dem aufgelöstestem Zustande, es war in seinem politischen Vermögen nach innen und außen para¬ lysirt, ohne Anregung durch Siege oder Niederla¬ gen, die den Blick poetisch zu erweitern im Stande gewesen, in welche Kategorie gewiß der siebenjährige Krieg nicht gehört, wie man an Gleim, Ramler, Kleist, den Dichtern desselben, zur Genüge ersieht. Es war jene Zeit für Deutsch¬ land, in der man durchaus nichts that, nichts thun wollte, in der die Töchter der That, oder der Begeistrung für die That, die Dramen geboren wurden. Zu andern Zeiten und bei andern Na¬ tionen fachte der dramatische Dichter das Feuer seines Genies an durch den frischen begeisternden Athem, der durch die Gegenwart ging, das Volk spielte sein Drama erst selber auf dem Markt, ehe der Dichter es auf die Breter brachte; der Schwung der Gesinnung, die Größe der Ideen und Schick¬ sale lag in der Zeit, nicht nur im Hirn und Bu¬ sen des Dichters. Allein gegen das Ende des 18. Jahrhunderts schien es in Deutschland, als ob die Poesie sich abgelöst hätte von ihrem Stamm, als ob sie ein ideelles Leben für sich beginnen wolle, ohne Gemeinschaft mit dem wirklichen. Ein Jahr¬ hundert, das von Rechtswegen aller Poesie und aller Poeten baar und ledig hätte sein sollen, war poesie- und poetenreich, Dichter schossen an Dich¬
dem aufgeloͤſteſtem Zuſtande, es war in ſeinem politiſchen Vermoͤgen nach innen und außen para¬ lyſirt, ohne Anregung durch Siege oder Niederla¬ gen, die den Blick poetiſch zu erweitern im Stande geweſen, in welche Kategorie gewiß der ſiebenjaͤhrige Krieg nicht gehoͤrt, wie man an Gleim, Ramler, Kleiſt, den Dichtern deſſelben, zur Genuͤge erſieht. Es war jene Zeit fuͤr Deutſch¬ land, in der man durchaus nichts that, nichts thun wollte, in der die Toͤchter der That, oder der Begeiſtrung fuͤr die That, die Dramen geboren wurden. Zu andern Zeiten und bei andern Na¬ tionen fachte der dramatiſche Dichter das Feuer ſeines Genies an durch den friſchen begeiſternden Athem, der durch die Gegenwart ging, das Volk ſpielte ſein Drama erſt ſelber auf dem Markt, ehe der Dichter es auf die Breter brachte; der Schwung der Geſinnung, die Groͤße der Ideen und Schick¬ ſale lag in der Zeit, nicht nur im Hirn und Bu¬ ſen des Dichters. Allein gegen das Ende des 18. Jahrhunderts ſchien es in Deutſchland, als ob die Poeſie ſich abgeloͤſt haͤtte von ihrem Stamm, als ob ſie ein ideelles Leben fuͤr ſich beginnen wolle, ohne Gemeinſchaft mit dem wirklichen. Ein Jahr¬ hundert, das von Rechtswegen aller Poeſie und aller Poeten baar und ledig haͤtte ſein ſollen, war poeſie- und poetenreich, Dichter ſchoſſen an Dich¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0265"n="251"/>
dem aufgeloͤſteſtem Zuſtande, es war in ſeinem<lb/>
politiſchen Vermoͤgen nach innen und außen para¬<lb/>
lyſirt, ohne Anregung durch Siege oder Niederla¬<lb/>
gen, die den Blick <hirendition="#g">poetiſch zu erweitern</hi> im<lb/>
Stande geweſen, in welche Kategorie gewiß der<lb/>ſiebenjaͤhrige Krieg nicht gehoͤrt, wie man an<lb/>
Gleim, Ramler, Kleiſt, den Dichtern deſſelben,<lb/>
zur Genuͤge erſieht. Es war jene Zeit fuͤr Deutſch¬<lb/>
land, in der man durchaus nichts that, nichts<lb/>
thun wollte, in der die Toͤchter der That, oder der<lb/>
Begeiſtrung fuͤr die That, die <hirendition="#g">Dramen</hi> geboren<lb/>
wurden. Zu andern Zeiten und bei andern Na¬<lb/>
tionen fachte der dramatiſche Dichter das Feuer<lb/>ſeines Genies an durch den friſchen begeiſternden<lb/>
Athem, der durch die Gegenwart ging, das Volk<lb/>ſpielte ſein Drama erſt ſelber auf dem Markt, ehe<lb/>
der Dichter es auf die Breter brachte; der Schwung<lb/>
der Geſinnung, die Groͤße der Ideen und Schick¬<lb/>ſale lag in der Zeit, nicht nur im Hirn und Bu¬<lb/>ſen des Dichters. Allein gegen das Ende des 18.<lb/>
Jahrhunderts ſchien es in Deutſchland, als ob die<lb/>
Poeſie ſich abgeloͤſt haͤtte von ihrem Stamm, als<lb/>
ob ſie ein ideelles Leben fuͤr ſich beginnen wolle,<lb/>
ohne Gemeinſchaft mit dem wirklichen. Ein Jahr¬<lb/>
hundert, das von Rechtswegen aller Poeſie und<lb/>
aller Poeten baar und ledig haͤtte ſein ſollen, war<lb/>
poeſie- und poetenreich, Dichter ſchoſſen an Dich¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[251/0265]
dem aufgeloͤſteſtem Zuſtande, es war in ſeinem
politiſchen Vermoͤgen nach innen und außen para¬
lyſirt, ohne Anregung durch Siege oder Niederla¬
gen, die den Blick poetiſch zu erweitern im
Stande geweſen, in welche Kategorie gewiß der
ſiebenjaͤhrige Krieg nicht gehoͤrt, wie man an
Gleim, Ramler, Kleiſt, den Dichtern deſſelben,
zur Genuͤge erſieht. Es war jene Zeit fuͤr Deutſch¬
land, in der man durchaus nichts that, nichts
thun wollte, in der die Toͤchter der That, oder der
Begeiſtrung fuͤr die That, die Dramen geboren
wurden. Zu andern Zeiten und bei andern Na¬
tionen fachte der dramatiſche Dichter das Feuer
ſeines Genies an durch den friſchen begeiſternden
Athem, der durch die Gegenwart ging, das Volk
ſpielte ſein Drama erſt ſelber auf dem Markt, ehe
der Dichter es auf die Breter brachte; der Schwung
der Geſinnung, die Groͤße der Ideen und Schick¬
ſale lag in der Zeit, nicht nur im Hirn und Bu¬
ſen des Dichters. Allein gegen das Ende des 18.
Jahrhunderts ſchien es in Deutſchland, als ob die
Poeſie ſich abgeloͤſt haͤtte von ihrem Stamm, als
ob ſie ein ideelles Leben fuͤr ſich beginnen wolle,
ohne Gemeinſchaft mit dem wirklichen. Ein Jahr¬
hundert, das von Rechtswegen aller Poeſie und
aller Poeten baar und ledig haͤtte ſein ſollen, war
poeſie- und poetenreich, Dichter ſchoſſen an Dich¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/265>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.