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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 7. Der process der Eumeniden.
menschlichen gesitteten gesellschaft, gelten dem staate. der stadt, die
der allmächtige Zeus und Ares (der herr des hügels) ehren als die be-
schirmerin der Hellenischen gottesdienste15), erflehen sie zunächst den
segen der natur, das was aus dem schosse der erde kommt, in der sie
selbst wohnen, erntesegen, reiche herbste, gedeihen des viehes und
finderglück in den laureotischen bergwerken. dann geht es weiter zu
dem gedeihen des menschlichen jungen nachwuchses und zu den be-
deutenden politischen wünschen, bewahrung vor bürgerzwist und bürger-
krieg: so sollen die Athener leben en aisimiaisi ploutou. um sieg
wider äussere feinde hatte Pallas nicht erst gebeten: den kann und wird
sie selber schaffen (913). wenn sie dieses alles verheissen können, so
sind die Eumeniden selbst andere geworden; sie garantiren nicht mehr
bloss die strafe des mordes, sondern die äusserliche und innerliche ge-
sundheit des staatslebens. und in diesem sinne entspricht ihnen freilich
nicht mehr der blutgerichtshof auf den Areopag, sondern nur die rechts-
ordnung die Athena selbst repraesentirt, der attische staat. also was uns
in der bedeutung des Areopages und in dem charakter der Eumeniden
gleichermassen zunächst befremden mag, das löst sich so, dass Aischylos
zwar in der fabel die er dramatisirt nur den gerichtshof und nur die
rachegöttinnen vorfindet, dass er aber das nur als exempel für die höhere
sittlichkeit des staatlich geordneten lebens gegenüber der blutrache ver-
wendet, und wie er es immer tut, seinem volke sagt: die götter, an die
wir glauben, sind andere als die der sage und sind doch dieselben; sie
haben sich mit der reineren frömmigkeit in unserem herzen selbst ge-
reinigt. nur so können wir sie verehren, aber so müssen und dürfen
wir es tun. er setzt die Erinyen freilich gewissermassen zur ruhe; aber
erst dadurch dass sie Eumeniden werden, werden sie wirklich zu göttin-
nen.16) die weltordnung, in der wir leben, ist die des Zeus und der

15) Rusibomon Ellanon agalma daimonon 920. dies an Athen hervorgehoben,
an so bedeutsamer stelle, gemahnt an den perikleischen antrag auf eine gemeinsame
herstellung der von den Persern zerstörten heiligtümer. die zeit desselben ist auf
lauter unsichere anhaltspunkte hin verschieden bestimmt worden. ich möchte nichts
versichern, aber in dieser zeit, wo Athen in der amphiktionie einen anhalt zur na-
tionalen einigung sucht, würde ein solcher versuch auch sehr gut denkbar sein.
16) Dass in wahrheit die Semnai theai, die Eumenides ihrem wesen nach viel-
mehr so umfassende chthonische mächte waren, wie sie der schluss zeigt, und als
Poinai Arai Erinues nur ausgeartet durch die einseitige ausbildung einer seite ihres
wesens, ist zwar nicht schwer zu zeigen, führt hier aber zu weit ab. der dichter
hat selbst schwerlich geahnt, dass er die göttinnen auch historisch richtig verstehen
lehren könnte.

III. 7. Der proceſs der Eumeniden.
menschlichen gesitteten gesellschaft, gelten dem staate. der stadt, die
der allmächtige Zeus und Ares (der herr des hügels) ehren als die be-
schirmerin der Hellenischen gottesdienste15), erflehen sie zunächst den
segen der natur, das was aus dem schoſse der erde kommt, in der sie
selbst wohnen, erntesegen, reiche herbste, gedeihen des viehes und
finderglück in den laureotischen bergwerken. dann geht es weiter zu
dem gedeihen des menschlichen jungen nachwuchses und zu den be-
deutenden politischen wünschen, bewahrung vor bürgerzwist und bürger-
krieg: so sollen die Athener leben ἐν αἰσιμίαισι πλούτου. um sieg
wider äuſsere feinde hatte Pallas nicht erst gebeten: den kann und wird
sie selber schaffen (913). wenn sie dieses alles verheiſsen können, so
sind die Eumeniden selbst andere geworden; sie garantiren nicht mehr
bloſs die strafe des mordes, sondern die äuſserliche und innerliche ge-
sundheit des staatslebens. und in diesem sinne entspricht ihnen freilich
nicht mehr der blutgerichtshof auf den Areopag, sondern nur die rechts-
ordnung die Athena selbst repraesentirt, der attische staat. also was uns
in der bedeutung des Areopages und in dem charakter der Eumeniden
gleichermaſsen zunächst befremden mag, das löst sich so, daſs Aischylos
zwar in der fabel die er dramatisirt nur den gerichtshof und nur die
rachegöttinnen vorfindet, daſs er aber das nur als exempel für die höhere
sittlichkeit des staatlich geordneten lebens gegenüber der blutrache ver-
wendet, und wie er es immer tut, seinem volke sagt: die götter, an die
wir glauben, sind andere als die der sage und sind doch dieselben; sie
haben sich mit der reineren frömmigkeit in unserem herzen selbst ge-
reinigt. nur so können wir sie verehren, aber so müssen und dürfen
wir es tun. er setzt die Erinyen freilich gewissermaſsen zur ruhe; aber
erst dadurch daſs sie Eumeniden werden, werden sie wirklich zu göttin-
nen.16) die weltordnung, in der wir leben, ist die des Zeus und der

15) ῥυσίβωμον Ἑλλάνων ἄγαλμα δαιμόνων 920. dies an Athen hervorgehoben,
an so bedeutsamer stelle, gemahnt an den perikleischen antrag auf eine gemeinsame
herstellung der von den Persern zerstörten heiligtümer. die zeit desselben ist auf
lauter unsichere anhaltspunkte hin verschieden bestimmt worden. ich möchte nichts
versichern, aber in dieser zeit, wo Athen in der amphiktionie einen anhalt zur na-
tionalen einigung sucht, würde ein solcher versuch auch sehr gut denkbar sein.
16) Daſs in wahrheit die Σεμναί ϑεαί, die Εὐμένιδες ihrem wesen nach viel-
mehr so umfassende chthonische mächte waren, wie sie der schluſs zeigt, und als
Ποιναί Ἀϱαί Ἐϱινύες nur ausgeartet durch die einseitige ausbildung einer seite ihres
wesens, ist zwar nicht schwer zu zeigen, führt hier aber zu weit ab. der dichter
hat selbst schwerlich geahnt, daſs er die göttinnen auch historisch richtig verstehen
lehren könnte.
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[340/0350] III. 7. Der proceſs der Eumeniden. menschlichen gesitteten gesellschaft, gelten dem staate. der stadt, die der allmächtige Zeus und Ares (der herr des hügels) ehren als die be- schirmerin der Hellenischen gottesdienste 15), erflehen sie zunächst den segen der natur, das was aus dem schoſse der erde kommt, in der sie selbst wohnen, erntesegen, reiche herbste, gedeihen des viehes und finderglück in den laureotischen bergwerken. dann geht es weiter zu dem gedeihen des menschlichen jungen nachwuchses und zu den be- deutenden politischen wünschen, bewahrung vor bürgerzwist und bürger- krieg: so sollen die Athener leben ἐν αἰσιμίαισι πλούτου. um sieg wider äuſsere feinde hatte Pallas nicht erst gebeten: den kann und wird sie selber schaffen (913). wenn sie dieses alles verheiſsen können, so sind die Eumeniden selbst andere geworden; sie garantiren nicht mehr bloſs die strafe des mordes, sondern die äuſserliche und innerliche ge- sundheit des staatslebens. und in diesem sinne entspricht ihnen freilich nicht mehr der blutgerichtshof auf den Areopag, sondern nur die rechts- ordnung die Athena selbst repraesentirt, der attische staat. also was uns in der bedeutung des Areopages und in dem charakter der Eumeniden gleichermaſsen zunächst befremden mag, das löst sich so, daſs Aischylos zwar in der fabel die er dramatisirt nur den gerichtshof und nur die rachegöttinnen vorfindet, daſs er aber das nur als exempel für die höhere sittlichkeit des staatlich geordneten lebens gegenüber der blutrache ver- wendet, und wie er es immer tut, seinem volke sagt: die götter, an die wir glauben, sind andere als die der sage und sind doch dieselben; sie haben sich mit der reineren frömmigkeit in unserem herzen selbst ge- reinigt. nur so können wir sie verehren, aber so müssen und dürfen wir es tun. er setzt die Erinyen freilich gewissermaſsen zur ruhe; aber erst dadurch daſs sie Eumeniden werden, werden sie wirklich zu göttin- nen. 16) die weltordnung, in der wir leben, ist die des Zeus und der 15) ῥυσίβωμον Ἑλλάνων ἄγαλμα δαιμόνων 920. dies an Athen hervorgehoben, an so bedeutsamer stelle, gemahnt an den perikleischen antrag auf eine gemeinsame herstellung der von den Persern zerstörten heiligtümer. die zeit desselben ist auf lauter unsichere anhaltspunkte hin verschieden bestimmt worden. ich möchte nichts versichern, aber in dieser zeit, wo Athen in der amphiktionie einen anhalt zur na- tionalen einigung sucht, würde ein solcher versuch auch sehr gut denkbar sein. 16) Daſs in wahrheit die Σεμναί ϑεαί, die Εὐμένιδες ihrem wesen nach viel- mehr so umfassende chthonische mächte waren, wie sie der schluſs zeigt, und als Ποιναί Ἀϱαί Ἐϱινύες nur ausgeartet durch die einseitige ausbildung einer seite ihres wesens, ist zwar nicht schwer zu zeigen, führt hier aber zu weit ab. der dichter hat selbst schwerlich geahnt, daſs er die göttinnen auch historisch richtig verstehen lehren könnte.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/350>, abgerufen am 24.11.2024.