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Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834.

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umsonst; das Volk liest euch nicht - liest es nur den Reineke de Vos? - ihr begründet keine plattdeutsche Literatur, ihr macht die verblühende Sprachpflanze durch euren poetischen Mist nicht blühender - sie wird aussterben. Ihr preiset diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemüthlich, wohlklingend - ihr habt Recht oder nicht - sie wird aussterben. Das ist das unerbittliche Gesetz der Nothwendigkeit.

Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das Wünschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden Menschen würdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu werden, immer der sittlichen Kraft und Würde desselben schädlich und unwürdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen. Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf sich frei sprechen von Leichtsinn, träger Sorglosigkeit, er hat sich das Recht und die Beruhigung erworben, animam salvavi auszurufen.

Darum frage ich eigentlich, ist es wünschenswerth, daß Niedersachsens alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll man ihren Untergang der Zeit überlassen oder soll man diesen beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?



Um die deutsche Gemüthlichkeit ist es ein schönes Ding und was kann namentlich dem Niedersachsen gemüthlicher sein, als seine angeborne Sprache. Doch ein schöneres Ding ist der muthige Entschluß, die Gemüthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu enge wird.

Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie ist dem Verstand der Zeit längst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehört, sie kann die geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen, nicht wiedergeben und daher verurtheilt

umsonst; das Volk liest euch nicht – liest es nur den Reineke de Vos? – ihr begründet keine plattdeutsche Literatur, ihr macht die verblühende Sprachpflanze durch euren poetischen Mist nicht blühender – sie wird aussterben. Ihr preiset diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemüthlich, wohlklingend – ihr habt Recht oder nicht – sie wird aussterben. Das ist das unerbittliche Gesetz der Nothwendigkeit.

Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das Wünschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden Menschen würdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu werden, immer der sittlichen Kraft und Würde desselben schädlich und unwürdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen. Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf sich frei sprechen von Leichtsinn, träger Sorglosigkeit, er hat sich das Recht und die Beruhigung erworben, animam salvavi auszurufen.

Darum frage ich eigentlich, ist es wünschenswerth, daß Niedersachsens alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll man ihren Untergang der Zeit überlassen oder soll man diesen beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu?



Um die deutsche Gemüthlichkeit ist es ein schönes Ding und was kann namentlich dem Niedersachsen gemüthlicher sein, als seine angeborne Sprache. Doch ein schöneres Ding ist der muthige Entschluß, die Gemüthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu enge wird.

Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie ist dem Verstand der Zeit längst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehört, sie kann die geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen, nicht wiedergeben und daher verurtheilt

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[10/0010] umsonst; das Volk liest euch nicht – liest es nur den Reineke de Vos? – ihr begründet keine plattdeutsche Literatur, ihr macht die verblühende Sprachpflanze durch euren poetischen Mist nicht blühender – sie wird aussterben. Ihr preiset diese Sprache als alt, ehrlich, treu, warm, gemüthlich, wohlklingend – ihr habt Recht oder nicht – sie wird aussterben. Das ist das unerbittliche Gesetz der Nothwendigkeit. Allein, es ist wahr, das Nothwendige ist nicht immer das Wünschenswerthe. Gar vieles begiebt sich in Natur und Geschichte mit Nothwendigkeit, was nicht bloß die Klage des Thoren, sondern auch den gerechteren Schmerz des Weisen erregt. Immer ist es des denkenden Menschen würdig, sich dessen, was geschehen wird und muß, bewußt zu werden, immer der sittlichen Kraft und Würde desselben schädlich und unwürdig, sich willen- und wunschlos vor der Nothwendigkeit zu beugen. Nicht selten gelingt Aufschub Vertagung, wo auch nicht, der Mensch darf sich frei sprechen von Leichtsinn, träger Sorglosigkeit, er hat sich das Recht und die Beruhigung erworben, animam salvavi auszurufen. Darum frage ich eigentlich, ist es wünschenswerth, daß Niedersachsens alte Sprache sich aus der Reihe der lebendigen verliert; wenn das, soll man ihren Untergang der Zeit überlassen oder soll man diesen beschleunigen; wenn letzteres, welches sind die Mittel dazu? Um die deutsche Gemüthlichkeit ist es ein schönes Ding und was kann namentlich dem Niedersachsen gemüthlicher sein, als seine angeborne Sprache. Doch ein schöneres Ding ist der muthige Entschluß, die Gemüthlichkeit einstweilen auszuziehn, wenn sie uns zu enge wird. Grade das behaupte ich von der und gegen die plattdeutsche Sprache. Sie ist dem Verstand der Zeit längst zu enge geworden, ihr Wachsthum hat bereits mit dem sechszehnten Jahrhundert aufgehört, sie kann die geistigen und materiellen Fortschritte der Civilisation nicht fassen, nicht wiedergeben und daher verurtheilt

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres. Hamburg, 1834, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_plattdeutsch_1834/10>, abgerufen am 28.03.2024.