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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Peisistratos und Solon.
ladung auf den Areopag folge leistet, und bildet die solonischen gesetze
weiter aus. 9) Solon aber stirbt schon im nächsten jahre.

Die erotische verbindung zwischen Solon und Peisistratos ist von
Plutarch schon im ersten capitel behandelt, auch nur auf enioi zurück-
geführt, wie bei Aristoteles, aber in feiner weise dadurch glaublich ge-
macht, dass erstens ihr verhältnis im alter doch noch dafür zeugte,
dass 'die flamme unter der asche weiterglomm', und dass Solons verse
seine erotische empfänglichkeit belegten, wie denn auch Peisistratos
einen geliebten Charmos gehabt habe. 10) diese gelehrsamkeit und auch
die psychologische finesse ist nicht Plutarchs eigentum, sondern es ge-
hört alles zusammen demjenigen an, der auf grund vornehmlich der
solonischen gedichte ein 'portrait' Solons zu entwerfen versuchte: es ist
ein stück der peripatetischen psychologischen geschichtsschreibung, die
man sehr unbilliger weise verachtet. so wird denn auch Phainias citirt,
für den archon, unter dem Solon starb: also nur durch diese peripate-
tische vermittelung ist die Atthis benutzt. auch Theophrast wird citirt
und gegen den Pontiker Herakleides polemisirt, der von der verbindung
der beiden alten Athener mehr hatte wissen wollen und Solon noch
lange unter Peisistratos leben liess. 11) es liegt also eine durchgreifende
überarbeitung der erzählung der chronik vor, und daneben zeigt sich
die autorität des Aristoteles, nicht indem sein buch benutzt wird, son-
dern sein beispiel wirkt in der noch ausgiebigeren verwertung der solo-
nischen gedichte.

9) Die partie über die Atlantis (31, 3--32, 2), die Plutarch hierher rückt, muss
man für die geschichte aussondern.
10) Peisistratos soll den Erosaltar der Akademie geweiht haben. das ist falsch,
denn das epigramm selbst nannte den Charmos als stifter (Kleidemos bei Athen.
XIII 609, Pausan. I 30), der polemarch gewesen war, und der schwiegervater des
Hippias gewesen sein soll, was falsch ist. dessen frau Myrrhine war tochter eines
Kallias `Uperekhidou, oder wol richtiger `Uperokhidou, Thuk. VI 55. den Charmos
macht demnach Kleidemos zum liebhaber des Hippias. natürlich musste der weihende
der liebende sein, aber wen er liebte, hat er nicht verraten. da Charmos seinen
sohn Hipparchos genannt hat, war er wol vielmehr ein eidam des Hippias oder auch
des Peisistratos.
11) Danach liegt es nahe, dem Herakleides zuzutrauen, dass er unbekümmert
um die zeitrechnung das erotische verhältnis angenommen habe: die scharfe ab-
fertigung des Aristoteles würde sich so sehr gut erklären, denn er hat den lieb-
lingsschüler Platons nicht geliebt. bei Plutarch stehn aber die enioi, die jenes ver-
hältnis berichten, dem Herakleides entgegengesetzt, und wenn das auch ganz gut
sich so erklären würde, dass dieser selbst es als die ansicht einiger gab, die er nur
wahrscheinlich zu machen versuchte, so können wir doch seinen bericht nicht mehr
sicher stellen.

Peisistratos und Solon.
ladung auf den Areopag folge leistet, und bildet die solonischen gesetze
weiter aus. 9) Solon aber stirbt schon im nächsten jahre.

Die erotische verbindung zwischen Solon und Peisistratos ist von
Plutarch schon im ersten capitel behandelt, auch nur auf ἔνιοι zurück-
geführt, wie bei Aristoteles, aber in feiner weise dadurch glaublich ge-
macht, daſs erstens ihr verhältnis im alter doch noch dafür zeugte,
daſs ‘die flamme unter der asche weiterglomm’, und daſs Solons verse
seine erotische empfänglichkeit belegten, wie denn auch Peisistratos
einen geliebten Charmos gehabt habe. 10) diese gelehrsamkeit und auch
die psychologische finesse ist nicht Plutarchs eigentum, sondern es ge-
hört alles zusammen demjenigen an, der auf grund vornehmlich der
solonischen gedichte ein ‘portrait’ Solons zu entwerfen versuchte: es ist
ein stück der peripatetischen psychologischen geschichtsschreibung, die
man sehr unbilliger weise verachtet. so wird denn auch Phainias citirt,
für den archon, unter dem Solon starb: also nur durch diese peripate-
tische vermittelung ist die Atthis benutzt. auch Theophrast wird citirt
und gegen den Pontiker Herakleides polemisirt, der von der verbindung
der beiden alten Athener mehr hatte wissen wollen und Solon noch
lange unter Peisistratos leben lieſs. 11) es liegt also eine durchgreifende
überarbeitung der erzählung der chronik vor, und daneben zeigt sich
die autorität des Aristoteles, nicht indem sein buch benutzt wird, son-
dern sein beispiel wirkt in der noch ausgiebigeren verwertung der solo-
nischen gedichte.

9) Die partie über die Atlantis (31, 3—32, 2), die Plutarch hierher rückt, muſs
man für die geschichte aussondern.
10) Peisistratos soll den Erosaltar der Akademie geweiht haben. das ist falsch,
denn das epigramm selbst nannte den Charmos als stifter (Kleidemos bei Athen.
XIII 609, Pausan. I 30), der polemarch gewesen war, und der schwiegervater des
Hippias gewesen sein soll, was falsch ist. dessen frau Myrrhine war tochter eines
Kallias ῾ϒπεϱεχίδου, oder wol richtiger ῾ϒπεϱοχίδου, Thuk. VI 55. den Charmos
macht demnach Kleidemos zum liebhaber des Hippias. natürlich muſste der weihende
der liebende sein, aber wen er liebte, hat er nicht verraten. da Charmos seinen
sohn Hipparchos genannt hat, war er wol vielmehr ein eidam des Hippias oder auch
des Peisistratos.
11) Danach liegt es nahe, dem Herakleides zuzutrauen, daſs er unbekümmert
um die zeitrechnung das erotische verhältnis angenommen habe: die scharfe ab-
fertigung des Aristoteles würde sich so sehr gut erklären, denn er hat den lieb-
lingsschüler Platons nicht geliebt. bei Plutarch stehn aber die ἔνιοι, die jenes ver-
hältnis berichten, dem Herakleides entgegengesetzt, und wenn das auch ganz gut
sich so erklären würde, daſs dieser selbst es als die ansicht einiger gab, die er nur
wahrscheinlich zu machen versuchte, so können wir doch seinen bericht nicht mehr
sicher stellen.
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[265/0279] Peisistratos und Solon. ladung auf den Areopag folge leistet, und bildet die solonischen gesetze weiter aus. 9) Solon aber stirbt schon im nächsten jahre. Die erotische verbindung zwischen Solon und Peisistratos ist von Plutarch schon im ersten capitel behandelt, auch nur auf ἔνιοι zurück- geführt, wie bei Aristoteles, aber in feiner weise dadurch glaublich ge- macht, daſs erstens ihr verhältnis im alter doch noch dafür zeugte, daſs ‘die flamme unter der asche weiterglomm’, und daſs Solons verse seine erotische empfänglichkeit belegten, wie denn auch Peisistratos einen geliebten Charmos gehabt habe. 10) diese gelehrsamkeit und auch die psychologische finesse ist nicht Plutarchs eigentum, sondern es ge- hört alles zusammen demjenigen an, der auf grund vornehmlich der solonischen gedichte ein ‘portrait’ Solons zu entwerfen versuchte: es ist ein stück der peripatetischen psychologischen geschichtsschreibung, die man sehr unbilliger weise verachtet. so wird denn auch Phainias citirt, für den archon, unter dem Solon starb: also nur durch diese peripate- tische vermittelung ist die Atthis benutzt. auch Theophrast wird citirt und gegen den Pontiker Herakleides polemisirt, der von der verbindung der beiden alten Athener mehr hatte wissen wollen und Solon noch lange unter Peisistratos leben lieſs. 11) es liegt also eine durchgreifende überarbeitung der erzählung der chronik vor, und daneben zeigt sich die autorität des Aristoteles, nicht indem sein buch benutzt wird, son- dern sein beispiel wirkt in der noch ausgiebigeren verwertung der solo- nischen gedichte. 9) Die partie über die Atlantis (31, 3—32, 2), die Plutarch hierher rückt, muſs man für die geschichte aussondern. 10) Peisistratos soll den Erosaltar der Akademie geweiht haben. das ist falsch, denn das epigramm selbst nannte den Charmos als stifter (Kleidemos bei Athen. XIII 609, Pausan. I 30), der polemarch gewesen war, und der schwiegervater des Hippias gewesen sein soll, was falsch ist. dessen frau Myrrhine war tochter eines Kallias ῾ϒπεϱεχίδου, oder wol richtiger ῾ϒπεϱοχίδου, Thuk. VI 55. den Charmos macht demnach Kleidemos zum liebhaber des Hippias. natürlich muſste der weihende der liebende sein, aber wen er liebte, hat er nicht verraten. da Charmos seinen sohn Hipparchos genannt hat, war er wol vielmehr ein eidam des Hippias oder auch des Peisistratos. 11) Danach liegt es nahe, dem Herakleides zuzutrauen, daſs er unbekümmert um die zeitrechnung das erotische verhältnis angenommen habe: die scharfe ab- fertigung des Aristoteles würde sich so sehr gut erklären, denn er hat den lieb- lingsschüler Platons nicht geliebt. bei Plutarch stehn aber die ἔνιοι, die jenes ver- hältnis berichten, dem Herakleides entgegengesetzt, und wenn das auch ganz gut sich so erklären würde, daſs dieser selbst es als die ansicht einiger gab, die er nur wahrscheinlich zu machen versuchte, so können wir doch seinen bericht nicht mehr sicher stellen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/279>, abgerufen am 04.05.2024.