gegen die eigene Nation, die, so schmählich sie auch zerrissen und zerrüttet ist, doch noch immer nicht an sich selbst zu verzweifeln braucht und noch im Grunde ihres Daseins tieflaufende Adern be¬ wahrt, die neu entdeckt und ausgegraben plötzlich über die Wüste hersprudeln und dem schmachten¬ den Zustande ein Ende machen können. Erziehung des Jünglings nicht zum Philosophen, nicht zum Griechen, sondern zum wackern, gebildeten Deut¬ schen, ist des deutschen Lehrers höchste, zum le¬ bendigen Glied jener Kette der Nationalität, die Gottlob von Tage zu Tage mehr Glieder und Ringe in sich aufnimmt und von der Donau bis zur Ostsee mehr freudig hoffende Seelen umspannt, ist des deutschen Lehrers nächste Pflicht.
Bildung, meine Herren, ist ein weites Wort und läßt sich viel darein fassen. Von theologischer, philosophischer, juristischer Bildung macht man sich leichter Begriffe, aber, wo von höherer, allgemei¬ ner, von humaner Bildung die Rede ist, da schwebt der Begriff ins Unbestimmte und weder der Bildung Ziel noch Umfang tritt den Meisten recht klar vor Augen. Das kommt, wir sind, wie die Fische außer dem Wasser, und leben in keinem rechten Element, wir geben uns im Ganzen Mühe genug uns zu bilden und vielleicht mehr als irgend je eine Nation auf dem Erdboden; allein, obgleich
gegen die eigene Nation, die, ſo ſchmaͤhlich ſie auch zerriſſen und zerruͤttet iſt, doch noch immer nicht an ſich ſelbſt zu verzweifeln braucht und noch im Grunde ihres Daſeins tieflaufende Adern be¬ wahrt, die neu entdeckt und ausgegraben ploͤtzlich uͤber die Wuͤſte herſprudeln und dem ſchmachten¬ den Zuſtande ein Ende machen koͤnnen. Erziehung des Juͤnglings nicht zum Philoſophen, nicht zum Griechen, ſondern zum wackern, gebildeten Deut¬ ſchen, iſt des deutſchen Lehrers hoͤchſte, zum le¬ bendigen Glied jener Kette der Nationalitaͤt, die Gottlob von Tage zu Tage mehr Glieder und Ringe in ſich aufnimmt und von der Donau bis zur Oſtſee mehr freudig hoffende Seelen umſpannt, iſt des deutſchen Lehrers naͤchſte Pflicht.
Bildung, meine Herren, iſt ein weites Wort und laͤßt ſich viel darein faſſen. Von theologiſcher, philoſophiſcher, juriſtiſcher Bildung macht man ſich leichter Begriffe, aber, wo von hoͤherer, allgemei¬ ner, von humaner Bildung die Rede iſt, da ſchwebt der Begriff ins Unbeſtimmte und weder der Bildung Ziel noch Umfang tritt den Meiſten recht klar vor Augen. Das kommt, wir ſind, wie die Fiſche außer dem Waſſer, und leben in keinem rechten Element, wir geben uns im Ganzen Muͤhe genug uns zu bilden und vielleicht mehr als irgend je eine Nation auf dem Erdboden; allein, obgleich
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gegen die eigene Nation, die, ſo ſchmaͤhlich ſie
auch zerriſſen und zerruͤttet iſt, doch noch immer
nicht an ſich ſelbſt zu verzweifeln braucht und noch
im Grunde ihres Daſeins tieflaufende Adern be¬
wahrt, die neu entdeckt und ausgegraben ploͤtzlich
uͤber die Wuͤſte herſprudeln und dem ſchmachten¬
den Zuſtande ein Ende machen koͤnnen. Erziehung
des Juͤnglings nicht zum Philoſophen, nicht zum
Griechen, ſondern zum wackern, gebildeten Deut¬
ſchen, iſt des deutſchen Lehrers hoͤchſte, zum le¬
bendigen Glied jener Kette der Nationalitaͤt, die
Gottlob von Tage zu Tage mehr Glieder und
Ringe in ſich aufnimmt und von der Donau bis
zur Oſtſee mehr freudig hoffende Seelen umſpannt,
iſt des deutſchen Lehrers naͤchſte Pflicht.
Bildung, meine Herren, iſt ein weites Wort
und laͤßt ſich viel darein faſſen. Von theologiſcher,
philoſophiſcher, juriſtiſcher Bildung macht man ſich
leichter Begriffe, aber, wo von hoͤherer, allgemei¬
ner, von humaner Bildung die Rede iſt, da
ſchwebt der Begriff ins Unbeſtimmte und weder
der Bildung Ziel noch Umfang tritt den Meiſten
recht klar vor Augen. Das kommt, wir ſind, wie
die Fiſche außer dem Waſſer, und leben in keinem
rechten Element, wir geben uns im Ganzen Muͤhe
genug uns zu bilden und vielleicht mehr als irgend
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/77>, abgerufen am 25.11.2024.
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