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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 7. Die verfassung.
und ein teil der ehre des bürgers: ihr kurios mag sehen, wie er sie
zieht. nur die attische philanthropia nimmt sich ihrer an, wie des
fremden und des sclaven, und die aidos der götter schützt sie; für den
staat ist sie kein subject des rechtes.126) so straft er auch ihre laster
nicht, während die tempel sieh der ehebrecherin verschliessen mögen
und die gesellschaftliche ächtung sie ereilen mag.

Der späteren entwickelung des rechtes geht diese anschauung, die
cura morum durch den staat, immer mehr verloren, zumal die demo-
kratie das zen os tis bouletai als ihren ruhm hochhält. tatsächlich sind die
klagen ubreos abgekommen; man hat die privatklage aikias an ihre
stelle gesetzt, und der schmähliche vorgang des handels um die ohrfeige
des Demosthenes und dessen hübsche rede wider Konon lehren auf das
deutlichste, dass die graphe ubreos nur noch auf dem papiere stand;
war doch auch die graphe etaireseos eine rarität, und man verlangte
von den staatsmännern vielleicht nur besonders, dass sie darauf scharf
angesehn würden, weil nach einem witzwort schon der alten komödie
bei ihnen der verdacht besonders nahe lag. auch der ehebruch ward
nur noch als schädigung des ehemanns oder sonstigen kurios (moikheia
geht ja nicht nur die ehe an) empfunden, und man hört von schei-
dungen und ehebrüchen genug, aber kaum von klagen.127)

So weit reicht die richterliche tätigkeit der 'rechtsetzer'. für die
verwaltung waren sie von vorn herein nicht geschaffen, und was sie da
zu tun hatten, hängt nah zusammen mit der richterlichen function, die
ihnen blieb, seit sie das recht nur durch befragung eines geschwornen-
gerichtes fanden. sie verfügen über die locale der gerichtshöfe, das
album der geschwornen128) und die gerichtstage, so dass jeder beamte,
der ein gericht berufen will, ihrer vermittelung bedarf. aus dem album
der geschwornen ward eine anzahl beamte ausgelost: sie besorgen
diese losung. sie tun dasselbe für die andern ämter, wo die phylen
ihnen die candidatenlisten übermitteln: so steht ihnen die renuntiation
der neuen archonten zu; mit dieser hängt das examen auf die für dieses
amt geforderten qualitäten zusammen, mit dieser die dokimasie. diese

126) Die solonischen gesetze, die Aisch. 1, 183 citirt, sind eigentlich heiliges
recht, und zudem waren sie obsolet.
127) Phot. pempte phthinontos führt aus Menander an, dass dieser tag für die
einreichung der klagen moikheias bestimmt war: das gilt also erst für die zeit des
Demetrios oder spätere. damals war gunaikonomia eingeführt.
128) Ich kann nicht sagen, wer das album der 6000 geschwornen selbst auf
grund der demenpraesentation aufstellte.

I. 7. Die verfassung.
und ein teil der ehre des bürgers: ihr κύϱιος mag sehen, wie er sie
zieht. nur die attische φιλανϑϱωπία nimmt sich ihrer an, wie des
fremden und des sclaven, und die αἰδώς der götter schützt sie; für den
staat ist sie kein subject des rechtes.126) so straft er auch ihre laster
nicht, während die tempel sieh der ehebrecherin verschlieſsen mögen
und die gesellschaftliche ächtung sie ereilen mag.

Der späteren entwickelung des rechtes geht diese anschauung, die
cura morum durch den staat, immer mehr verloren, zumal die demo-
kratie das ζῆν ὥς τις βούλεται als ihren ruhm hochhält. tatsächlich sind die
klagen ὕβϱεως abgekommen; man hat die privatklage αἰκίας an ihre
stelle gesetzt, und der schmähliche vorgang des handels um die ohrfeige
des Demosthenes und dessen hübsche rede wider Konon lehren auf das
deutlichste, daſs die γϱαφὴ ὕβϱεως nur noch auf dem papiere stand;
war doch auch die γϱαφὴ ἑταιϱήσεως eine rarität, und man verlangte
von den staatsmännern vielleicht nur besonders, daſs sie darauf scharf
angesehn würden, weil nach einem witzwort schon der alten komödie
bei ihnen der verdacht besonders nahe lag. auch der ehebruch ward
nur noch als schädigung des ehemanns oder sonstigen κύϱιος (μοιχεία
geht ja nicht nur die ehe an) empfunden, und man hört von schei-
dungen und ehebrüchen genug, aber kaum von klagen.127)

So weit reicht die richterliche tätigkeit der ‘rechtsetzer’. für die
verwaltung waren sie von vorn herein nicht geschaffen, und was sie da
zu tun hatten, hängt nah zusammen mit der richterlichen function, die
ihnen blieb, seit sie das recht nur durch befragung eines geschwornen-
gerichtes fanden. sie verfügen über die locale der gerichtshöfe, das
album der geschwornen128) und die gerichtstage, so daſs jeder beamte,
der ein gericht berufen will, ihrer vermittelung bedarf. aus dem album
der geschwornen ward eine anzahl beamte ausgelost: sie besorgen
diese losung. sie tun dasselbe für die andern ämter, wo die phylen
ihnen die candidatenlisten übermitteln: so steht ihnen die renuntiation
der neuen archonten zu; mit dieser hängt das examen auf die für dieses
amt geforderten qualitäten zusammen, mit dieser die dokimasie. diese

126) Die solonischen gesetze, die Aisch. 1, 183 citirt, sind eigentlich heiliges
recht, und zudem waren sie obsolet.
127) Phot. πέμπτῃ φϑίνοντος führt aus Menander an, daſs dieser tag für die
einreichung der klagen μοιχείας bestimmt war: das gilt also erst für die zeit des
Demetrios oder spätere. damals war γυναικονομία eingeführt.
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grund der demenpraesentation aufstellte.
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[248/0262] I. 7. Die verfassung. und ein teil der ehre des bürgers: ihr κύϱιος mag sehen, wie er sie zieht. nur die attische φιλανϑϱωπία nimmt sich ihrer an, wie des fremden und des sclaven, und die αἰδώς der götter schützt sie; für den staat ist sie kein subject des rechtes. 126) so straft er auch ihre laster nicht, während die tempel sieh der ehebrecherin verschlieſsen mögen und die gesellschaftliche ächtung sie ereilen mag. Der späteren entwickelung des rechtes geht diese anschauung, die cura morum durch den staat, immer mehr verloren, zumal die demo- kratie das ζῆν ὥς τις βούλεται als ihren ruhm hochhält. tatsächlich sind die klagen ὕβϱεως abgekommen; man hat die privatklage αἰκίας an ihre stelle gesetzt, und der schmähliche vorgang des handels um die ohrfeige des Demosthenes und dessen hübsche rede wider Konon lehren auf das deutlichste, daſs die γϱαφὴ ὕβϱεως nur noch auf dem papiere stand; war doch auch die γϱαφὴ ἑταιϱήσεως eine rarität, und man verlangte von den staatsmännern vielleicht nur besonders, daſs sie darauf scharf angesehn würden, weil nach einem witzwort schon der alten komödie bei ihnen der verdacht besonders nahe lag. auch der ehebruch ward nur noch als schädigung des ehemanns oder sonstigen κύϱιος (μοιχεία geht ja nicht nur die ehe an) empfunden, und man hört von schei- dungen und ehebrüchen genug, aber kaum von klagen. 127) So weit reicht die richterliche tätigkeit der ‘rechtsetzer’. für die verwaltung waren sie von vorn herein nicht geschaffen, und was sie da zu tun hatten, hängt nah zusammen mit der richterlichen function, die ihnen blieb, seit sie das recht nur durch befragung eines geschwornen- gerichtes fanden. sie verfügen über die locale der gerichtshöfe, das album der geschwornen 128) und die gerichtstage, so daſs jeder beamte, der ein gericht berufen will, ihrer vermittelung bedarf. aus dem album der geschwornen ward eine anzahl beamte ausgelost: sie besorgen diese losung. sie tun dasselbe für die andern ämter, wo die phylen ihnen die candidatenlisten übermitteln: so steht ihnen die renuntiation der neuen archonten zu; mit dieser hängt das examen auf die für dieses amt geforderten qualitäten zusammen, mit dieser die dokimasie. diese 126) Die solonischen gesetze, die Aisch. 1, 183 citirt, sind eigentlich heiliges recht, und zudem waren sie obsolet. 127) Phot. πέμπτῃ φϑίνοντος führt aus Menander an, daſs dieser tag für die einreichung der klagen μοιχείας bestimmt war: das gilt also erst für die zeit des Demetrios oder spätere. damals war γυναικονομία eingeführt. 128) Ich kann nicht sagen, wer das album der 6000 geschwornen selbst auf grund der demenpraesentation aufstellte.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/262>, abgerufen am 25.11.2024.