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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Ueberhaupt war die Musik der Alten immer
mit Poesie verbunden, selbstständige Instrumental¬
musik war ihnen fremd. Die Ursache liegt nahe.
Ihre Instrumente waren weder vollzählig noch
vollkommen, was ließ sich mit der Harfe, Cither
oder Forminx, mit der Lyra oder Laute, mit der
Tibia oder Hoboe, mit der trompetenartigen Tuba
und mit dem Syrinx der Hirten aufstellen? Erst
in späteren Zeiten, besonders unter Italienern und
Deutschen bildete sich die Musik zur eigentlich dar¬
stellenden Kunst. Vorher war sie nur die Hülle,
das Gewand der Poesie. Jetzt riß sie sich, den
eigenen Kräften vertrauend, von ihr los, jedoch,
wenigstens nicht bei den Deutschen, um sich ganz
von ihr zu trennen, sondern, um sich ihr mit
Freiheit wieder zu nähern. Selbst das Wort
musikalisch ward nun selbstständig gebraucht für
die Kunst der Musik, früher bezeichnete es den
Verein von Poesie und Gesang, von Mimik und
Deklamation, in dem jeder griechische Jüngling
sich ausbilden mußte; in diesem Sinne muß man
immer den musikalischen Unterricht verstehen, wo¬
von Plato, Plutarch und andere griechische Schrift¬
steller so oft sprechen, als von dem wesentlichsten
Bildungsmittel der Jugend, das auf Geist und
Gemüth den unwiderstehlichsten Einfluß ausübe.

Ueberhaupt war die Muſik der Alten immer
mit Poeſie verbunden, ſelbſtſtaͤndige Inſtrumental¬
muſik war ihnen fremd. Die Urſache liegt nahe.
Ihre Inſtrumente waren weder vollzaͤhlig noch
vollkommen, was ließ ſich mit der Harfe, Cither
oder Forminx, mit der Lyra oder Laute, mit der
Tibia oder Hoboe, mit der trompetenartigen Tuba
und mit dem Syrinx der Hirten aufſtellen? Erſt
in ſpaͤteren Zeiten, beſonders unter Italienern und
Deutſchen bildete ſich die Muſik zur eigentlich dar¬
ſtellenden Kunſt. Vorher war ſie nur die Huͤlle,
das Gewand der Poeſie. Jetzt riß ſie ſich, den
eigenen Kraͤften vertrauend, von ihr los, jedoch,
wenigſtens nicht bei den Deutſchen, um ſich ganz
von ihr zu trennen, ſondern, um ſich ihr mit
Freiheit wieder zu naͤhern. Selbſt das Wort
muſikaliſch ward nun ſelbſtſtaͤndig gebraucht fuͤr
die Kunſt der Muſik, fruͤher bezeichnete es den
Verein von Poeſie und Geſang, von Mimik und
Deklamation, in dem jeder griechiſche Juͤngling
ſich ausbilden mußte; in dieſem Sinne muß man
immer den muſikaliſchen Unterricht verſtehen, wo¬
von Plato, Plutarch und andere griechiſche Schrift¬
ſteller ſo oft ſprechen, als von dem weſentlichſten
Bildungsmittel der Jugend, das auf Geiſt und
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[216/0230] Ueberhaupt war die Muſik der Alten immer mit Poeſie verbunden, ſelbſtſtaͤndige Inſtrumental¬ muſik war ihnen fremd. Die Urſache liegt nahe. Ihre Inſtrumente waren weder vollzaͤhlig noch vollkommen, was ließ ſich mit der Harfe, Cither oder Forminx, mit der Lyra oder Laute, mit der Tibia oder Hoboe, mit der trompetenartigen Tuba und mit dem Syrinx der Hirten aufſtellen? Erſt in ſpaͤteren Zeiten, beſonders unter Italienern und Deutſchen bildete ſich die Muſik zur eigentlich dar¬ ſtellenden Kunſt. Vorher war ſie nur die Huͤlle, das Gewand der Poeſie. Jetzt riß ſie ſich, den eigenen Kraͤften vertrauend, von ihr los, jedoch, wenigſtens nicht bei den Deutſchen, um ſich ganz von ihr zu trennen, ſondern, um ſich ihr mit Freiheit wieder zu naͤhern. Selbſt das Wort muſikaliſch ward nun ſelbſtſtaͤndig gebraucht fuͤr die Kunſt der Muſik, fruͤher bezeichnete es den Verein von Poeſie und Geſang, von Mimik und Deklamation, in dem jeder griechiſche Juͤngling ſich ausbilden mußte; in dieſem Sinne muß man immer den muſikaliſchen Unterricht verſtehen, wo¬ von Plato, Plutarch und andere griechiſche Schrift¬ ſteller ſo oft ſprechen, als von dem weſentlichſten Bildungsmittel der Jugend, das auf Geiſt und Gemuͤth den unwiderſtehlichſten Einfluß ausuͤbe.

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/230>, abgerufen am 24.11.2024.