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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 7. Die verfassung.
erziehungswesen, für das er eine staatliche aufsicht einführt; dann aber
verwirrt sich der faden und reisst bald ganz ab.103) gerade mit agoranomen,
astynomen und agronomen beginnt auch Aristoteles, gesetzeswächter und
die über der öffentlichen zucht stehenden erwähnt er auch, so wenig sie
für seine darstellung nötig waren: dass er von Platon angeregt ist, ist
offenbar. ihm folgt er darin, dass er versucht, begrifflich zu sondern,
welche ämter durch die verschiedenen notwendigen kreise der staats-
verwaltung gefordert werden; er hat darin mit minder attischen augen
gesehen als Platon, und doch mit ganz hellenischen: man braucht nur auf
Rom zu blicken, wo die aussonderung der rein militärischen ämter, die
forderung eines rechnungshofes, der rat als träger jeder initiative nicht oder
doch nicht ursprünglich existiren. von dieser auf die abstraction des all-
gemein giltigen und notwendigen gerichteten speculation hat sich Aristoteles
abgewandt, als er die lediglich registrirende bearbeitung der Politien
vornahm. wir dürfen das bedauern, denn wie belehrend würde es sein,
wenn er so disponirt hätte: die verwaltung des staates erstreckt sich
über die und die gebiete, bedarf dazu der und der organe: wie ist in
Athen dem bedürfnis genügt, und wie functioniren diese organe? dafür
lesen wir nur, wie in der Politik so hier, zwischen den zeilen ein wort
der kritik; aber was uns gegeben wird, ist das zuverlässigste material
für unsere eigene kritik: es redet nicht sowol Aristoteles als die gesetze
selbst, deren summe er wiedergibt. er ist unser wichtigster zeuge, aber
die staatshaushaltung von Athen müssen wir uns selber schreiben.

Athlotheten.Wir haben noch die capitel über archonten und athlotheten zu
betrachten. um die letzten (60) vorweg abzutun, so ist schon klar
geworden, wie sie an den seltsamen platz geraten sind (s. 207). weshalb
sie Aristoteles überhaupt so breit behandelt hat, fragt man vergebens.
es mag ihn die archaische gesetzgebung und noch mehr der wider-

103) Platon hat zwischen der verfassung, d. h. der lehre von der zahl und
der bestellung der ämter, und den gesetzen, d. h. der lehre von den amtspflichten
dieser beamten, ausdrücklich unterschieden (751), und wieder ein anderes sind die
gesetze, welche bestimmte handlungen verbieten und unter strafe stellen: die gibt
er später in praeciser formulirung. wer redet, als hätten die Griechen diese dinge
nicht unterscheiden können, hat Platon nicht gelesen, und das sollte er tun, ehe er
gehör für lehren über attische verfassung beansprucht. aber eben zu der lehre von
den ämtern gehört wie die dokimasie so die euthyna: die steht bei Platon erst in
einem ganz andern zusammenhange 12, 945, und in einer abhandlung, die sich mit
der des sechsten buches nicht ganz verträgt, auch in sich nicht einheitlich ist.
schon deshalb ist die behandlung des sechsten buches nicht vollendet, was sich
übrigens von vielen seiten zeigen lässt.

I. 7. Die verfassung.
erziehungswesen, für das er eine staatliche aufsicht einführt; dann aber
verwirrt sich der faden und reiſst bald ganz ab.103) gerade mit agoranomen,
astynomen und agronomen beginnt auch Aristoteles, gesetzeswächter und
die über der öffentlichen zucht stehenden erwähnt er auch, so wenig sie
für seine darstellung nötig waren: daſs er von Platon angeregt ist, ist
offenbar. ihm folgt er darin, daſs er versucht, begrifflich zu sondern,
welche ämter durch die verschiedenen notwendigen kreise der staats-
verwaltung gefordert werden; er hat darin mit minder attischen augen
gesehen als Platon, und doch mit ganz hellenischen: man braucht nur auf
Rom zu blicken, wo die aussonderung der rein militärischen ämter, die
forderung eines rechnungshofes, der rat als träger jeder initiative nicht oder
doch nicht ursprünglich existiren. von dieser auf die abstraction des all-
gemein giltigen und notwendigen gerichteten speculation hat sich Aristoteles
abgewandt, als er die lediglich registrirende bearbeitung der Politien
vornahm. wir dürfen das bedauern, denn wie belehrend würde es sein,
wenn er so disponirt hätte: die verwaltung des staates erstreckt sich
über die und die gebiete, bedarf dazu der und der organe: wie ist in
Athen dem bedürfnis genügt, und wie functioniren diese organe? dafür
lesen wir nur, wie in der Politik so hier, zwischen den zeilen ein wort
der kritik; aber was uns gegeben wird, ist das zuverlässigste material
für unsere eigene kritik: es redet nicht sowol Aristoteles als die gesetze
selbst, deren summe er wiedergibt. er ist unser wichtigster zeuge, aber
die staatshaushaltung von Athen müssen wir uns selber schreiben.

Athlotheten.Wir haben noch die capitel über archonten und athlotheten zu
betrachten. um die letzten (60) vorweg abzutun, so ist schon klar
geworden, wie sie an den seltsamen platz geraten sind (s. 207). weshalb
sie Aristoteles überhaupt so breit behandelt hat, fragt man vergebens.
es mag ihn die archaische gesetzgebung und noch mehr der wider-

103) Platon hat zwischen der verfassung, d. h. der lehre von der zahl und
der bestellung der ämter, und den gesetzen, d. h. der lehre von den amtspflichten
dieser beamten, ausdrücklich unterschieden (751), und wieder ein anderes sind die
gesetze, welche bestimmte handlungen verbieten und unter strafe stellen: die gibt
er später in praeciser formulirung. wer redet, als hätten die Griechen diese dinge
nicht unterscheiden können, hat Platon nicht gelesen, und das sollte er tun, ehe er
gehör für lehren über attische verfassung beansprucht. aber eben zu der lehre von
den ämtern gehört wie die dokimasie so die euthyna: die steht bei Platon erst in
einem ganz andern zusammenhange 12, 945, und in einer abhandlung, die sich mit
der des sechsten buches nicht ganz verträgt, auch in sich nicht einheitlich ist.
schon deshalb ist die behandlung des sechsten buches nicht vollendet, was sich
übrigens von vielen seiten zeigen läſst.
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[238/0252] I. 7. Die verfassung. erziehungswesen, für das er eine staatliche aufsicht einführt; dann aber verwirrt sich der faden und reiſst bald ganz ab. 103) gerade mit agoranomen, astynomen und agronomen beginnt auch Aristoteles, gesetzeswächter und die über der öffentlichen zucht stehenden erwähnt er auch, so wenig sie für seine darstellung nötig waren: daſs er von Platon angeregt ist, ist offenbar. ihm folgt er darin, daſs er versucht, begrifflich zu sondern, welche ämter durch die verschiedenen notwendigen kreise der staats- verwaltung gefordert werden; er hat darin mit minder attischen augen gesehen als Platon, und doch mit ganz hellenischen: man braucht nur auf Rom zu blicken, wo die aussonderung der rein militärischen ämter, die forderung eines rechnungshofes, der rat als träger jeder initiative nicht oder doch nicht ursprünglich existiren. von dieser auf die abstraction des all- gemein giltigen und notwendigen gerichteten speculation hat sich Aristoteles abgewandt, als er die lediglich registrirende bearbeitung der Politien vornahm. wir dürfen das bedauern, denn wie belehrend würde es sein, wenn er so disponirt hätte: die verwaltung des staates erstreckt sich über die und die gebiete, bedarf dazu der und der organe: wie ist in Athen dem bedürfnis genügt, und wie functioniren diese organe? dafür lesen wir nur, wie in der Politik so hier, zwischen den zeilen ein wort der kritik; aber was uns gegeben wird, ist das zuverlässigste material für unsere eigene kritik: es redet nicht sowol Aristoteles als die gesetze selbst, deren summe er wiedergibt. er ist unser wichtigster zeuge, aber die staatshaushaltung von Athen müssen wir uns selber schreiben. Wir haben noch die capitel über archonten und athlotheten zu betrachten. um die letzten (60) vorweg abzutun, so ist schon klar geworden, wie sie an den seltsamen platz geraten sind (s. 207). weshalb sie Aristoteles überhaupt so breit behandelt hat, fragt man vergebens. es mag ihn die archaische gesetzgebung und noch mehr der wider- Athlotheten. 103) Platon hat zwischen der verfassung, d. h. der lehre von der zahl und der bestellung der ämter, und den gesetzen, d. h. der lehre von den amtspflichten dieser beamten, ausdrücklich unterschieden (751), und wieder ein anderes sind die gesetze, welche bestimmte handlungen verbieten und unter strafe stellen: die gibt er später in praeciser formulirung. wer redet, als hätten die Griechen diese dinge nicht unterscheiden können, hat Platon nicht gelesen, und das sollte er tun, ehe er gehör für lehren über attische verfassung beansprucht. aber eben zu der lehre von den ämtern gehört wie die dokimasie so die euthyna: die steht bei Platon erst in einem ganz andern zusammenhange 12, 945, und in einer abhandlung, die sich mit der des sechsten buches nicht ganz verträgt, auch in sich nicht einheitlich ist. schon deshalb ist die behandlung des sechsten buches nicht vollendet, was sich übrigens von vielen seiten zeigen läſst.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/252>, abgerufen am 22.11.2024.