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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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lateinisch-deutschen Gelehrten, unter akademischen
Kathedristen bekannt zu sein, bei seinem Eintritt
ins große Publikum aber, so wie in gegenwärti¬
ger Zeit, von den Gelehrten fast verachtet, von
süßlichen Schöngeistern erniedrigt und in der Mei¬
sten Munde bespöttelt zu werden. Es wäre in
der That sehr zu wünschen, daß der Name und
die ganze Behandlung dessen, was man unter die¬
sem Namen zusammenfaßte, in Deutschland gar
nicht aufgekommen wäre. Das Gefühl des Schö¬
nen ist unter den Deutschen keineswegs so verbrei¬
tet, befestigt und veredelt, daß es geschützt und
sicher genug wäre vor den erkältenden Einflüssen,
womit dasselbe auf der einen Seite von dem höl¬
zernen Scepter der Schulgelehrsamkeit, auf der
andern von dem leichtfertigen Geckenthum des
Gallizismus bedroht wird. Die Aesthetik ist als
Wissenschaft, für Deutschland viel zu früh gekom¬
men. Das Gefühl des Schönen muß sich vor
Allem erst durch das Leben befruchten und bilden,
wenn es in Büchern und Hörsälen würdig darge¬
stellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬
losophie werden soll. Das Schöne selbst aber
schwebt nicht in der Luft, eben so wenig, wie die
Blüthe und das Rosenblalt, es muß befestigt sein
an einem Stamme, es muß Charakter haben und
nichts fehlte zur Zeit, als Baumgarten seine Aesthe¬

lateiniſch-deutſchen Gelehrten, unter akademiſchen
Kathedriſten bekannt zu ſein, bei ſeinem Eintritt
ins große Publikum aber, ſo wie in gegenwaͤrti¬
ger Zeit, von den Gelehrten faſt verachtet, von
ſuͤßlichen Schoͤngeiſtern erniedrigt und in der Mei¬
ſten Munde beſpoͤttelt zu werden. Es waͤre in
der That ſehr zu wuͤnſchen, daß der Name und
die ganze Behandlung deſſen, was man unter die¬
ſem Namen zuſammenfaßte, in Deutſchland gar
nicht aufgekommen waͤre. Das Gefuͤhl des Schoͤ¬
nen iſt unter den Deutſchen keineswegs ſo verbrei¬
tet, befeſtigt und veredelt, daß es geſchuͤtzt und
ſicher genug waͤre vor den erkaͤltenden Einfluͤſſen,
womit daſſelbe auf der einen Seite von dem hoͤl¬
zernen Scepter der Schulgelehrſamkeit, auf der
andern von dem leichtfertigen Geckenthum des
Gallizismus bedroht wird. Die Aeſthetik iſt als
Wiſſenſchaft, fuͤr Deutſchland viel zu fruͤh gekom¬
men. Das Gefuͤhl des Schoͤnen muß ſich vor
Allem erſt durch das Leben befruchten und bilden,
wenn es in Buͤchern und Hoͤrſaͤlen wuͤrdig darge¬
ſtellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬
loſophie werden ſoll. Das Schoͤne ſelbſt aber
ſchwebt nicht in der Luft, eben ſo wenig, wie die
Bluͤthe und das Roſenblalt, es muß befeſtigt ſein
an einem Stamme, es muß Charakter haben und
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[8/0022] lateiniſch-deutſchen Gelehrten, unter akademiſchen Kathedriſten bekannt zu ſein, bei ſeinem Eintritt ins große Publikum aber, ſo wie in gegenwaͤrti¬ ger Zeit, von den Gelehrten faſt verachtet, von ſuͤßlichen Schoͤngeiſtern erniedrigt und in der Mei¬ ſten Munde beſpoͤttelt zu werden. Es waͤre in der That ſehr zu wuͤnſchen, daß der Name und die ganze Behandlung deſſen, was man unter die¬ ſem Namen zuſammenfaßte, in Deutſchland gar nicht aufgekommen waͤre. Das Gefuͤhl des Schoͤ¬ nen iſt unter den Deutſchen keineswegs ſo verbrei¬ tet, befeſtigt und veredelt, daß es geſchuͤtzt und ſicher genug waͤre vor den erkaͤltenden Einfluͤſſen, womit daſſelbe auf der einen Seite von dem hoͤl¬ zernen Scepter der Schulgelehrſamkeit, auf der andern von dem leichtfertigen Geckenthum des Gallizismus bedroht wird. Die Aeſthetik iſt als Wiſſenſchaft, fuͤr Deutſchland viel zu fruͤh gekom¬ men. Das Gefuͤhl des Schoͤnen muß ſich vor Allem erſt durch das Leben befruchten und bilden, wenn es in Buͤchern und Hoͤrſaͤlen wuͤrdig darge¬ ſtellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬ loſophie werden ſoll. Das Schoͤne ſelbſt aber ſchwebt nicht in der Luft, eben ſo wenig, wie die Bluͤthe und das Roſenblalt, es muß befeſtigt ſein an einem Stamme, es muß Charakter haben und nichts fehlte zur Zeit, als Baumgarten ſeine Aeſthe¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/22>, abgerufen am 28.03.2024.