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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 8. Die Atthis.
weges wertlos. dazu braucht man nur Herodots bericht hinzuzunehmen,
den er in einem excurse 7, 144 gelegentlich der themistokleischen orakel-
deutung von 480 nachträgt. da steht freilich nichts von der anekdote,
sondern Themistokles bestimmt das volk, die überschüsse statt zu ver-
teilen zum schiffsbau zu verwenden, und das ist dasselbe richtige, was
sich unter der anekdote der Atthis verbirgt. dafür liefert diese die ge-
naue zeitbestimmung während Herodot nur allgemein an den aegi-
netischen krieg anknüpft, und die richtige zahl von 100 trieren statt 200
bei Herodot, der auf die übertriebene zahl durch die stärke der flotte
von 480 gekommen ist, aus der nur folgt, ganz ebenso wie aus der
gründung des kriegshafens, dass Athen die flottengründung viel früher
ins auge gefasst und begonnen hat als 482, wo Themistokles, den Perser-
krieg im auge, die pachtgelder für eine ausserordentliche vermehrung
der flotte zu verwenden durchsetzte. so verliert die geschichte, die
Aristoteles erzählt, ihren wert für uns keinesweges, wenn wir das anek-
dotenhafte gewand ihr abstreifen; es ist allerdings zu fürchten, dass ihn
gerade dieses gereizt hat.

Ergebnis.Die analyse ist vollendet, und es ist ein sehr beträchtlicher teil der
aristotelischen nachrichten auf die Atthis oder die chronik, welches wort
mir gerade in die feder kam, zurückgeführt. die beweise sind nur zum
teil durch parallele benannte citate geliefert, von denen noch dazu einige
aus jüngeren chronisten, Demon und Philochoros, genommen waren,
zum grösseren teile dagegen lediglich durch die qualität der berichte. es
erhebt sich nun die frage, was waren das für bücher die dem Aristoteles
vorlagen. bücher waren es, nicht ein buch: das ist das erste. denn
er beruft sich auf pleious und enioi (3, 3. 7, 4) oder auf enioi (14, 4
im gegensatze zu Herodotos), demotikoi und enioi (18, 5), oi men- oi
de (17, 4); 6, 2 demotikoi und blasphemein boulomenoi, wo das letzte
die oligarchische tendenzschrift meint; auch ein phasin und oiontai
tines (9) geht auf diese gruppen, während in andern fällen ein legetai
oder phasi nur die verantwortung des schriftstellers selbst für eine anek-
dote ablehnt (14, 1. 16, 6). was ein solcher ausdruck bedeutet, muss
in jedem einzelnen falle besonders untersucht werden, ist doch selbst
Thukydides unter einem legomenos logos verborgen (18, 4). aus allem
dem folgt unweigerlich, dass Aristoteles das was wir unter dem allge-
meinen namen der Atthis notgedrungen zusammenfassen, aus einer mehr-
zahl von büchern genommen hat. bei dem stande unserer kenntnis ist
es vollkommen aussichtslos nach namen zu suchen oder mit den uns
bekannten älteren atthidographen zu operiren. unzweifelhaft ist, was

I. 8. Die Atthis.
weges wertlos. dazu braucht man nur Herodots bericht hinzuzunehmen,
den er in einem excurse 7, 144 gelegentlich der themistokleischen orakel-
deutung von 480 nachträgt. da steht freilich nichts von der anekdote,
sondern Themistokles bestimmt das volk, die überschüsse statt zu ver-
teilen zum schiffsbau zu verwenden, und das ist dasselbe richtige, was
sich unter der anekdote der Atthis verbirgt. dafür liefert diese die ge-
naue zeitbestimmung während Herodot nur allgemein an den aegi-
netischen krieg anknüpft, und die richtige zahl von 100 trieren statt 200
bei Herodot, der auf die übertriebene zahl durch die stärke der flotte
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dotenhafte gewand ihr abstreifen; es ist allerdings zu fürchten, daſs ihn
gerade dieses gereizt hat.

Ergebnis.Die analyse ist vollendet, und es ist ein sehr beträchtlicher teil der
aristotelischen nachrichten auf die Atthis oder die chronik, welches wort
mir gerade in die feder kam, zurückgeführt. die beweise sind nur zum
teil durch parallele benannte citate geliefert, von denen noch dazu einige
aus jüngeren chronisten, Demon und Philochoros, genommen waren,
zum gröſseren teile dagegen lediglich durch die qualität der berichte. es
erhebt sich nun die frage, was waren das für bücher die dem Aristoteles
vorlagen. bücher waren es, nicht ein buch: das ist das erste. denn
er beruft sich auf πλείους und ἔνιοι (3, 3. 7, 4) oder auf ἔνιοι (14, 4
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die oligarchische tendenzschrift meint; auch ein φασίν und οἴονταί
τινες (9) geht auf diese gruppen, während in andern fällen ein λέγεται
oder φασί nur die verantwortung des schriftstellers selbst für eine anek-
dote ablehnt (14, 1. 16, 6). was ein solcher ausdruck bedeutet, muſs
in jedem einzelnen falle besonders untersucht werden, ist doch selbst
Thukydides unter einem λεγόμενος λόγος verborgen (18, 4). aus allem
dem folgt unweigerlich, daſs Aristoteles das was wir unter dem allge-
meinen namen der Atthis notgedrungen zusammenfassen, aus einer mehr-
zahl von büchern genommen hat. bei dem stande unserer kenntnis ist
es vollkommen aussichtslos nach namen zu suchen oder mit den uns
bekannten älteren atthidographen zu operiren. unzweifelhaft ist, was

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[276/0290] I. 8. Die Atthis. weges wertlos. dazu braucht man nur Herodots bericht hinzuzunehmen, den er in einem excurse 7, 144 gelegentlich der themistokleischen orakel- deutung von 480 nachträgt. da steht freilich nichts von der anekdote, sondern Themistokles bestimmt das volk, die überschüsse statt zu ver- teilen zum schiffsbau zu verwenden, und das ist dasselbe richtige, was sich unter der anekdote der Atthis verbirgt. dafür liefert diese die ge- naue zeitbestimmung während Herodot nur allgemein an den aegi- netischen krieg anknüpft, und die richtige zahl von 100 trieren statt 200 bei Herodot, der auf die übertriebene zahl durch die stärke der flotte von 480 gekommen ist, aus der nur folgt, ganz ebenso wie aus der gründung des kriegshafens, daſs Athen die flottengründung viel früher ins auge gefaſst und begonnen hat als 482, wo Themistokles, den Perser- krieg im auge, die pachtgelder für eine auſserordentliche vermehrung der flotte zu verwenden durchsetzte. so verliert die geschichte, die Aristoteles erzählt, ihren wert für uns keinesweges, wenn wir das anek- dotenhafte gewand ihr abstreifen; es ist allerdings zu fürchten, daſs ihn gerade dieses gereizt hat. Die analyse ist vollendet, und es ist ein sehr beträchtlicher teil der aristotelischen nachrichten auf die Atthis oder die chronik, welches wort mir gerade in die feder kam, zurückgeführt. die beweise sind nur zum teil durch parallele benannte citate geliefert, von denen noch dazu einige aus jüngeren chronisten, Demon und Philochoros, genommen waren, zum gröſseren teile dagegen lediglich durch die qualität der berichte. es erhebt sich nun die frage, was waren das für bücher die dem Aristoteles vorlagen. bücher waren es, nicht ein buch: das ist das erste. denn er beruft sich auf πλείους und ἔνιοι (3, 3. 7, 4) oder auf ἔνιοι (14, 4 im gegensatze zu Herodotos), δημοτικοί und ἔνιοι (18, 5), οἵ μέν- οἳ δέ (17, 4); 6, 2 δημοτικοί und βλασφημεῖν βουλομένοι, wo das letzte die oligarchische tendenzschrift meint; auch ein φασίν und οἴονταί τινες (9) geht auf diese gruppen, während in andern fällen ein λέγεται oder φασί nur die verantwortung des schriftstellers selbst für eine anek- dote ablehnt (14, 1. 16, 6). was ein solcher ausdruck bedeutet, muſs in jedem einzelnen falle besonders untersucht werden, ist doch selbst Thukydides unter einem λεγόμενος λόγος verborgen (18, 4). aus allem dem folgt unweigerlich, daſs Aristoteles das was wir unter dem allge- meinen namen der Atthis notgedrungen zusammenfassen, aus einer mehr- zahl von büchern genommen hat. bei dem stande unserer kenntnis ist es vollkommen aussichtslos nach namen zu suchen oder mit den uns bekannten älteren atthidographen zu operiren. unzweifelhaft ist, was Ergebnis.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/290>, abgerufen am 22.11.2024.