formation nach allen Seiten hin würdig zu vollen¬ den. So wie aber die Reformation einseitig ste¬ hen geblieben ist, so wie dieselbe sich in aller Hast vermählt hat mit der Einseitigkeit des Ver¬ standes, mit der Prosa des Lebens, hängt die schöne Frucht leider saftlos und traurig am dürren Ast und sehnt sich abzufallen und einer neuen Blüthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich, sehe ich den Lorbeerbaum von tausend Wucher¬ pflanzen umschnürt, seiner besten Säfte und Kräfte durch Schmarotzer beraubt, fröstelnd in kalter Luft, absterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬ breit vaterländische Erde, im Treibhaus der Un¬ natur, statt frei und offen dazustehen in Gottes schöner Welt, seine Wurzel befruchtet durch die uralten Quellen der Poesie, seine Blätter dem Säuseln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬ schaften Preis gegeben, seine Krone dem Himmel, dem Frieden, der Sehnsucht und den Segnungen der himmlischen Sonne, Religion.
Wie sich aber unser nationales Leben in Zu¬ kunft gestalten und entfalten wird, so viel scheint gewiß zu sein, daß die Hoffnung der Zukunft einerseits beruhe auf der Jugend, andererseits auf der Wahl desselben Weges, auf dem Luther den ersten Riesenschritt machte und auf dem ihm die Pygmäen der Folgezeit in Stich gelassen haben.
Wienbarg, ästhet. Feldz. 3
formation nach allen Seiten hin wuͤrdig zu vollen¬ den. So wie aber die Reformation einſeitig ſte¬ hen geblieben iſt, ſo wie dieſelbe ſich in aller Haſt vermaͤhlt hat mit der Einſeitigkeit des Ver¬ ſtandes, mit der Proſa des Lebens, haͤngt die ſchoͤne Frucht leider ſaftlos und traurig am duͤrren Aſt und ſehnt ſich abzufallen und einer neuen Bluͤthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich, ſehe ich den Lorbeerbaum von tauſend Wucher¬ pflanzen umſchnuͤrt, ſeiner beſten Saͤfte und Kraͤfte durch Schmarotzer beraubt, froͤſtelnd in kalter Luft, abſterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬ breit vaterlaͤndiſche Erde, im Treibhaus der Un¬ natur, ſtatt frei und offen dazuſtehen in Gottes ſchoͤner Welt, ſeine Wurzel befruchtet durch die uralten Quellen der Poeſie, ſeine Blaͤtter dem Saͤuſeln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬ ſchaften Preis gegeben, ſeine Krone dem Himmel, dem Frieden, der Sehnſucht und den Segnungen der himmliſchen Sonne, Religion.
Wie ſich aber unſer nationales Leben in Zu¬ kunft geſtalten und entfalten wird, ſo viel ſcheint gewiß zu ſein, daß die Hoffnung der Zukunft einerſeits beruhe auf der Jugend, andererſeits auf der Wahl deſſelben Weges, auf dem Luther den erſten Rieſenſchritt machte und auf dem ihm die Pygmaͤen der Folgezeit in Stich gelaſſen haben.
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0047"n="33"/>
formation nach allen Seiten hin wuͤrdig zu vollen¬<lb/>
den. So wie aber die Reformation einſeitig ſte¬<lb/>
hen geblieben iſt, ſo wie dieſelbe ſich in aller<lb/>
Haſt vermaͤhlt hat mit der Einſeitigkeit des Ver¬<lb/>ſtandes, mit der Proſa des Lebens, haͤngt die<lb/>ſchoͤne Frucht leider ſaftlos und traurig am duͤrren<lb/>
Aſt und ſehnt ſich abzufallen und einer neuen<lb/>
Bluͤthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich,<lb/>ſehe ich den Lorbeerbaum von tauſend Wucher¬<lb/>
pflanzen umſchnuͤrt, ſeiner beſten Saͤfte und Kraͤfte<lb/>
durch Schmarotzer beraubt, froͤſtelnd in kalter Luft,<lb/>
abſterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬<lb/>
breit vaterlaͤndiſche Erde, im Treibhaus der Un¬<lb/>
natur, ſtatt frei und offen dazuſtehen in Gottes<lb/>ſchoͤner Welt, ſeine Wurzel befruchtet durch die<lb/>
uralten Quellen der Poeſie, ſeine Blaͤtter dem<lb/>
Saͤuſeln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬<lb/>ſchaften Preis gegeben, ſeine Krone dem Himmel,<lb/>
dem Frieden, der Sehnſucht und den Segnungen<lb/>
der himmliſchen Sonne, Religion.</p><lb/><p>Wie ſich aber unſer nationales Leben in Zu¬<lb/>
kunft geſtalten und entfalten wird, ſo viel ſcheint<lb/>
gewiß zu ſein, daß die Hoffnung der Zukunft<lb/>
einerſeits beruhe auf der Jugend, andererſeits auf<lb/>
der Wahl deſſelben Weges, auf dem Luther den<lb/>
erſten Rieſenſchritt machte und auf dem ihm die<lb/>
Pygmaͤen der Folgezeit in Stich gelaſſen haben.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 3<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[33/0047]
formation nach allen Seiten hin wuͤrdig zu vollen¬
den. So wie aber die Reformation einſeitig ſte¬
hen geblieben iſt, ſo wie dieſelbe ſich in aller
Haſt vermaͤhlt hat mit der Einſeitigkeit des Ver¬
ſtandes, mit der Proſa des Lebens, haͤngt die
ſchoͤne Frucht leider ſaftlos und traurig am duͤrren
Aſt und ſehnt ſich abzufallen und einer neuen
Bluͤthe Platz zu machen. Wehmuth ergreift mich,
ſehe ich den Lorbeerbaum von tauſend Wucher¬
pflanzen umſchnuͤrt, ſeiner beſten Saͤfte und Kraͤfte
durch Schmarotzer beraubt, froͤſtelnd in kalter Luft,
abſterbend in fremdem Boden, ohne einen Fu߬
breit vaterlaͤndiſche Erde, im Treibhaus der Un¬
natur, ſtatt frei und offen dazuſtehen in Gottes
ſchoͤner Welt, ſeine Wurzel befruchtet durch die
uralten Quellen der Poeſie, ſeine Blaͤtter dem
Saͤuſeln der Liebe und dem Sturm der Leiden¬
ſchaften Preis gegeben, ſeine Krone dem Himmel,
dem Frieden, der Sehnſucht und den Segnungen
der himmliſchen Sonne, Religion.
Wie ſich aber unſer nationales Leben in Zu¬
kunft geſtalten und entfalten wird, ſo viel ſcheint
gewiß zu ſein, daß die Hoffnung der Zukunft
einerſeits beruhe auf der Jugend, andererſeits auf
der Wahl deſſelben Weges, auf dem Luther den
erſten Rieſenſchritt machte und auf dem ihm die
Pygmaͤen der Folgezeit in Stich gelaſſen haben.
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/47>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.