Attika so lange schon heimisch, dass die demiourgoi im
geschlechterstaate es zu der anerkennung als adliche gebracht hatten,
und alte gilden wie Daidalidai Aithalidai zu geschlechtern geworden
waren. Hephaistos hatte sich zu Athena gesellt. der köstliche ton war

II. 2. Von Kekrops bis Solon.
rasch einer solchen belastung. der staat aber erkennt eine jede hypo-
thekarische schuld an und bietet seine organe zur beitreibung, und das
recht erstreckt die haftpflicht des gläubigers auf sein landlos und weiter
auf seinen leib und den der seinen. die capitalisten im lande sind in erster
linie die götter, die bruderschaften und sonstigen ideellen personen.
aber über diese cassen verfügen die herrschenden kreise, das sind eben
die capitalisten, die gläubiger. die vornehmen nützen nun ihren gol-
denen und silbernen hausrat besser aus als ihre ahnen, die ihn zu toten-
masken und allerlei zierrat verbrauchten. sie ziehen ein landlos nach
dem anderen an sich. wie rasch ist bei einer verzinsung von 20 procent
der bauer gelegt; er muſs zufrieden sein, wenn er nicht als sclave übers
meer verkauft wird, sondern auf dem erbe seiner väter weiter arbeiten
darf, fünf garben für den herrn, die sechste für sich. der herr aber
erhält so eine ganze schar von hörigen, trabanten für die gewaltherr-
schaft, die er hofft. die verteilung des grundbesitzes scheint wieder zu
schwinden. sehr bedeutende teile müssen auch wieder gemeinbesitz in
irgend welcher form geworden sein; aber die gemeinde, die jetzt davon
nutzen zieht, ist auf die reichen beschränkt. der druck wäre kaum zu
ertragen, wenn das harte recht allein bestünde. aber Solon spricht un-
umwunden von den veruntreuungen und der habgier der herrschenden.
die grausamkeit, die dem capitale von natur inne wohnt, pflegt von der
unredlichkeit begleitet zu sein, zur φιλαϱγυϱία gehört die ὑπεϱηφανία.
τίκτει γὰϱ κόϱος ὕβϱις, ἐπὴν πολὺς ὄλβος ἕπηται. diese erfahrungen
sind in dieser zeit gemacht. wenn dann vollends eine verfassung ge-
geben wird, die die höchsten stellen der regierung den besitzern schulden-
freier güter vorbehält, so kann das geschrei nach einer neuen aufteilung
des ackers kaum für unberechtigt erklärt werden.

Wenn die landwirtschaft wenigstens im kleinbetriebe sich nicht mehr
halten kann, so sollte handwerk und handel und jeder städtische beruf
um so besser seinen mann nähren. so sollte man meinen. wirklich
ist Athen durch den peloponnesischen krieg, der die attische landwirt-
schaft zerstörte, zu einer industriestadt geworden. aber der handel er-
forderte in folge des risicos damals noch mehr als heute ein starkes an-
lagecapital. ihn trieben die besitzenden herren selbst, wie Solons beispiel
zeigt. das handwerk in dem weiten sinne, den das wort δημιουϱγός
umfaſst, war in Attika so lange schon heimisch, daſs die δημιουϱγοί im
geschlechterstaate es zu der anerkennung als adliche gebracht hatten,
und alte gilden wie Δαιδαλίδαι Αἰϑαλίδαι zu geschlechtern geworden
waren. Hephaistos hatte sich zu Athena gesellt. der köstliche ton war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0068" n="58"/><fw place="top" type="header">II. 2. Von Kekrops bis Solon.</fw><lb/>
rasch einer solchen belastung. der staat aber erkennt eine jede hypo-<lb/>
thekarische schuld an und bietet seine organe zur beitreibung, und das<lb/>
recht erstreckt die haftpflicht des gläubigers auf sein landlos und weiter<lb/>
auf seinen leib und den der seinen. die capitalisten im lande sind in erster<lb/>
linie die götter, die bruderschaften und sonstigen ideellen personen.<lb/>
aber über diese cassen verfügen die herrschenden kreise, das sind eben<lb/>
die capitalisten, die gläubiger. die vornehmen nützen nun ihren gol-<lb/>
denen und silbernen hausrat besser aus als ihre ahnen, die ihn zu toten-<lb/>
masken und allerlei zierrat verbrauchten. sie ziehen ein landlos nach<lb/>
dem anderen an sich. wie rasch ist bei einer verzinsung von 20 procent<lb/>
der bauer gelegt; er mu&#x017F;s zufrieden sein, wenn er nicht als sclave übers<lb/>
meer verkauft wird, sondern auf dem erbe seiner väter weiter arbeiten<lb/>
darf, fünf garben für den herrn, die sechste für sich. der herr aber<lb/>
erhält so eine ganze schar von hörigen, trabanten für die gewaltherr-<lb/>
schaft, die er hofft. die verteilung des grundbesitzes scheint wieder zu<lb/>
schwinden. sehr bedeutende teile müssen auch wieder gemeinbesitz in<lb/>
irgend welcher form geworden sein; aber die gemeinde, die jetzt davon<lb/>
nutzen zieht, ist auf die reichen beschränkt. der druck wäre kaum zu<lb/>
ertragen, wenn das harte recht allein bestünde. aber Solon spricht un-<lb/>
umwunden von den veruntreuungen und der habgier der herrschenden.<lb/>
die grausamkeit, die dem capitale von natur inne wohnt, pflegt von der<lb/>
unredlichkeit begleitet zu sein, zur &#x03C6;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B1;&#x03F1;&#x03B3;&#x03C5;&#x03F1;&#x03AF;&#x03B1; gehört die &#x1F51;&#x03C0;&#x03B5;&#x03F1;&#x03B7;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BD;&#x03AF;&#x03B1;.<lb/>
&#x03C4;&#x03AF;&#x03BA;&#x03C4;&#x03B5;&#x03B9; &#x03B3;&#x1F70;&#x03F1; &#x03BA;&#x03CC;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F55;&#x03B2;&#x03F1;&#x03B9;&#x03C2;, &#x1F10;&#x03C0;&#x1F74;&#x03BD; &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x1F7A;&#x03C2; &#x1F44;&#x03BB;&#x03B2;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F15;&#x03C0;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9;. diese erfahrungen<lb/>
sind in dieser zeit gemacht. wenn dann vollends eine verfassung ge-<lb/>
geben wird, die die höchsten stellen der regierung den besitzern schulden-<lb/>
freier güter vorbehält, so kann das geschrei nach einer neuen aufteilung<lb/>
des ackers kaum für unberechtigt erklärt werden.</p><lb/>
          <p>Wenn die landwirtschaft wenigstens im kleinbetriebe sich nicht mehr<lb/>
halten kann, so sollte handwerk und handel und jeder städtische beruf<lb/>
um so besser seinen mann nähren. so sollte man meinen. wirklich<lb/>
ist Athen durch den peloponnesischen krieg, der die attische landwirt-<lb/>
schaft zerstörte, zu einer industriestadt geworden. aber der handel er-<lb/>
forderte in folge des risicos damals noch mehr als heute ein starkes an-<lb/>
lagecapital. ihn trieben die besitzenden herren selbst, wie Solons beispiel<lb/>
zeigt. das handwerk in dem weiten sinne, den das wort &#x03B4;&#x03B7;&#x03BC;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C5;&#x03F1;&#x03B3;&#x03CC;&#x03C2;<lb/>
umfa&#x017F;st, war in Attika so lange schon heimisch, da&#x017F;s die &#x03B4;&#x03B7;&#x03BC;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C5;&#x03F1;&#x03B3;&#x03BF;&#x03AF; im<lb/>
geschlechterstaate es zu der anerkennung als adliche gebracht hatten,<lb/>
und alte gilden wie &#x0394;&#x03B1;&#x03B9;&#x03B4;&#x03B1;&#x03BB;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B1;&#x03B9; &#x0391;&#x1F30;&#x03D1;&#x03B1;&#x03BB;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B1;&#x03B9; zu geschlechtern geworden<lb/>
waren. Hephaistos hatte sich zu Athena gesellt. der köstliche ton war<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0068] II. 2. Von Kekrops bis Solon. rasch einer solchen belastung. der staat aber erkennt eine jede hypo- thekarische schuld an und bietet seine organe zur beitreibung, und das recht erstreckt die haftpflicht des gläubigers auf sein landlos und weiter auf seinen leib und den der seinen. die capitalisten im lande sind in erster linie die götter, die bruderschaften und sonstigen ideellen personen. aber über diese cassen verfügen die herrschenden kreise, das sind eben die capitalisten, die gläubiger. die vornehmen nützen nun ihren gol- denen und silbernen hausrat besser aus als ihre ahnen, die ihn zu toten- masken und allerlei zierrat verbrauchten. sie ziehen ein landlos nach dem anderen an sich. wie rasch ist bei einer verzinsung von 20 procent der bauer gelegt; er muſs zufrieden sein, wenn er nicht als sclave übers meer verkauft wird, sondern auf dem erbe seiner väter weiter arbeiten darf, fünf garben für den herrn, die sechste für sich. der herr aber erhält so eine ganze schar von hörigen, trabanten für die gewaltherr- schaft, die er hofft. die verteilung des grundbesitzes scheint wieder zu schwinden. sehr bedeutende teile müssen auch wieder gemeinbesitz in irgend welcher form geworden sein; aber die gemeinde, die jetzt davon nutzen zieht, ist auf die reichen beschränkt. der druck wäre kaum zu ertragen, wenn das harte recht allein bestünde. aber Solon spricht un- umwunden von den veruntreuungen und der habgier der herrschenden. die grausamkeit, die dem capitale von natur inne wohnt, pflegt von der unredlichkeit begleitet zu sein, zur φιλαϱγυϱία gehört die ὑπεϱηφανία. τίκτει γὰϱ κόϱος ὕβϱις, ἐπὴν πολὺς ὄλβος ἕπηται. diese erfahrungen sind in dieser zeit gemacht. wenn dann vollends eine verfassung ge- geben wird, die die höchsten stellen der regierung den besitzern schulden- freier güter vorbehält, so kann das geschrei nach einer neuen aufteilung des ackers kaum für unberechtigt erklärt werden. Wenn die landwirtschaft wenigstens im kleinbetriebe sich nicht mehr halten kann, so sollte handwerk und handel und jeder städtische beruf um so besser seinen mann nähren. so sollte man meinen. wirklich ist Athen durch den peloponnesischen krieg, der die attische landwirt- schaft zerstörte, zu einer industriestadt geworden. aber der handel er- forderte in folge des risicos damals noch mehr als heute ein starkes an- lagecapital. ihn trieben die besitzenden herren selbst, wie Solons beispiel zeigt. das handwerk in dem weiten sinne, den das wort δημιουϱγός umfaſst, war in Attika so lange schon heimisch, daſs die δημιουϱγοί im geschlechterstaate es zu der anerkennung als adliche gebracht hatten, und alte gilden wie Δαιδαλίδαι Αἰϑαλίδαι zu geschlechtern geworden waren. Hephaistos hatte sich zu Athena gesellt. der köstliche ton war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/68
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/68>, abgerufen am 25.11.2024.