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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Peisistratos und Solon.
nicht darüber wundern, dass er einer ehre entbehrte, die beinahe uner-
hört war. 5) aber darüber wunderte man sich längst, dass Solons grab
verschollen war, und die sage, dass seine asche um Salamis ins meer
zerstreut wäre, hat wol schon gegolten, als man den staatsfriedhof am
Dipylon einrichtete: so würde sich gut erklären, weshalb dort zwar
Kleisthenes und die tyrannenmörder, aber nicht Solon ein grab hat. 6)
erwähnt hat die sage schon Kratinos, und auch bei Aristoteles hat sie
irgendwo gestanden. eine minder naive zeit hat später dasselbe problem
mit dem autoschediasma beantwortet, das bei Aelian steht: begraben ist
Solon freilich im Kerameikos, nur findet man das grab nicht mehr, weil
es in den türmen an der mauer verbaut ist. dass auf diese weise wirklich
viele gräber zugleich unkenntlich gemacht und erhalten sind, weiss nicht
nur jeder besucher Roms vom bäcker Eurysaces und knaben Sulpicius
Maximus, sondern es lehrt auch am Dipylon selbst der augenschein. die
antiquarischen forschungen peri mnematon sind von Diodoros 7) höchstens

5) Ich habe zwar von den archaeologen mit besonderer freude gelernt, dass
es ehrenstatuen gab, und dass man sogar gruppen oben auf eine säule setzte (Ar-
chaeol. Jahrb. II 140) und den khalkous strategos vor dem tore des Dionysosbezirks
en astei (Andok. 1, 38) möchte ich gern kennen: aber die gruppen Miltiades und
Themistokles mit je einem gefangenen barbaren, die im theater in Athen (das es
noch gar nicht gab) gestanden haben sollen, sind die erfindung eines rhetors aus
dem 4 oder 5 jahrhundert nach Christo (dem solche barbarendarstellungen nahe lagen),
herausgetüftelt aus der stelle die er erklären sollte, aber nicht verstand, Aristides
pro IV viris II 216 mit schol. III 536. die richtige erläuterung gibt ein anderes
scholion. wer die stellen wirklich nachliest und der sprache so weit mächtig ist,
sie zu verstehn, muss die fiction sofort erkennen.
6) Denkbar ist auch, dass Solon um 477 wirklich ein ehrengrab erhielt dicht
am tore, und dass es wirklich bei den erweiterungen des Dipylons verbaut ward,
so dass es später nicht mehr bestand. dann wäre die notiz bei Aelian ganz wahr
und stammte aus ächter zeitgenössischer chronik. aber es scheint nicht, dass der
staatsfriedhof dicht an der mauer begann.
7) Ich will von seinem buche ein weiteres citat gelegentlich aufzeigen. schol.
Plat. Menex. über Aspasia aute Axiokhou Milesia gune Perikleous para Sokratei
pephilosophekuia, os Diodoros en to peri mnematon (Miletou codd) suggrammati.
dass hier ein unbekannter autor über Milet angeführt wäre, ist gar nicht glaublich;
in Milet war über die hetäre auch schwerlich etwas zu erfahren. die corruptel
dagegen ist nicht schwer (MILE = MNE mit dem nächsten buchstaben darüber
und abkürzungszeichen). das ganze scholion ist besonders deshalb wertvoll, weil
es ein excerpt aus derselben quelle ist, der Plutarch Per. 24 sein citatennest über
Aspasia entnommen hat: wer diese kostbaren stücke, kenntlich an citaten der
komoedie und philosophischer dialoge, verfasst hat, und in was für lexica sie ge-
raten sind, aus denen sie die Platonscholien und sogar noch Lukianscholien ge-
nommen haben, weiss ich nicht; die gattung ist aber sehr gut kenntlich (schol.

Peisistratos und Solon.
nicht darüber wundern, daſs er einer ehre entbehrte, die beinahe uner-
hört war. 5) aber darüber wunderte man sich längst, daſs Solons grab
verschollen war, und die sage, daſs seine asche um Salamis ins meer
zerstreut wäre, hat wol schon gegolten, als man den staatsfriedhof am
Dipylon einrichtete: so würde sich gut erklären, weshalb dort zwar
Kleisthenes und die tyrannenmörder, aber nicht Solon ein grab hat. 6)
erwähnt hat die sage schon Kratinos, und auch bei Aristoteles hat sie
irgendwo gestanden. eine minder naive zeit hat später dasselbe problem
mit dem autoschediasma beantwortet, das bei Aelian steht: begraben ist
Solon freilich im Kerameikos, nur findet man das grab nicht mehr, weil
es in den türmen an der mauer verbaut ist. daſs auf diese weise wirklich
viele gräber zugleich unkenntlich gemacht und erhalten sind, weiſs nicht
nur jeder besucher Roms vom bäcker Eurysaces und knaben Sulpicius
Maximus, sondern es lehrt auch am Dipylon selbst der augenschein. die
antiquarischen forschungen πεϱὶ μνημάτων sind von Diodoros 7) höchstens

5) Ich habe zwar von den archaeologen mit besonderer freude gelernt, daſs
es ehrenstatuen gab, und daſs man sogar gruppen oben auf eine säule setzte (Ar-
chaeol. Jahrb. II 140) und den χαλκοῦς στϱατηγός vor dem tore des Dionysosbezirks
ἐν ἄστει (Andok. 1, 38) möchte ich gern kennen: aber die gruppen Miltiades und
Themistokles mit je einem gefangenen barbaren, die im theater in Athen (das es
noch gar nicht gab) gestanden haben sollen, sind die erfindung eines rhetors aus
dem 4 oder 5 jahrhundert nach Christo (dem solche barbarendarstellungen nahe lagen),
herausgetüftelt aus der stelle die er erklären sollte, aber nicht verstand, Aristides
pro IV viris II 216 mit schol. III 536. die richtige erläuterung gibt ein anderes
scholion. wer die stellen wirklich nachliest und der sprache so weit mächtig ist,
sie zu verstehn, muſs die fiction sofort erkennen.
6) Denkbar ist auch, daſs Solon um 477 wirklich ein ehrengrab erhielt dicht
am tore, und daſs es wirklich bei den erweiterungen des Dipylons verbaut ward,
so daſs es später nicht mehr bestand. dann wäre die notiz bei Aelian ganz wahr
und stammte aus ächter zeitgenössischer chronik. aber es scheint nicht, daſs der
staatsfriedhof dicht an der mauer begann.
7) Ich will von seinem buche ein weiteres citat gelegentlich aufzeigen. schol.
Plat. Menex. über Aspasia αὕτη Ἀξιόχου Μιλησία γυνὴ Πεϱικλέους παϱὰ Σωκϱάτει
πεφιλοσοφηκυῖα, ώς Διόδωϱος ἐν τῷ πεϱὶ μνημάτων (Μιλήτου codd) συγγϱάμματι.
daſs hier ein unbekannter autor über Milet angeführt wäre, ist gar nicht glaublich;
in Milet war über die hetäre auch schwerlich etwas zu erfahren. die corruptel
dagegen ist nicht schwer (ΜΙΛΗ = ΜΝΗ mit dem nächsten buchstaben darüber
und abkürzungszeichen). das ganze scholion ist besonders deshalb wertvoll, weil
es ein excerpt aus derselben quelle ist, der Plutarch Per. 24 sein citatennest über
Aspasia entnommen hat: wer diese kostbaren stücke, kenntlich an citaten der
komoedie und philosophischer dialoge, verfaſst hat, und in was für lexica sie ge-
raten sind, aus denen sie die Platonscholien und sogar noch Lukianscholien ge-
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[263/0277] Peisistratos und Solon. nicht darüber wundern, daſs er einer ehre entbehrte, die beinahe uner- hört war. 5) aber darüber wunderte man sich längst, daſs Solons grab verschollen war, und die sage, daſs seine asche um Salamis ins meer zerstreut wäre, hat wol schon gegolten, als man den staatsfriedhof am Dipylon einrichtete: so würde sich gut erklären, weshalb dort zwar Kleisthenes und die tyrannenmörder, aber nicht Solon ein grab hat. 6) erwähnt hat die sage schon Kratinos, und auch bei Aristoteles hat sie irgendwo gestanden. eine minder naive zeit hat später dasselbe problem mit dem autoschediasma beantwortet, das bei Aelian steht: begraben ist Solon freilich im Kerameikos, nur findet man das grab nicht mehr, weil es in den türmen an der mauer verbaut ist. daſs auf diese weise wirklich viele gräber zugleich unkenntlich gemacht und erhalten sind, weiſs nicht nur jeder besucher Roms vom bäcker Eurysaces und knaben Sulpicius Maximus, sondern es lehrt auch am Dipylon selbst der augenschein. die antiquarischen forschungen πεϱὶ μνημάτων sind von Diodoros 7) höchstens 5) Ich habe zwar von den archaeologen mit besonderer freude gelernt, daſs es ehrenstatuen gab, und daſs man sogar gruppen oben auf eine säule setzte (Ar- chaeol. Jahrb. II 140) und den χαλκοῦς στϱατηγός vor dem tore des Dionysosbezirks ἐν ἄστει (Andok. 1, 38) möchte ich gern kennen: aber die gruppen Miltiades und Themistokles mit je einem gefangenen barbaren, die im theater in Athen (das es noch gar nicht gab) gestanden haben sollen, sind die erfindung eines rhetors aus dem 4 oder 5 jahrhundert nach Christo (dem solche barbarendarstellungen nahe lagen), herausgetüftelt aus der stelle die er erklären sollte, aber nicht verstand, Aristides pro IV viris II 216 mit schol. III 536. die richtige erläuterung gibt ein anderes scholion. wer die stellen wirklich nachliest und der sprache so weit mächtig ist, sie zu verstehn, muſs die fiction sofort erkennen. 6) Denkbar ist auch, daſs Solon um 477 wirklich ein ehrengrab erhielt dicht am tore, und daſs es wirklich bei den erweiterungen des Dipylons verbaut ward, so daſs es später nicht mehr bestand. dann wäre die notiz bei Aelian ganz wahr und stammte aus ächter zeitgenössischer chronik. aber es scheint nicht, daſs der staatsfriedhof dicht an der mauer begann. 7) Ich will von seinem buche ein weiteres citat gelegentlich aufzeigen. schol. Plat. Menex. über Aspasia αὕτη Ἀξιόχου Μιλησία γυνὴ Πεϱικλέους παϱὰ Σωκϱάτει πεφιλοσοφηκυῖα, ώς Διόδωϱος ἐν τῷ πεϱὶ μνημάτων (Μιλήτου codd) συγγϱάμματι. daſs hier ein unbekannter autor über Milet angeführt wäre, ist gar nicht glaublich; in Milet war über die hetäre auch schwerlich etwas zu erfahren. die corruptel dagegen ist nicht schwer (ΜΙΛΗ = ΜΝΗ mit dem nächsten buchstaben darüber und abkürzungszeichen). das ganze scholion ist besonders deshalb wertvoll, weil es ein excerpt aus derselben quelle ist, der Plutarch Per. 24 sein citatennest über Aspasia entnommen hat: wer diese kostbaren stücke, kenntlich an citaten der komoedie und philosophischer dialoge, verfaſst hat, und in was für lexica sie ge- raten sind, aus denen sie die Platonscholien und sogar noch Lukianscholien ge- nommen haben, weiſs ich nicht; die gattung ist aber sehr gut kenntlich (schol.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/277>, abgerufen am 22.11.2024.