schloß und seine französischen Zustände, wie zuletzt die skizzenhafte Uebersicht über die deutsche Litera¬ tur herausgab.
Stellen Sie sich nun ein poetisches Genie vor, das dem Byronschen ähnlich, ja demselben an Penetration des Verstandes überlegen, verkör¬ pert wird nicht im Palaste eines Pairs von Eng¬ land, sondern im bescheidenen Wohnhause eines rheinischen Juden, ein Genie, das nicht in die Schule von Eaton, sondern in die Synagoge von Düsseldorf wandert, das zum Handelsmann erzo¬ gen wird und durch Zufall oder innern Drang eine deutsche Universität, die Universität Göttin¬ gen besucht und dort, umgeben von Pedanterie und Rohheit, von steifem Zeremoniel der Pro¬ fessorengesellschaften und der Sittenlosigkeit des Studentenlebens, sich seines Genies inne wird -- da haben Sie den Schlüssel zum ersten Band der Reisebilder, den er noch als Student in Göttin¬ gen niedergeschrieben hat. Zu keiner Zeit ist ein dichterisches Werk erschienen, das mehr die frischen Spuren seiner Konzeption verrathen hätte, als dieses. Göttingen und der Harz sind einander ge¬ genübergestellt als Prosa und Poesie, allen Aerger und Witz der Jugend schüttelt er auch über ein solches Gefängniß des Geistes, eine solche ver¬ schrobene, bestaubte Gelehrtenrepublik mit allem
ſchloß und ſeine franzoͤſiſchen Zuſtaͤnde, wie zuletzt die ſkizzenhafte Ueberſicht uͤber die deutſche Litera¬ tur herausgab.
Stellen Sie ſich nun ein poetiſches Genie vor, das dem Byronſchen aͤhnlich, ja demſelben an Penetration des Verſtandes uͤberlegen, verkoͤr¬ pert wird nicht im Palaſte eines Pairs von Eng¬ land, ſondern im beſcheidenen Wohnhauſe eines rheiniſchen Juden, ein Genie, das nicht in die Schule von Eaton, ſondern in die Synagoge von Duͤſſeldorf wandert, das zum Handelsmann erzo¬ gen wird und durch Zufall oder innern Drang eine deutſche Univerſitaͤt, die Univerſitaͤt Goͤttin¬ gen beſucht und dort, umgeben von Pedanterie und Rohheit, von ſteifem Zeremoniel der Pro¬ feſſorengeſellſchaften und der Sittenloſigkeit des Studentenlebens, ſich ſeines Genies inne wird — da haben Sie den Schluͤſſel zum erſten Band der Reiſebilder, den er noch als Student in Goͤttin¬ gen niedergeſchrieben hat. Zu keiner Zeit iſt ein dichteriſches Werk erſchienen, das mehr die friſchen Spuren ſeiner Konzeption verrathen haͤtte, als dieſes. Goͤttingen und der Harz ſind einander ge¬ genuͤbergeſtellt als Proſa und Poeſie, allen Aerger und Witz der Jugend ſchuͤttelt er auch uͤber ein ſolches Gefaͤngniß des Geiſtes, eine ſolche ver¬ ſchrobene, beſtaubte Gelehrtenrepublik mit allem
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ſchloß und ſeine franzoͤſiſchen Zuſtaͤnde, wie zuletzt
die ſkizzenhafte Ueberſicht uͤber die deutſche Litera¬
tur herausgab.
Stellen Sie ſich nun ein poetiſches Genie
vor, das dem Byronſchen aͤhnlich, ja demſelben
an Penetration des Verſtandes uͤberlegen, verkoͤr¬
pert wird nicht im Palaſte eines Pairs von Eng¬
land, ſondern im beſcheidenen Wohnhauſe eines
rheiniſchen Juden, ein Genie, das nicht in die
Schule von Eaton, ſondern in die Synagoge von
Duͤſſeldorf wandert, das zum Handelsmann erzo¬
gen wird und durch Zufall oder innern Drang
eine deutſche Univerſitaͤt, die Univerſitaͤt Goͤttin¬
gen beſucht und dort, umgeben von Pedanterie
und Rohheit, von ſteifem Zeremoniel der Pro¬
feſſorengeſellſchaften und der Sittenloſigkeit des
Studentenlebens, ſich ſeines Genies inne wird —
da haben Sie den Schluͤſſel zum erſten Band der
Reiſebilder, den er noch als Student in Goͤttin¬
gen niedergeſchrieben hat. Zu keiner Zeit iſt ein
dichteriſches Werk erſchienen, das mehr die friſchen
Spuren ſeiner Konzeption verrathen haͤtte, als
dieſes. Goͤttingen und der Harz ſind einander ge¬
genuͤbergeſtellt als Proſa und Poeſie, allen Aerger
und Witz der Jugend ſchuͤttelt er auch uͤber ein
ſolches Gefaͤngniß des Geiſtes, eine ſolche ver¬
ſchrobene, beſtaubte Gelehrtenrepublik mit allem
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/300>, abgerufen am 25.11.2024.
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