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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die einzelnen Atthidographen.
bereits in der attischen namenreihe fixirt hat, letzteres natürlich nur in
dem falle, dass Hippias die olympischen listen vorher edirt hatte. jedenfalls
ist nachher gar kein attisches jahrbuch denkbar, das nicht diese feste
verbindung zu der allgemeinen chronologie geschlagen hätte; sie muss
einmal durch rechnung gefunden sein, und zwar sehr früh, da es
nennenswerte schwankungen nicht gibt. das reich der chronologischen
spielerei der einzelnen beginnt erst, wenn es gilt die epochenjahre,
Ilios fall unter könig Demophon, ionische wanderung unter Neleus, zu
einander und zu dem festen unteren datum, erste olympiade im zweiten
jahre des königs Aischylos, in verbindung zu setzen. denn da muss die
attische rechnung der allgemeinen chronologie folgen. und selbstverständ-
lich ist in der periode von erschaffung der welt bis auf Ilios fall alles
dem belieben jedes einzelnen schriftstellers freigegeben. da die Hellenen
an hohen ziffern, zahlenschematismus und leeren namen nur eine
mässige freude empfunden haben, so hatten Juden und andere orientalen
hier das hochgefühl, ihren herren weit über zu sein. es bildet das ein
stehendes capitel bei den christlichen apologeten, das sie den Juden
danken, und so finden wir es denn am gelehrtesten ausgeführt bei Jo-
sephus (c. Apion. I 6--23), der mit voller berechtigung der starren con-
sequenz seiner nationalen schwindelchronologie die widersprüche der
attischen und argolischen listen gegenüber stellt: natürlich gilt das der
zeit von Ogygos und Phoroneus bis auf Troias fall oder allenfalls bis
auf die erste olympiade, einer periode, für die wir so wenig nach zahlen
verlangen wie für die zeit vor David bei den Hebräern; mag auch der
Jude den mund sehr voll nehmen und in demselben atem die kritische
polemik des Ephoros und Timaios nennen, d. h. die hellenische wissen-
schaft gegenüber der barbarischen dumpfheit herabsetzen. 34)

Hellanikos hat seine erkundigungen natürlich in Athen eingezogen,
hat die stammbäume der Eumolpiden (Harp. ierophantes) und Andokiden

34) Wenn er dann den Hellenen entgegenhält, wie jung die schrift bei ihnen
wäre und wie spät die officiellen aufzeichnungen begonnen hätten, so möchten wir
wol den einsichtigen Griechen kennen, den er abschreibt; dass in Athen die drakon-
tischen gesetze das älteste erhaltene document waren, wissen wir eben so gut,
aber wir wissen auch, dass selbst im staatsleben die schrift lange vorher in gebrauch
war, und der Jude hat mit geschickter unredlichkeit den Drakon "einen menschen,
der kurz vor Peisistratos lebte" genannt; die erwähnung der Olympionikenliste
würde ihm die kreise unerfreulich gestört haben. -- auf die recensio und emendatio
des traurig entstellten textes, die noch recht viel arbeit fordert, will ich hier nicht
eingehn.

Die einzelnen Atthidographen.
bereits in der attischen namenreihe fixirt hat, letzteres natürlich nur in
dem falle, daſs Hippias die olympischen listen vorher edirt hatte. jedenfalls
ist nachher gar kein attisches jahrbuch denkbar, das nicht diese feste
verbindung zu der allgemeinen chronologie geschlagen hätte; sie muſs
einmal durch rechnung gefunden sein, und zwar sehr früh, da es
nennenswerte schwankungen nicht gibt. das reich der chronologischen
spielerei der einzelnen beginnt erst, wenn es gilt die epochenjahre,
Ilios fall unter könig Demophon, ionische wanderung unter Neleus, zu
einander und zu dem festen unteren datum, erste olympiade im zweiten
jahre des königs Aischylos, in verbindung zu setzen. denn da muſs die
attische rechnung der allgemeinen chronologie folgen. und selbstverständ-
lich ist in der periode von erschaffung der welt bis auf Ilios fall alles
dem belieben jedes einzelnen schriftstellers freigegeben. da die Hellenen
an hohen ziffern, zahlenschematismus und leeren namen nur eine
mäſsige freude empfunden haben, so hatten Juden und andere orientalen
hier das hochgefühl, ihren herren weit über zu sein. es bildet das ein
stehendes capitel bei den christlichen apologeten, das sie den Juden
danken, und so finden wir es denn am gelehrtesten ausgeführt bei Jo-
sephus (c. Apion. I 6—23), der mit voller berechtigung der starren con-
sequenz seiner nationalen schwindelchronologie die widersprüche der
attischen und argolischen listen gegenüber stellt: natürlich gilt das der
zeit von Ogygos und Phoroneus bis auf Troias fall oder allenfalls bis
auf die erste olympiade, einer periode, für die wir so wenig nach zahlen
verlangen wie für die zeit vor David bei den Hebräern; mag auch der
Jude den mund sehr voll nehmen und in demselben atem die kritische
polemik des Ephoros und Timaios nennen, d. h. die hellenische wissen-
schaft gegenüber der barbarischen dumpfheit herabsetzen. 34)

Hellanikos hat seine erkundigungen natürlich in Athen eingezogen,
hat die stammbäume der Eumolpiden (Harp. ἱεϱοφάντης) und Andokiden

34) Wenn er dann den Hellenen entgegenhält, wie jung die schrift bei ihnen
wäre und wie spät die officiellen aufzeichnungen begonnen hätten, so möchten wir
wol den einsichtigen Griechen kennen, den er abschreibt; daſs in Athen die drakon-
tischen gesetze das älteste erhaltene document waren, wissen wir eben so gut,
aber wir wissen auch, daſs selbst im staatsleben die schrift lange vorher in gebrauch
war, und der Jude hat mit geschickter unredlichkeit den Drakon “einen menschen,
der kurz vor Peisistratos lebte” genannt; die erwähnung der Olympionikenliste
würde ihm die kreise unerfreulich gestört haben. — auf die recensio und emendatio
des traurig entstellten textes, die noch recht viel arbeit fordert, will ich hier nicht
eingehn.
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[283/0297] Die einzelnen Atthidographen. bereits in der attischen namenreihe fixirt hat, letzteres natürlich nur in dem falle, daſs Hippias die olympischen listen vorher edirt hatte. jedenfalls ist nachher gar kein attisches jahrbuch denkbar, das nicht diese feste verbindung zu der allgemeinen chronologie geschlagen hätte; sie muſs einmal durch rechnung gefunden sein, und zwar sehr früh, da es nennenswerte schwankungen nicht gibt. das reich der chronologischen spielerei der einzelnen beginnt erst, wenn es gilt die epochenjahre, Ilios fall unter könig Demophon, ionische wanderung unter Neleus, zu einander und zu dem festen unteren datum, erste olympiade im zweiten jahre des königs Aischylos, in verbindung zu setzen. denn da muſs die attische rechnung der allgemeinen chronologie folgen. und selbstverständ- lich ist in der periode von erschaffung der welt bis auf Ilios fall alles dem belieben jedes einzelnen schriftstellers freigegeben. da die Hellenen an hohen ziffern, zahlenschematismus und leeren namen nur eine mäſsige freude empfunden haben, so hatten Juden und andere orientalen hier das hochgefühl, ihren herren weit über zu sein. es bildet das ein stehendes capitel bei den christlichen apologeten, das sie den Juden danken, und so finden wir es denn am gelehrtesten ausgeführt bei Jo- sephus (c. Apion. I 6—23), der mit voller berechtigung der starren con- sequenz seiner nationalen schwindelchronologie die widersprüche der attischen und argolischen listen gegenüber stellt: natürlich gilt das der zeit von Ogygos und Phoroneus bis auf Troias fall oder allenfalls bis auf die erste olympiade, einer periode, für die wir so wenig nach zahlen verlangen wie für die zeit vor David bei den Hebräern; mag auch der Jude den mund sehr voll nehmen und in demselben atem die kritische polemik des Ephoros und Timaios nennen, d. h. die hellenische wissen- schaft gegenüber der barbarischen dumpfheit herabsetzen. 34) Hellanikos hat seine erkundigungen natürlich in Athen eingezogen, hat die stammbäume der Eumolpiden (Harp. ἱεϱοφάντης) und Andokiden 34) Wenn er dann den Hellenen entgegenhält, wie jung die schrift bei ihnen wäre und wie spät die officiellen aufzeichnungen begonnen hätten, so möchten wir wol den einsichtigen Griechen kennen, den er abschreibt; daſs in Athen die drakon- tischen gesetze das älteste erhaltene document waren, wissen wir eben so gut, aber wir wissen auch, daſs selbst im staatsleben die schrift lange vorher in gebrauch war, und der Jude hat mit geschickter unredlichkeit den Drakon “einen menschen, der kurz vor Peisistratos lebte” genannt; die erwähnung der Olympionikenliste würde ihm die kreise unerfreulich gestört haben. — auf die recensio und emendatio des traurig entstellten textes, die noch recht viel arbeit fordert, will ich hier nicht eingehn.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/297>, abgerufen am 23.11.2024.