Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

motivirt und zum Ueberfluß in dem politischen
Zustand Deutschlands, in der Unempfänglichkeit
der damaligen Deutschen für Politik, ihrer ewigen
unfruchtbaren Listenmacherei, ihrem thatlosen Ge¬
schwätz und Geschreibe, ihrer politischen Kanne¬
gießerei, daß Goethe sich mit dem politischen und
gesellschaftlichen Zustande, wie er nun einmal seit
Alters in Deutschland bestand, redlich versöhnte,
und sich bis auf seinen Tod aller Revolutionsge¬
danken, aller Besserung des Staats, deren Im¬
puls von unten aufkam, entschieden abgeneigt er¬
klärte. Er verlangte, seltsam genug, von der Ju¬
gend, von der neuen Generation, welche den Un¬
tergang der ältesten europäischen Monarchie und
die Siege der französischen Republik als ein wirk¬
lich Erlebtes schon hinter sich sah, Pietät gegen
Gesetz, Staat und Fürsten, er, der in seiner Ju¬
gend die Zeiten des Faustrechts glücklich gepriesen
hatte gegen die Zeit des gesetzlich wuchernden
Unrechts, in der er geboren und erzogen ward.
In seiner letzten Zeit schrieb er ein Journal:
Kunst und Alterthum betitelt -- "ob er wirklich
glaubte," fragt Heine, "daß Kunst und Alterthum
im Stande waren, Natur und Jugend zurückzu¬
drängen?"

Allein, meine Herren, welches auch der Grund
war, warum Goethe sich von den äußern Bewe¬

motivirt und zum Ueberfluß in dem politiſchen
Zuſtand Deutſchlands, in der Unempfaͤnglichkeit
der damaligen Deutſchen fuͤr Politik, ihrer ewigen
unfruchtbaren Liſtenmacherei, ihrem thatloſen Ge¬
ſchwaͤtz und Geſchreibe, ihrer politiſchen Kanne¬
gießerei, daß Goethe ſich mit dem politiſchen und
geſellſchaftlichen Zuſtande, wie er nun einmal ſeit
Alters in Deutſchland beſtand, redlich verſoͤhnte,
und ſich bis auf ſeinen Tod aller Revolutionsge¬
danken, aller Beſſerung des Staats, deren Im¬
puls von unten aufkam, entſchieden abgeneigt er¬
klaͤrte. Er verlangte, ſeltſam genug, von der Ju¬
gend, von der neuen Generation, welche den Un¬
tergang der aͤlteſten europaͤiſchen Monarchie und
die Siege der franzoͤſiſchen Republik als ein wirk¬
lich Erlebtes ſchon hinter ſich ſah, Pietaͤt gegen
Geſetz, Staat und Fuͤrſten, er, der in ſeiner Ju¬
gend die Zeiten des Fauſtrechts gluͤcklich geprieſen
hatte gegen die Zeit des geſetzlich wuchernden
Unrechts, in der er geboren und erzogen ward.
In ſeiner letzten Zeit ſchrieb er ein Journal:
Kunſt und Alterthum betitelt — „ob er wirklich
glaubte,“ fragt Heine, „daß Kunſt und Alterthum
im Stande waren, Natur und Jugend zuruͤckzu¬
draͤngen?“

Allein, meine Herren, welches auch der Grund
war, warum Goethe ſich von den aͤußern Bewe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p xml:id="p-0285" prev="p-0283"><pb facs="#f0286" n="272"/>
motivirt und zum Ueberfluß in dem politi&#x017F;chen<lb/>
Zu&#x017F;tand Deut&#x017F;chlands, in der Unempfa&#x0364;nglichkeit<lb/>
der damaligen Deut&#x017F;chen fu&#x0364;r Politik, ihrer ewigen<lb/>
unfruchtbaren Li&#x017F;tenmacherei, ihrem thatlo&#x017F;en Ge¬<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;tz und Ge&#x017F;chreibe, ihrer politi&#x017F;chen Kanne¬<lb/>
gießerei, daß Goethe &#x017F;ich mit dem politi&#x017F;chen und<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Zu&#x017F;tande, wie er nun einmal &#x017F;eit<lb/>
Alters in Deut&#x017F;chland be&#x017F;tand, redlich ver&#x017F;o&#x0364;hnte,<lb/>
und &#x017F;ich bis auf &#x017F;einen Tod aller Revolutionsge¬<lb/>
danken, aller Be&#x017F;&#x017F;erung des Staats, deren Im¬<lb/>
puls von unten aufkam, ent&#x017F;chieden abgeneigt er¬<lb/>
kla&#x0364;rte. <hi rendition="#g">Er</hi> verlangte, &#x017F;elt&#x017F;am genug, von der Ju¬<lb/>
gend, von der neuen Generation, welche den Un¬<lb/>
tergang der a&#x0364;lte&#x017F;ten europa&#x0364;i&#x017F;chen Monarchie und<lb/>
die Siege der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Republik als ein wirk¬<lb/>
lich Erlebtes &#x017F;chon hinter &#x017F;ich &#x017F;ah, <hi rendition="#g">Pieta&#x0364;t</hi> gegen<lb/>
Ge&#x017F;etz, Staat und Fu&#x0364;r&#x017F;ten, <hi rendition="#g">er</hi>, der in &#x017F;einer Ju¬<lb/>
gend die Zeiten des Fau&#x017F;trechts glu&#x0364;cklich geprie&#x017F;en<lb/>
hatte gegen die Zeit des ge&#x017F;etzlich wuchernden<lb/>
Unrechts, in der er geboren und erzogen ward.<lb/>
In &#x017F;einer letzten Zeit &#x017F;chrieb er ein Journal:<lb/>
Kun&#x017F;t und Alterthum betitelt &#x2014; &#x201E;ob er wirklich<lb/>
glaubte,&#x201C; fragt Heine, &#x201E;daß Kun&#x017F;t und Alterthum<lb/>
im Stande waren, Natur und Jugend zuru&#x0364;ckzu¬<lb/>
dra&#x0364;ngen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Allein, meine Herren, welches auch der Grund<lb/>
war, warum Goethe &#x017F;ich von den a&#x0364;ußern Bewe¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0286] motivirt und zum Ueberfluß in dem politiſchen Zuſtand Deutſchlands, in der Unempfaͤnglichkeit der damaligen Deutſchen fuͤr Politik, ihrer ewigen unfruchtbaren Liſtenmacherei, ihrem thatloſen Ge¬ ſchwaͤtz und Geſchreibe, ihrer politiſchen Kanne¬ gießerei, daß Goethe ſich mit dem politiſchen und geſellſchaftlichen Zuſtande, wie er nun einmal ſeit Alters in Deutſchland beſtand, redlich verſoͤhnte, und ſich bis auf ſeinen Tod aller Revolutionsge¬ danken, aller Beſſerung des Staats, deren Im¬ puls von unten aufkam, entſchieden abgeneigt er¬ klaͤrte. Er verlangte, ſeltſam genug, von der Ju¬ gend, von der neuen Generation, welche den Un¬ tergang der aͤlteſten europaͤiſchen Monarchie und die Siege der franzoͤſiſchen Republik als ein wirk¬ lich Erlebtes ſchon hinter ſich ſah, Pietaͤt gegen Geſetz, Staat und Fuͤrſten, er, der in ſeiner Ju¬ gend die Zeiten des Fauſtrechts gluͤcklich geprieſen hatte gegen die Zeit des geſetzlich wuchernden Unrechts, in der er geboren und erzogen ward. In ſeiner letzten Zeit ſchrieb er ein Journal: Kunſt und Alterthum betitelt — „ob er wirklich glaubte,“ fragt Heine, „daß Kunſt und Alterthum im Stande waren, Natur und Jugend zuruͤckzu¬ draͤngen?“ Allein, meine Herren, welches auch der Grund war, warum Goethe ſich von den aͤußern Bewe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/286
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/286>, abgerufen am 02.05.2024.