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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Burg und sein festestes Prachtgebäude, die Kirche,
nur sein eignes Mausoleum sei.

Meine Herren, man hat es unserm Luther
verdacht und ich kann große Männer dafür an¬
führen, daß er beim Werk der Reformation so
wenig auf der einmal gegebenen historischen Basis
fortbaute, daß er der Kirche, welche er stiftete, so
wenig aus der Nachlassenschaft der alten zertrüm¬
merten aneignete, daß er das ehrwürdige Erbe der
Väter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬
tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬
ten verachtet habe; allein dieser Vorwurf beruht
auf Mißverständniß sowohl der Reformation, als
überhaupt der geschichtlichen Fortbildung der Mensch¬
heit, wie sie uns eben in der Geschichte selbst zu
Tage liegt, wenn wir unsere Augen nicht durch
willkührliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬
toren waren begreiflicher Weise keine Anhänger der
historischen Schule, welche gerade in unserer Zeit
so viele Häupter und Verfechter findet und deren
Prinzip der allmähligen, schrittweisen Entwicklung
des Positiven, des Staats, des Rechts u. s. w.
zu kleinlichen und engherzigen Ansichten und Irr¬
thümern Veranlassung gibt. Hätte Luther das
traditionelle Prinzip zugegeben, so hätte er es
nicht wagen dürfen, auch nur einen Stein an

Burg und ſein feſteſtes Prachtgebaͤude, die Kirche,
nur ſein eignes Mauſoleum ſei.

Meine Herren, man hat es unſerm Luther
verdacht und ich kann große Maͤnner dafuͤr an¬
fuͤhren, daß er beim Werk der Reformation ſo
wenig auf der einmal gegebenen hiſtoriſchen Baſis
fortbaute, daß er der Kirche, welche er ſtiftete, ſo
wenig aus der Nachlaſſenſchaft der alten zertruͤm¬
merten aneignete, daß er das ehrwuͤrdige Erbe der
Vaͤter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬
tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬
ten verachtet habe; allein dieſer Vorwurf beruht
auf Mißverſtaͤndniß ſowohl der Reformation, als
uͤberhaupt der geſchichtlichen Fortbildung der Menſch¬
heit, wie ſie uns eben in der Geſchichte ſelbſt zu
Tage liegt, wenn wir unſere Augen nicht durch
willkuͤhrliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬
toren waren begreiflicher Weiſe keine Anhaͤnger der
hiſtoriſchen Schule, welche gerade in unſerer Zeit
ſo viele Haͤupter und Verfechter findet und deren
Prinzip der allmaͤhligen, ſchrittweiſen Entwicklung
des Poſitiven, des Staats, des Rechts u. ſ. w.
zu kleinlichen und engherzigen Anſichten und Irr¬
thuͤmern Veranlaſſung gibt. Haͤtte Luther das
traditionelle Prinzip zugegeben, ſo haͤtte er es
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[31/0045] Burg und ſein feſteſtes Prachtgebaͤude, die Kirche, nur ſein eignes Mauſoleum ſei. Meine Herren, man hat es unſerm Luther verdacht und ich kann große Maͤnner dafuͤr an¬ fuͤhren, daß er beim Werk der Reformation ſo wenig auf der einmal gegebenen hiſtoriſchen Baſis fortbaute, daß er der Kirche, welche er ſtiftete, ſo wenig aus der Nachlaſſenſchaft der alten zertruͤm¬ merten aneignete, daß er das ehrwuͤrdige Erbe der Vaͤter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬ tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬ ten verachtet habe; allein dieſer Vorwurf beruht auf Mißverſtaͤndniß ſowohl der Reformation, als uͤberhaupt der geſchichtlichen Fortbildung der Menſch¬ heit, wie ſie uns eben in der Geſchichte ſelbſt zu Tage liegt, wenn wir unſere Augen nicht durch willkuͤhrliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬ toren waren begreiflicher Weiſe keine Anhaͤnger der hiſtoriſchen Schule, welche gerade in unſerer Zeit ſo viele Haͤupter und Verfechter findet und deren Prinzip der allmaͤhligen, ſchrittweiſen Entwicklung des Poſitiven, des Staats, des Rechts u. ſ. w. zu kleinlichen und engherzigen Anſichten und Irr¬ thuͤmern Veranlaſſung gibt. Haͤtte Luther das traditionelle Prinzip zugegeben, ſo haͤtte er es nicht wagen duͤrfen, auch nur einen Stein an

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/45>, abgerufen am 28.03.2024.