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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 8. Die Atthis.
(wenn ich mir den namen erlauben darf, Plut. Alk. 25) aufgezeichnet,
hat die legende vom könig Munichos vielleicht um des ersten attischen
olympioniken Pantakles willen gegeben (Munichos war sohn eines Pan-
takles, Harp. Mounukhia). das ist eine forschung mit anderer tendenz
als die des Herodotos, aber sie ist ihr analog. ebenso mag man über
die notwendigerweise auf directer erkundung beruhende darstellung
der jüngsten vergangenheit urteilen, von welcher wir kaum ein par
splitter haben. nur die annalistische form macht einen charakteristischen
unterschied, und sie, sollte man meinen, konnte er ohne die benutzung
der archontenliste, weiter hinauf der königsliste, nicht herstellen. aber
da liegt ja die bittere kritik des Thukydides vor, der seine zeitrechnung
gerade in der jüngsten vergangenheit ungenau fand. da uns gerade
für die entscheidenden zeiten, vom archon Kreon etwa bis zum archon
Konon, daten des Hellanikos fehlen, ist es müssig, in dieser richtung
etwas sagen zu wollen. ob er also bereits zugang zu dem exegeten und
seinen aufzeichnungen hatte, muss um so mehr dahinstehn, als eine er-
läuterung alter attischer institutionen, religiöser sowol wie politischer,
so gut wie ganz fehlt. die gründungssage des Areopages und die ge-
richte über Kephalos, Orestes u. s. w. auf demselben konnte er wol
ziemlich von jedermann in Athen erfahren. auf keinen fall ist Hella-
nikos derjenige gewesen, der an Solons gesetzgebung eine darstellung
der patrios politeia knüpfte.

Erst ein Athener, und zwar ein Athener der restaurirten demo-
kratie hat das tun können, und diesen nehme ich für den herausgeber
der exegetenchronik in anspruch. das ist schon etwas grosses, aber ich
will ihn deshalb keinesweges für ihren verfasser ausgeben. schon die
sprachlichen indicien, wie polis und kataphatizo noch bei Aristoteles,
scheinen mir höher hinauf zu weisen, und ich bin geneigt, mir in seiner
vorlage, den upomnemata des exegeten, schon sehr viel mehr auch von
ausgeführten, zum teil ganz novellistischen erzählungen zu denken. dass
das nicht als etwas ungeheuerliches erscheine, erinnere ich an eine
hauptquelle des Herodotos. wer ihn kennt, dem müssen die upomne-
mata des delphischen orakels eine bekannte grösse sein, eine sammlung
von sprüchen des gottes mit den zugehörigen erzählungen, die sowol
die veranlassung wie die erfüllung der einzelnen orakel enthielt, ein
wunderbarer schatz geschichtlicher und religiöser belehrung, über die
ganze hellenische welt und noch darüber hinaus sich erstreckend, ge-
mäss der macht des gottes, die gewaltigsten katastrophen der welt-
geschichte, wie den sturz des Kroisos, und die geschicke merkwürdiger

I. 8. Die Atthis.
(wenn ich mir den namen erlauben darf, Plut. Alk. 25) aufgezeichnet,
hat die legende vom könig Munichos vielleicht um des ersten attischen
olympioniken Pantakles willen gegeben (Munichos war sohn eines Pan-
takles, Harp. Μουνυχία). das ist eine forschung mit anderer tendenz
als die des Herodotos, aber sie ist ihr analog. ebenso mag man über
die notwendigerweise auf directer erkundung beruhende darstellung
der jüngsten vergangenheit urteilen, von welcher wir kaum ein par
splitter haben. nur die annalistische form macht einen charakteristischen
unterschied, und sie, sollte man meinen, konnte er ohne die benutzung
der archontenliste, weiter hinauf der königsliste, nicht herstellen. aber
da liegt ja die bittere kritik des Thukydides vor, der seine zeitrechnung
gerade in der jüngsten vergangenheit ungenau fand. da uns gerade
für die entscheidenden zeiten, vom archon Kreon etwa bis zum archon
Konon, daten des Hellanikos fehlen, ist es müſsig, in dieser richtung
etwas sagen zu wollen. ob er also bereits zugang zu dem exegeten und
seinen aufzeichnungen hatte, muſs um so mehr dahinstehn, als eine er-
läuterung alter attischer institutionen, religiöser sowol wie politischer,
so gut wie ganz fehlt. die gründungssage des Areopages und die ge-
richte über Kephalos, Orestes u. s. w. auf demselben konnte er wol
ziemlich von jedermann in Athen erfahren. auf keinen fall ist Hella-
nikos derjenige gewesen, der an Solons gesetzgebung eine darstellung
der πάτϱιος πολιτεία knüpfte.

Erst ein Athener, und zwar ein Athener der restaurirten demo-
kratie hat das tun können, und diesen nehme ich für den herausgeber
der exegetenchronik in anspruch. das ist schon etwas groſses, aber ich
will ihn deshalb keinesweges für ihren verfasser ausgeben. schon die
sprachlichen indicien, wie πόλις und καταφατίζω noch bei Aristoteles,
scheinen mir höher hinauf zu weisen, und ich bin geneigt, mir in seiner
vorlage, den ὑπομνήματα des exegeten, schon sehr viel mehr auch von
ausgeführten, zum teil ganz novellistischen erzählungen zu denken. daſs
das nicht als etwas ungeheuerliches erscheine, erinnere ich an eine
hauptquelle des Herodotos. wer ihn kennt, dem müssen die ὑπομνή-
ματα des delphischen orakels eine bekannte gröſse sein, eine sammlung
von sprüchen des gottes mit den zugehörigen erzählungen, die sowol
die veranlassung wie die erfüllung der einzelnen orakel enthielt, ein
wunderbarer schatz geschichtlicher und religiöser belehrung, über die
ganze hellenische welt und noch darüber hinaus sich erstreckend, ge-
mäſs der macht des gottes, die gewaltigsten katastrophen der welt-
geschichte, wie den sturz des Kroisos, und die geschicke merkwürdiger

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[284/0298] I. 8. Die Atthis. (wenn ich mir den namen erlauben darf, Plut. Alk. 25) aufgezeichnet, hat die legende vom könig Munichos vielleicht um des ersten attischen olympioniken Pantakles willen gegeben (Munichos war sohn eines Pan- takles, Harp. Μουνυχία). das ist eine forschung mit anderer tendenz als die des Herodotos, aber sie ist ihr analog. ebenso mag man über die notwendigerweise auf directer erkundung beruhende darstellung der jüngsten vergangenheit urteilen, von welcher wir kaum ein par splitter haben. nur die annalistische form macht einen charakteristischen unterschied, und sie, sollte man meinen, konnte er ohne die benutzung der archontenliste, weiter hinauf der königsliste, nicht herstellen. aber da liegt ja die bittere kritik des Thukydides vor, der seine zeitrechnung gerade in der jüngsten vergangenheit ungenau fand. da uns gerade für die entscheidenden zeiten, vom archon Kreon etwa bis zum archon Konon, daten des Hellanikos fehlen, ist es müſsig, in dieser richtung etwas sagen zu wollen. ob er also bereits zugang zu dem exegeten und seinen aufzeichnungen hatte, muſs um so mehr dahinstehn, als eine er- läuterung alter attischer institutionen, religiöser sowol wie politischer, so gut wie ganz fehlt. die gründungssage des Areopages und die ge- richte über Kephalos, Orestes u. s. w. auf demselben konnte er wol ziemlich von jedermann in Athen erfahren. auf keinen fall ist Hella- nikos derjenige gewesen, der an Solons gesetzgebung eine darstellung der πάτϱιος πολιτεία knüpfte. Erst ein Athener, und zwar ein Athener der restaurirten demo- kratie hat das tun können, und diesen nehme ich für den herausgeber der exegetenchronik in anspruch. das ist schon etwas groſses, aber ich will ihn deshalb keinesweges für ihren verfasser ausgeben. schon die sprachlichen indicien, wie πόλις und καταφατίζω noch bei Aristoteles, scheinen mir höher hinauf zu weisen, und ich bin geneigt, mir in seiner vorlage, den ὑπομνήματα des exegeten, schon sehr viel mehr auch von ausgeführten, zum teil ganz novellistischen erzählungen zu denken. daſs das nicht als etwas ungeheuerliches erscheine, erinnere ich an eine hauptquelle des Herodotos. wer ihn kennt, dem müssen die ὑπομνή- ματα des delphischen orakels eine bekannte gröſse sein, eine sammlung von sprüchen des gottes mit den zugehörigen erzählungen, die sowol die veranlassung wie die erfüllung der einzelnen orakel enthielt, ein wunderbarer schatz geschichtlicher und religiöser belehrung, über die ganze hellenische welt und noch darüber hinaus sich erstreckend, ge- mäſs der macht des gottes, die gewaltigsten katastrophen der welt- geschichte, wie den sturz des Kroisos, und die geschicke merkwürdiger

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/298>, abgerufen am 23.11.2024.