Rohe und Ehrliche der deutschen Ritterlichkeit in seiner Person vereinigte. Diesen und sein Zeit¬ alter stellte er den Deutschen zur Bewunderung auf und man weiß, wie sehr es ihm gelungen ist, die deutsche Jugend in die kurze Phantasie zu versetzen, als trüge sie noch, wie damals, eiserne Beinschienen und fühlte sich, wie Götz, berufen, die Welt aus geschlossenem Visir zu betrachten. Goethe ließ die Phantasie der Deutschen nicht rasten, er wußte ihnen beständig neuen Stoff aus dem Reich seiner Ideen und Gefühle darzubieten. Alles dies war revolutionairer Natur, stellte sich in Kontrast mit der politischen und moralischen Ordnung, wenn auch unabsichtlich. Eigentlich kann man dasselbe behaupten von Friedrichs Ruhm und Klopstock's Bardenliedern, sie konnten nur durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen Deutschlands entstehen und blühen, Friedrich und Klopstock konnten Deutschland nie entzücken, hätte es nicht thatenlose Langeweile gefühlt. Goethe trug die unzufriedene Begeisterung in alle Gebiete des Geistigen und Sittlichen über. Faust ist ihr Kulminationspunkt und als solchen muß man ihn auffassen, wenn man die Entstehung dieses Ge¬ dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es herauskam, so wenig von der tiefen und ewigen Bedeutung desselben ahnen ließ und erst nach und
17 * *
Rohe und Ehrliche der deutſchen Ritterlichkeit in ſeiner Perſon vereinigte. Dieſen und ſein Zeit¬ alter ſtellte er den Deutſchen zur Bewunderung auf und man weiß, wie ſehr es ihm gelungen iſt, die deutſche Jugend in die kurze Phantaſie zu verſetzen, als truͤge ſie noch, wie damals, eiſerne Beinſchienen und fuͤhlte ſich, wie Goͤtz, berufen, die Welt aus geſchloſſenem Viſir zu betrachten. Goethe ließ die Phantaſie der Deutſchen nicht raſten, er wußte ihnen beſtaͤndig neuen Stoff aus dem Reich ſeiner Ideen und Gefuͤhle darzubieten. Alles dies war revolutionairer Natur, ſtellte ſich in Kontraſt mit der politiſchen und moraliſchen Ordnung, wenn auch unabſichtlich. Eigentlich kann man daſſelbe behaupten von Friedrichs Ruhm und Klopſtock's Bardenliedern, ſie konnten nur durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen Deutſchlands entſtehen und bluͤhen, Friedrich und Klopſtock konnten Deutſchland nie entzuͤcken, haͤtte es nicht thatenloſe Langeweile gefuͤhlt. Goethe trug die unzufriedene Begeiſterung in alle Gebiete des Geiſtigen und Sittlichen uͤber. Fauſt iſt ihr Kulminationspunkt und als ſolchen muß man ihn auffaſſen, wenn man die Entſtehung dieſes Ge¬ dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es herauskam, ſo wenig von der tiefen und ewigen Bedeutung deſſelben ahnen ließ und erſt nach und
17 * *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0279"n="265"/>
Rohe und Ehrliche der deutſchen Ritterlichkeit in<lb/>ſeiner Perſon vereinigte. Dieſen und ſein Zeit¬<lb/>
alter ſtellte er den Deutſchen zur Bewunderung<lb/>
auf und man weiß, wie ſehr es ihm gelungen iſt,<lb/>
die deutſche Jugend in die kurze Phantaſie zu<lb/>
verſetzen, als truͤge ſie noch, wie damals, eiſerne<lb/>
Beinſchienen und fuͤhlte ſich, wie Goͤtz, berufen,<lb/>
die Welt aus geſchloſſenem Viſir zu betrachten.<lb/>
Goethe ließ die Phantaſie der Deutſchen nicht<lb/>
raſten, er wußte ihnen beſtaͤndig neuen Stoff aus<lb/>
dem Reich ſeiner Ideen und Gefuͤhle darzubieten.<lb/>
Alles dies war revolutionairer Natur, ſtellte ſich<lb/>
in Kontraſt mit der politiſchen und moraliſchen<lb/>
Ordnung, wenn auch unabſichtlich. Eigentlich<lb/>
kann man daſſelbe behaupten von Friedrichs Ruhm<lb/>
und Klopſtock's Bardenliedern, ſie konnten nur<lb/>
durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen<lb/>
Deutſchlands entſtehen und bluͤhen, Friedrich und<lb/>
Klopſtock konnten Deutſchland nie entzuͤcken, haͤtte<lb/>
es nicht thatenloſe Langeweile gefuͤhlt. Goethe<lb/>
trug die unzufriedene Begeiſterung in alle Gebiete<lb/>
des Geiſtigen und Sittlichen uͤber. Fauſt iſt ihr<lb/>
Kulminationspunkt und als ſolchen muß man ihn<lb/>
auffaſſen, wenn man die Entſtehung dieſes Ge¬<lb/>
dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es<lb/>
herauskam, ſo wenig von der tiefen und ewigen<lb/>
Bedeutung deſſelben ahnen ließ und erſt nach und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">17 * *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[265/0279]
Rohe und Ehrliche der deutſchen Ritterlichkeit in
ſeiner Perſon vereinigte. Dieſen und ſein Zeit¬
alter ſtellte er den Deutſchen zur Bewunderung
auf und man weiß, wie ſehr es ihm gelungen iſt,
die deutſche Jugend in die kurze Phantaſie zu
verſetzen, als truͤge ſie noch, wie damals, eiſerne
Beinſchienen und fuͤhlte ſich, wie Goͤtz, berufen,
die Welt aus geſchloſſenem Viſir zu betrachten.
Goethe ließ die Phantaſie der Deutſchen nicht
raſten, er wußte ihnen beſtaͤndig neuen Stoff aus
dem Reich ſeiner Ideen und Gefuͤhle darzubieten.
Alles dies war revolutionairer Natur, ſtellte ſich
in Kontraſt mit der politiſchen und moraliſchen
Ordnung, wenn auch unabſichtlich. Eigentlich
kann man daſſelbe behaupten von Friedrichs Ruhm
und Klopſtock's Bardenliedern, ſie konnten nur
durch Nichtachtung und Ueberdruß des damaligen
Deutſchlands entſtehen und bluͤhen, Friedrich und
Klopſtock konnten Deutſchland nie entzuͤcken, haͤtte
es nicht thatenloſe Langeweile gefuͤhlt. Goethe
trug die unzufriedene Begeiſterung in alle Gebiete
des Geiſtigen und Sittlichen uͤber. Fauſt iſt ihr
Kulminationspunkt und als ſolchen muß man ihn
auffaſſen, wenn man die Entſtehung dieſes Ge¬
dichts zu jener Zeit begreifen will, das, wie es
herauskam, ſo wenig von der tiefen und ewigen
Bedeutung deſſelben ahnen ließ und erſt nach und
17 * *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/279>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.