Nur die deutsche Kathedermoral konnte das Ge¬ setz der Schönheit so schnöde verkennen, um das ganze sittliche Leben in ihren dürren Formelkreis bannen zu wollen. Man lege jetzt ihren Kodex auf das Grab ihrer Schreiber und Urheber. Die Zeit hat sich über den Werth der Moralkompen¬ dien hinlänglich aufgeklärt, man wünscht mehr Moral im Leben und weniger auf dem Papier, und man wünscht eine Moral der That, eine Mo¬ ral der Jugend, die, statt uns die Flügel zu be¬ schneiden und unsere Fortschritte zu hemmen, uns beflügelt und zur Ausübung alles Guten und Schönen anleitet. Die Menschheit, das edle Roß, läßt sich nicht länger mehr trainiren, sie ist der Reitschule mit ihren veralteten Künsteleien über¬
Zwoͤlfte Vorleſung.
Nur die deutſche Kathedermoral konnte das Ge¬ ſetz der Schoͤnheit ſo ſchnoͤde verkennen, um das ganze ſittliche Leben in ihren duͤrren Formelkreis bannen zu wollen. Man lege jetzt ihren Kodex auf das Grab ihrer Schreiber und Urheber. Die Zeit hat ſich uͤber den Werth der Moralkompen¬ dien hinlaͤnglich aufgeklaͤrt, man wuͤnſcht mehr Moral im Leben und weniger auf dem Papier, und man wuͤnſcht eine Moral der That, eine Mo¬ ral der Jugend, die, ſtatt uns die Fluͤgel zu be¬ ſchneiden und unſere Fortſchritte zu hemmen, uns befluͤgelt und zur Ausuͤbung alles Guten und Schoͤnen anleitet. Die Menſchheit, das edle Roß, laͤßt ſich nicht laͤnger mehr trainiren, ſie iſt der Reitſchule mit ihren veralteten Kuͤnſteleien uͤber¬
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Zwoͤlfte Vorleſung.
Nur die deutſche Kathedermoral konnte das Ge¬
ſetz der Schoͤnheit ſo ſchnoͤde verkennen, um das
ganze ſittliche Leben in ihren duͤrren Formelkreis
bannen zu wollen. Man lege jetzt ihren Kodex
auf das Grab ihrer Schreiber und Urheber. Die
Zeit hat ſich uͤber den Werth der Moralkompen¬
dien hinlaͤnglich aufgeklaͤrt, man wuͤnſcht mehr
Moral im Leben und weniger auf dem Papier,
und man wuͤnſcht eine Moral der That, eine Mo¬
ral der Jugend, die, ſtatt uns die Fluͤgel zu be¬
ſchneiden und unſere Fortſchritte zu hemmen, uns
befluͤgelt und zur Ausuͤbung alles Guten und
Schoͤnen anleitet. Die Menſchheit, das edle Roß,
laͤßt ſich nicht laͤnger mehr trainiren, ſie iſt der
Reitſchule mit ihren veralteten Kuͤnſteleien uͤber¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/179>, abgerufen am 02.05.2024.
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