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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Urkundlichkeit der Atthis.
andern positiv: die Atthis steht auf dem demokratischen standpunkt der
zeit, in der ihre litterarischen verarbeiter leben, was freilich so wenig
befremden sollte, als dass die römische chronik, die es doch im anschluss
an priesterliche zusätze zur beamtenliste gegeben hat, den politischen
standpunkt der scipionischen und dann der sullanischen zeit, je nach
den bearbeitern, trägt. Solon und Kleisthenes, das sind die grossen
namen der Atthis, und in der vorzeit der demokratenkönig Theseus.
sonst ist sie dem königtum entschieden feindselig. die legenden von
Melanthos und Kodros, die der institution und dem geschlechte der
könige ungünstig sind, werden bevorzugt. aber auch adelsfeindlich ist
die Atthis. sie gibt zwar die stammbäume einzelner schon in Solons
zeit bedeutender häuser wie der Philaiden und des hauses, aus dem
Andokides stammte, aber die personen und die familien des adels und,
was mehr ist, die ganze organisation des geschlechterstaates sind in ganz
auffälliger weise in den hintergrund gedrängt. alle hundert namen
waren verzeichnet, aus denen der gott 507 die 10 phylenheroen wählte,
aber, das können wir dem schweigen der grammatiker mit bestimmtheit
entnehmen, keine einzige phratrie: die hätten die atthidographen, zwar
kaum noch im dritten, aber sicher. am anfang des vierten jahrhunderts
aus dem lebendigen gebrauche nehmen können. auch die doch noch
über Kleisthenes hinaus geltenden naukrarien 31) und selbst die verkümmert
fortlebenden trittyen scheinen nicht aufgezeichnet worden zu sein. und
noch eins ist greifbar: die chronik ist städtisch. nur die königsnamen
der stadt sind in ihre liste gekommen, und man hat lieber nach fictionen
gegriffen, als die zahlreichen traditionen der andern orte zu verwerten.
namen wie Kolainos Porphyrion Munichos verdanken wir ihr oder ein-
zelnen ihrer bearbeiter freilich, aber was will das besagen gegenüber
der fülle von lebendiger überlieferung, die z. b. in Marathon vorhanden
gewesen sein muss. und ganz besonders fällt ins auge, dass zwar der
krieg wider Eleusis geschichtlich nicht mehr vorkommt, aber der eleu-
sinische cult und adel geflissentlich vernachlässigt ist: die Eumolpiden
und Kerykes hätten wahrlich etwas zu berichten gehabt. das ist um so
auffälliger, als die chronik sich ganz besonders angelegen sein liess, die
altertümer des städtischen cultes im weitesten sinne zu fixiren und,
meist durch aetiologische sagen, zu erläutern. weitaus das meiste was
wir von ihr besitzen gehört ja dieser kategorie an. wer sich dies alles

31) Ich kenne nur eine naukrarie Kolias aus Bekk. An. 274. über die trittyen
vgl. das capitel des namens.

Urkundlichkeit der Atthis.
andern positiv: die Atthis steht auf dem demokratischen standpunkt der
zeit, in der ihre litterarischen verarbeiter leben, was freilich so wenig
befremden sollte, als daſs die römische chronik, die es doch im anschluſs
an priesterliche zusätze zur beamtenliste gegeben hat, den politischen
standpunkt der scipionischen und dann der sullanischen zeit, je nach
den bearbeitern, trägt. Solon und Kleisthenes, das sind die groſsen
namen der Atthis, und in der vorzeit der demokratenkönig Theseus.
sonst ist sie dem königtum entschieden feindselig. die legenden von
Melanthos und Kodros, die der institution und dem geschlechte der
könige ungünstig sind, werden bevorzugt. aber auch adelsfeindlich ist
die Atthis. sie gibt zwar die stammbäume einzelner schon in Solons
zeit bedeutender häuser wie der Philaiden und des hauses, aus dem
Andokides stammte, aber die personen und die familien des adels und,
was mehr ist, die ganze organisation des geschlechterstaates sind in ganz
auffälliger weise in den hintergrund gedrängt. alle hundert namen
waren verzeichnet, aus denen der gott 507 die 10 phylenheroen wählte,
aber, das können wir dem schweigen der grammatiker mit bestimmtheit
entnehmen, keine einzige phratrie: die hätten die atthidographen, zwar
kaum noch im dritten, aber sicher. am anfang des vierten jahrhunderts
aus dem lebendigen gebrauche nehmen können. auch die doch noch
über Kleisthenes hinaus geltenden naukrarien 31) und selbst die verkümmert
fortlebenden trittyen scheinen nicht aufgezeichnet worden zu sein. und
noch eins ist greifbar: die chronik ist städtisch. nur die königsnamen
der stadt sind in ihre liste gekommen, und man hat lieber nach fictionen
gegriffen, als die zahlreichen traditionen der andern orte zu verwerten.
namen wie Kolainos Porphyrion Munichos verdanken wir ihr oder ein-
zelnen ihrer bearbeiter freilich, aber was will das besagen gegenüber
der fülle von lebendiger überlieferung, die z. b. in Marathon vorhanden
gewesen sein muſs. und ganz besonders fällt ins auge, daſs zwar der
krieg wider Eleusis geschichtlich nicht mehr vorkommt, aber der eleu-
sinische cult und adel geflissentlich vernachlässigt ist: die Eumolpiden
und Kerykes hätten wahrlich etwas zu berichten gehabt. das ist um so
auffälliger, als die chronik sich ganz besonders angelegen sein lieſs, die
altertümer des städtischen cultes im weitesten sinne zu fixiren und,
meist durch aetiologische sagen, zu erläutern. weitaus das meiste was
wir von ihr besitzen gehört ja dieser kategorie an. wer sich dies alles

31) Ich kenne nur eine naukrarie Κωλιάς aus Bekk. An. 274. über die trittyen
vgl. das capitel des namens.
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[279/0293] Urkundlichkeit der Atthis. andern positiv: die Atthis steht auf dem demokratischen standpunkt der zeit, in der ihre litterarischen verarbeiter leben, was freilich so wenig befremden sollte, als daſs die römische chronik, die es doch im anschluſs an priesterliche zusätze zur beamtenliste gegeben hat, den politischen standpunkt der scipionischen und dann der sullanischen zeit, je nach den bearbeitern, trägt. Solon und Kleisthenes, das sind die groſsen namen der Atthis, und in der vorzeit der demokratenkönig Theseus. sonst ist sie dem königtum entschieden feindselig. die legenden von Melanthos und Kodros, die der institution und dem geschlechte der könige ungünstig sind, werden bevorzugt. aber auch adelsfeindlich ist die Atthis. sie gibt zwar die stammbäume einzelner schon in Solons zeit bedeutender häuser wie der Philaiden und des hauses, aus dem Andokides stammte, aber die personen und die familien des adels und, was mehr ist, die ganze organisation des geschlechterstaates sind in ganz auffälliger weise in den hintergrund gedrängt. alle hundert namen waren verzeichnet, aus denen der gott 507 die 10 phylenheroen wählte, aber, das können wir dem schweigen der grammatiker mit bestimmtheit entnehmen, keine einzige phratrie: die hätten die atthidographen, zwar kaum noch im dritten, aber sicher. am anfang des vierten jahrhunderts aus dem lebendigen gebrauche nehmen können. auch die doch noch über Kleisthenes hinaus geltenden naukrarien 31) und selbst die verkümmert fortlebenden trittyen scheinen nicht aufgezeichnet worden zu sein. und noch eins ist greifbar: die chronik ist städtisch. nur die königsnamen der stadt sind in ihre liste gekommen, und man hat lieber nach fictionen gegriffen, als die zahlreichen traditionen der andern orte zu verwerten. namen wie Kolainos Porphyrion Munichos verdanken wir ihr oder ein- zelnen ihrer bearbeiter freilich, aber was will das besagen gegenüber der fülle von lebendiger überlieferung, die z. b. in Marathon vorhanden gewesen sein muſs. und ganz besonders fällt ins auge, daſs zwar der krieg wider Eleusis geschichtlich nicht mehr vorkommt, aber der eleu- sinische cult und adel geflissentlich vernachlässigt ist: die Eumolpiden und Kerykes hätten wahrlich etwas zu berichten gehabt. das ist um so auffälliger, als die chronik sich ganz besonders angelegen sein lieſs, die altertümer des städtischen cultes im weitesten sinne zu fixiren und, meist durch aetiologische sagen, zu erläutern. weitaus das meiste was wir von ihr besitzen gehört ja dieser kategorie an. wer sich dies alles 31) Ich kenne nur eine naukrarie Κωλιάς aus Bekk. An. 274. über die trittyen vgl. das capitel des namens.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/293>, abgerufen am 22.11.2024.