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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Die politische litteratur Athens.
dem kritiker Athens in der tat das recht geben, die geschichte der
demokratie als die der demagogen anzusehn.

Am sinnfälligsten und eindrucksvollsten ist die athenische geschichte
als die seiner 'Vertreter' in der 'Volkskomoedie'84) des Eupolis dar-

84) Leider weiss ich sehr viel weniger jetzt von den Demen als ich vor
20 jahren wähnte, und ich kann ihr verständnis wesentlich nur dadurch fördern,
dass ich scheinwissen zerstöre und schwierigkeiten aufzeige. vier staatsmänner
stiegen auf, das sagt Aristides. drei von ihnen, Miltiades Aristeides Perikles, stehn
fest, weil wir noch worte von ihnen haben. als vierten pflegt man Solon
zu rechnen, aber das beruht nur auf einer conjectur Valckenaers im Aristides-
scholiasten für Gelona, was die drucke haben. in mehreren handschriften habe
ich dafür die variante Kleona gelesen, kenne aber die recensio der scholien nicht.
obwol Eupolis den lebenden Kleon mindestens so stark wie Aristophanes angegriffen
hat, konnte sein urteil über den toten sich ganz wol ändern; der aufrichtige und
energische demokrat hätte gegen die xunomotai von 416 auch gute dienste leisten
können. andererseits würde ich Solon sehr gerne neben Peisistratos sehn, der
person war (eisagei Peisistraton basilea schol. Ar. Ach. 61). und wenn
Solon den alten haudegen Phormion, den Eupolis in den Obersten verherrlicht hatte,
als einen mann seines schlages gelobt hätte, so wäre die sonst rätselhafte angabe
des schriftstellers peri komodoumenon verständlich, der aus den Demen einen
Phormion meta Solona arxas notirt (schol. Ar. Fried. 348). wenn nun aber Pei-
sistratos als könig auftrat, ohne doch auf die oberwelt geführt zu werden, so war
die scene im Hades, wo die könige durch das scepter kenntlich zu werden pflegen.
nun sprach Perikles mit Myronides: auch dieser war längst tot, denn er war 480/79
bereits gesandter gewesen (Plut. Aristid. 10). es ist wunderlich, dass er trotz-
dem dem Perikles über seinen lebenden sohn kunde bringt, aber die poetische er-
findung hat eine schrankenlose freiheit; an den grenzen des menschenlebens zerren
die verlegenen philologen hier so vergeblich wie bei Maecius Tarpa und Caesellius
in der horazischen Ars poetica. neben Aristeides steht Nikias. der braucht dann
also auch nicht mehr gelebt zu haben, und der einzige grund fällt hin, der die
Demen vor die sicilische expedition rückte. jedermann muss doch geneigt sein, die
angriffe auf den 'gottverfluchten Buzygen Demostratos' auf das verhängnisvolle pse-
phisma zu beziehen, das die Athener nach Sicilien schickte, und vor 413 hat wol
schwerlich jemand gemeint, dass Athen übermenschlicher hilfe zu seiner rettung be-
dürfte. auch der junge Perikles, der 'längst ein mann sein sollte', hat diese kritik
füglich nicht um 418 verdient gehabt, da er sonst ein altersgenosse des Alkibiades
gewesen wäre. dass die Demen so sehr viel mehr persönliche angriffe zeigen als
Vögel Lysistrate Thesmophoriazusen, kann den ansatz der eupolideischen komoedie
unmöglich bestimmen. -- die zahlreichen bruchstücke, welche die demagogen angehn,
sind alle in iambischen trimetern gehalten, gehören also, wenn man sich an die
aristophanische compositionsweise hält, in den zweiten teil des stückes. nur fgm. 19
Mein. zeigt anapaestische tetrameter und scheint in denselben zusammenhang zu ge-
hören. aber die worte brauchen nicht auf die exodos selbst zu gehn, da prosage-
lomen epelthontas (nicht apel.) allein überliefert ist. in dieselbe scene passt gut
das einzige weitere bruchstück dieses masses, der schöne spruch me paidi ta koina
12*

Die politische litteratur Athens.
dem kritiker Athens in der tat das recht geben, die geschichte der
demokratie als die der demagogen anzusehn.

Am sinnfälligsten und eindrucksvollsten ist die athenische geschichte
als die seiner ‘Vertreter’ in der ‘Volkskomoedie’84) des Eupolis dar-

84) Leider weiſs ich sehr viel weniger jetzt von den Demen als ich vor
20 jahren wähnte, und ich kann ihr verständnis wesentlich nur dadurch fördern,
daſs ich scheinwissen zerstöre und schwierigkeiten aufzeige. vier staatsmänner
stiegen auf, das sagt Aristides. drei von ihnen, Miltiades Aristeides Perikles, stehn
fest, weil wir noch worte von ihnen haben. als vierten pflegt man Solon
zu rechnen, aber das beruht nur auf einer conjectur Valckenaers im Aristides-
scholiasten für Γέλωνα, was die drucke haben. in mehreren handschriften habe
ich dafür die variante Κλέωνα gelesen, kenne aber die recensio der scholien nicht.
obwol Eupolis den lebenden Kleon mindestens so stark wie Aristophanes angegriffen
hat, konnte sein urteil über den toten sich ganz wol ändern; der aufrichtige und
energische demokrat hätte gegen die ξυνωμόται von 416 auch gute dienste leisten
können. andererseits würde ich Solon sehr gerne neben Peisistratos sehn, der
person war (εἰσάγει Πεισίστϱατον βασιλέα schol. Ar. Ach. 61). und wenn
Solon den alten haudegen Phormion, den Eupolis in den Obersten verherrlicht hatte,
als einen mann seines schlages gelobt hätte, so wäre die sonst rätselhafte angabe
des schriftstellers πεϱὶ κωμῳδουμένων verständlich, der aus den Demen einen
Φοϱμίων μετὰ Σόλωνα ἄϱξας notirt (schol. Ar. Fried. 348). wenn nun aber Pei-
sistratos als könig auftrat, ohne doch auf die oberwelt geführt zu werden, so war
die scene im Hades, wo die könige durch das scepter kenntlich zu werden pflegen.
nun sprach Perikles mit Myronides: auch dieser war längst tot, denn er war 480/79
bereits gesandter gewesen (Plut. Aristid. 10). es ist wunderlich, daſs er trotz-
dem dem Perikles über seinen lebenden sohn kunde bringt, aber die poetische er-
findung hat eine schrankenlose freiheit; an den grenzen des menschenlebens zerren
die verlegenen philologen hier so vergeblich wie bei Maecius Tarpa und Caesellius
in der horazischen Ars poetica. neben Aristeides steht Nikias. der braucht dann
also auch nicht mehr gelebt zu haben, und der einzige grund fällt hin, der die
Demen vor die sicilische expedition rückte. jedermann muſs doch geneigt sein, die
angriffe auf den ‘gottverfluchten Buzygen Demostratos’ auf das verhängnisvolle pse-
phisma zu beziehen, das die Athener nach Sicilien schickte, und vor 413 hat wol
schwerlich jemand gemeint, daſs Athen übermenschlicher hilfe zu seiner rettung be-
dürfte. auch der junge Perikles, der ‘längst ein mann sein sollte’, hat diese kritik
füglich nicht um 418 verdient gehabt, da er sonst ein altersgenosse des Alkibiades
gewesen wäre. daſs die Demen so sehr viel mehr persönliche angriffe zeigen als
Vögel Lysistrate Thesmophoriazusen, kann den ansatz der eupolideischen komoedie
unmöglich bestimmen. — die zahlreichen bruchstücke, welche die demagogen angehn,
sind alle in iambischen trimetern gehalten, gehören also, wenn man sich an die
aristophanische compositionsweise hält, in den zweiten teil des stückes. nur fgm. 19
Mein. zeigt anapaestische tetrameter und scheint in denselben zusammenhang zu ge-
hören. aber die worte brauchen nicht auf die exodos selbst zu gehn, da πϱοσαγή-
λωμεν ἐπελϑόντας (nicht ἀπελ.) allein überliefert ist. in dieselbe scene paſst gut
das einzige weitere bruchstück dieses maſses, der schöne spruch μὴ παιδὶ τὰ κοινά
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[179/0193] Die politische litteratur Athens. dem kritiker Athens in der tat das recht geben, die geschichte der demokratie als die der demagogen anzusehn. Am sinnfälligsten und eindrucksvollsten ist die athenische geschichte als die seiner ‘Vertreter’ in der ‘Volkskomoedie’ 84) des Eupolis dar- 84) Leider weiſs ich sehr viel weniger jetzt von den Demen als ich vor 20 jahren wähnte, und ich kann ihr verständnis wesentlich nur dadurch fördern, daſs ich scheinwissen zerstöre und schwierigkeiten aufzeige. vier staatsmänner stiegen auf, das sagt Aristides. drei von ihnen, Miltiades Aristeides Perikles, stehn fest, weil wir noch worte von ihnen haben. als vierten pflegt man Solon zu rechnen, aber das beruht nur auf einer conjectur Valckenaers im Aristides- scholiasten für Γέλωνα, was die drucke haben. in mehreren handschriften habe ich dafür die variante Κλέωνα gelesen, kenne aber die recensio der scholien nicht. obwol Eupolis den lebenden Kleon mindestens so stark wie Aristophanes angegriffen hat, konnte sein urteil über den toten sich ganz wol ändern; der aufrichtige und energische demokrat hätte gegen die ξυνωμόται von 416 auch gute dienste leisten können. andererseits würde ich Solon sehr gerne neben Peisistratos sehn, der person war (εἰσάγει Πεισίστϱατον βασιλέα schol. Ar. Ach. 61). und wenn Solon den alten haudegen Phormion, den Eupolis in den Obersten verherrlicht hatte, als einen mann seines schlages gelobt hätte, so wäre die sonst rätselhafte angabe des schriftstellers πεϱὶ κωμῳδουμένων verständlich, der aus den Demen einen Φοϱμίων μετὰ Σόλωνα ἄϱξας notirt (schol. Ar. Fried. 348). wenn nun aber Pei- sistratos als könig auftrat, ohne doch auf die oberwelt geführt zu werden, so war die scene im Hades, wo die könige durch das scepter kenntlich zu werden pflegen. nun sprach Perikles mit Myronides: auch dieser war längst tot, denn er war 480/79 bereits gesandter gewesen (Plut. Aristid. 10). es ist wunderlich, daſs er trotz- dem dem Perikles über seinen lebenden sohn kunde bringt, aber die poetische er- findung hat eine schrankenlose freiheit; an den grenzen des menschenlebens zerren die verlegenen philologen hier so vergeblich wie bei Maecius Tarpa und Caesellius in der horazischen Ars poetica. neben Aristeides steht Nikias. der braucht dann also auch nicht mehr gelebt zu haben, und der einzige grund fällt hin, der die Demen vor die sicilische expedition rückte. jedermann muſs doch geneigt sein, die angriffe auf den ‘gottverfluchten Buzygen Demostratos’ auf das verhängnisvolle pse- phisma zu beziehen, das die Athener nach Sicilien schickte, und vor 413 hat wol schwerlich jemand gemeint, daſs Athen übermenschlicher hilfe zu seiner rettung be- dürfte. auch der junge Perikles, der ‘längst ein mann sein sollte’, hat diese kritik füglich nicht um 418 verdient gehabt, da er sonst ein altersgenosse des Alkibiades gewesen wäre. daſs die Demen so sehr viel mehr persönliche angriffe zeigen als Vögel Lysistrate Thesmophoriazusen, kann den ansatz der eupolideischen komoedie unmöglich bestimmen. — die zahlreichen bruchstücke, welche die demagogen angehn, sind alle in iambischen trimetern gehalten, gehören also, wenn man sich an die aristophanische compositionsweise hält, in den zweiten teil des stückes. nur fgm. 19 Mein. zeigt anapaestische tetrameter und scheint in denselben zusammenhang zu ge- hören. aber die worte brauchen nicht auf die exodos selbst zu gehn, da πϱοσαγή- λωμεν ἐπελϑόντας (nicht ἀπελ.) allein überliefert ist. in dieselbe scene paſst gut das einzige weitere bruchstück dieses maſses, der schöne spruch μὴ παιδὶ τὰ κοινά 12*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/193>, abgerufen am 22.11.2024.