tern empor und überragend blühten zwei mächtige Häupter mit den glänzendsten Lorbeeren. Der Eine von ihnen, Schiller, hat sich sein ganzes Leben hindurch in dieser ideellen Richtung be¬ hauptet. Geht man die schimmernde Reihe seiner Trauerspiele durch, so findet man, die allerersten vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu welcher Zeit dieselben entstanden, oder vor wel¬ chem Publicum dieselben aufgeführt, es sind Kunst¬ dramen oder vielmehr es sind keine Dramen, son¬ dern die Dramatik selbst, von bald abstrakten, bald historischen Personen aufgeführt. Kann man nun wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen Zeit dieselbe ideelle Richtung theilte, sich in Ab¬ straktion und Historie vertiefte und die verflüchtigte Gegenwart und das leere fade Leben nicht darüber anschlug, so mag wohl Schiller eher, denn Goe¬ the, als dramatischer Repräsentant seiner Zeit auf¬ gestellt werden. Allein beobachten wir einen Umstand, eine Verschiedenheit in beiden Produktionen mit gehö¬ riger Schärfe, so sind wir, wie es scheint, nicht auf¬ gelegt, diese Meinung zu bestätigen. Es gibt keine Succession in Schiller's Werken, keine andere, als die immer durchdachter und selbstbewußter wer¬ dende Kunst. Seine Dramen zeigen auf der einen Seite keinen innern Zusammenhang, keine orga¬ nische Einheit, keine durchlebte Geschichte von An¬
tern empor und uͤberragend bluͤhten zwei maͤchtige Haͤupter mit den glaͤnzendſten Lorbeeren. Der Eine von ihnen, Schiller, hat ſich ſein ganzes Leben hindurch in dieſer ideellen Richtung be¬ hauptet. Geht man die ſchimmernde Reihe ſeiner Trauerſpiele durch, ſo findet man, die allererſten vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu welcher Zeit dieſelben entſtanden, oder vor wel¬ chem Publicum dieſelben aufgefuͤhrt, es ſind Kunſt¬ dramen oder vielmehr es ſind keine Dramen, ſon¬ dern die Dramatik ſelbſt, von bald abſtrakten, bald hiſtoriſchen Perſonen aufgefuͤhrt. Kann man nun wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen Zeit dieſelbe ideelle Richtung theilte, ſich in Ab¬ ſtraktion und Hiſtorie vertiefte und die verfluͤchtigte Gegenwart und das leere fade Leben nicht daruͤber anſchlug, ſo mag wohl Schiller eher, denn Goe¬ the, als dramatiſcher Repraͤſentant ſeiner Zeit auf¬ geſtellt werden. Allein beobachten wir einen Umſtand, eine Verſchiedenheit in beiden Produktionen mit gehoͤ¬ riger Schaͤrfe, ſo ſind wir, wie es ſcheint, nicht auf¬ gelegt, dieſe Meinung zu beſtaͤtigen. Es gibt keine Succeſſion in Schiller's Werken, keine andere, als die immer durchdachter und ſelbſtbewußter wer¬ dende Kunſt. Seine Dramen zeigen auf der einen Seite keinen innern Zuſammenhang, keine orga¬ niſche Einheit, keine durchlebte Geſchichte von An¬
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tern empor und uͤberragend bluͤhten zwei maͤchtige
Haͤupter mit den glaͤnzendſten Lorbeeren. Der
Eine von ihnen, Schiller, hat ſich ſein ganzes
Leben hindurch in dieſer ideellen Richtung be¬
hauptet. Geht man die ſchimmernde Reihe ſeiner
Trauerſpiele durch, ſo findet man, die allererſten
vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu
welcher Zeit dieſelben entſtanden, oder vor wel¬
chem Publicum dieſelben aufgefuͤhrt, es ſind Kunſt¬
dramen oder vielmehr es ſind keine Dramen, ſon¬
dern die Dramatik ſelbſt, von bald abſtrakten, bald
hiſtoriſchen Perſonen aufgefuͤhrt. Kann man nun
wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen
Zeit dieſelbe ideelle Richtung theilte, ſich in Ab¬
ſtraktion und Hiſtorie vertiefte und die verfluͤchtigte
Gegenwart und das leere fade Leben nicht daruͤber
anſchlug, ſo mag wohl Schiller eher, denn Goe¬
the, als dramatiſcher Repraͤſentant ſeiner Zeit auf¬
geſtellt werden. Allein beobachten wir einen Umſtand,
eine Verſchiedenheit in beiden Produktionen mit gehoͤ¬
riger Schaͤrfe, ſo ſind wir, wie es ſcheint, nicht auf¬
gelegt, dieſe Meinung zu beſtaͤtigen. Es gibt keine
Succeſſion in Schiller's Werken, keine andere,
als die immer durchdachter und ſelbſtbewußter wer¬
dende Kunſt. Seine Dramen zeigen auf der einen
Seite keinen innern Zuſammenhang, keine orga¬
niſche Einheit, keine durchlebte Geſchichte von An¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/266>, abgerufen am 25.11.2024.
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