sich leicht und rein hinzustellen und sich aus dem trüben unästhetischen Fahrwasser gemeiner Ansich¬ ten immer glücklich herauszuziehen. Schon habe ich mit wenig Worten unserer Schulen, Akademien und Brodstudien als solcher Erwähnung gethan, die im schneidendsten Kontraste ständen mit indi¬ vidueller und volksthümlicher Bildung, der Grund¬ bedingung charakteristischer Schönheit und ihres Verstehens und Auffassens. Doch unterliegen nicht geringerem Tadel unsere Ansichten und Studien jener allgemeineren Wissenschaften, welche den Schlußstein unserer höheren Geistesbildung aus¬ machen sollten und ich will darunter nur die der Philosophie und der Geschichte mit Namen auf¬ führen, vom Studium und der wissenschaftlichen Aneignung der Religion aber gänzlich schweigen.
Beginnen wir von der Geschichte. Welche unleidliche, leblose Ansicht machen wir uns über dieselbe. Ueberall, wo wir zurückgehen auf die frühsten Zeiten eines Volkes, ist es leicht zu mer¬ ken, wie Poesie und Historie ungetrennt von einem Gemüth aufbewahrt und von einem begei¬ sterten Munde verkündet wurde. Beide vereinigen sich darin, das Leben mit allen seinen Aeußerun¬ gen aufzufassen und darzustellen. Erst eine spä¬ tere gelehrte Ansicht mußte sie trennen, welche die Historie auf kritische Wahrheit beschränkt, die epi¬
ſich leicht und rein hinzuſtellen und ſich aus dem truͤben unaͤſthetiſchen Fahrwaſſer gemeiner Anſich¬ ten immer gluͤcklich herauszuziehen. Schon habe ich mit wenig Worten unſerer Schulen, Akademien und Brodſtudien als ſolcher Erwaͤhnung gethan, die im ſchneidendſten Kontraſte ſtaͤnden mit indi¬ vidueller und volksthuͤmlicher Bildung, der Grund¬ bedingung charakteriſtiſcher Schoͤnheit und ihres Verſtehens und Auffaſſens. Doch unterliegen nicht geringerem Tadel unſere Anſichten und Studien jener allgemeineren Wiſſenſchaften, welche den Schlußſtein unſerer hoͤheren Geiſtesbildung aus¬ machen ſollten und ich will darunter nur die der Philoſophie und der Geſchichte mit Namen auf¬ fuͤhren, vom Studium und der wiſſenſchaftlichen Aneignung der Religion aber gaͤnzlich ſchweigen.
Beginnen wir von der Geſchichte. Welche unleidliche, lebloſe Anſicht machen wir uns uͤber dieſelbe. Ueberall, wo wir zuruͤckgehen auf die fruͤhſten Zeiten eines Volkes, iſt es leicht zu mer¬ ken, wie Poeſie und Hiſtorie ungetrennt von einem Gemuͤth aufbewahrt und von einem begei¬ ſterten Munde verkuͤndet wurde. Beide vereinigen ſich darin, das Leben mit allen ſeinen Aeußerun¬ gen aufzufaſſen und darzuſtellen. Erſt eine ſpaͤ¬ tere gelehrte Anſicht mußte ſie trennen, welche die Hiſtorie auf kritiſche Wahrheit beſchraͤnkt, die epi¬
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ſich leicht und rein hinzuſtellen und ſich aus dem
truͤben unaͤſthetiſchen Fahrwaſſer gemeiner Anſich¬
ten immer gluͤcklich herauszuziehen. Schon habe
ich mit wenig Worten unſerer Schulen, Akademien
und Brodſtudien als ſolcher Erwaͤhnung gethan,
die im ſchneidendſten Kontraſte ſtaͤnden mit indi¬
vidueller und volksthuͤmlicher Bildung, der Grund¬
bedingung charakteriſtiſcher Schoͤnheit und ihres
Verſtehens und Auffaſſens. Doch unterliegen nicht
geringerem Tadel unſere Anſichten und Studien
jener allgemeineren Wiſſenſchaften, welche den
Schlußſtein unſerer hoͤheren Geiſtesbildung aus¬
machen ſollten und ich will darunter nur die der
Philoſophie und der Geſchichte mit Namen auf¬
fuͤhren, vom Studium und der wiſſenſchaftlichen
Aneignung der Religion aber gaͤnzlich ſchweigen.
Beginnen wir von der Geſchichte. Welche
unleidliche, lebloſe Anſicht machen wir uns uͤber
dieſelbe. Ueberall, wo wir zuruͤckgehen auf die
fruͤhſten Zeiten eines Volkes, iſt es leicht zu mer¬
ken, wie Poeſie und Hiſtorie ungetrennt von
einem Gemuͤth aufbewahrt und von einem begei¬
ſterten Munde verkuͤndet wurde. Beide vereinigen
ſich darin, das Leben mit allen ſeinen Aeußerun¬
gen aufzufaſſen und darzuſtellen. Erſt eine ſpaͤ¬
tere gelehrte Anſicht mußte ſie trennen, welche die
Hiſtorie auf kritiſche Wahrheit beſchraͤnkt, die epi¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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