gehört dem Gebiete an, woraus sie stammt, dem Gebiet der Schwäche und der Unnatur. Schafft uns ein kräftiges Geschlecht, sprengt die Bande, die den Krafterguß schöner Neigungen und Triebe sündhaft gefesselt halten, befreit die Welt von den Sünden der Schwäche, und dann seht, wie viele Rudera eurer jetzigen Pflichtenlehre sich in der Umgestaltung des Lebens erhalten werden, und um wie Vieles kürzer und bündiger das Kapitel von den Kollisionsfällen zwischen Moral und Trieb aus¬ fallen wird. Aber das ist eben der Haupt- und Grundfehler unserer Moral, nur zu negiren, nur zu verbieten, nur zu vernichten, dagegen sie sich Mühe gibt, alles Treibende und Liebende in uns als das Unmoralische, als das zu Negirende, als das Sündhafte darzustellen.
Sie, der es nicht gelang, auch nur ein ein¬ ziges Gebot der Liebe zu predigen, wollte es mit der Achtung und Ehrfurcht zwingen, die nach ihrer Behauptung jeder Sterbliche dem kategori¬ schen Imperativ schuldig sei. Allein, so groß auch die Zahl ihrer Verehrer war, es fehlte schon früher nicht an Solchen, die den Imperativ grade zu ablehnten, die rechte Lust zur schönen That empfanden, rechten Abscheu vor dem Häßlichen und denen das Schöne und Häßliche in Bezug
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gehoͤrt dem Gebiete an, woraus ſie ſtammt, dem Gebiet der Schwaͤche und der Unnatur. Schafft uns ein kraͤftiges Geſchlecht, ſprengt die Bande, die den Krafterguß ſchoͤner Neigungen und Triebe ſuͤndhaft gefeſſelt halten, befreit die Welt von den Suͤnden der Schwaͤche, und dann ſeht, wie viele Rudera eurer jetzigen Pflichtenlehre ſich in der Umgeſtaltung des Lebens erhalten werden, und um wie Vieles kuͤrzer und buͤndiger das Kapitel von den Kolliſionsfaͤllen zwiſchen Moral und Trieb aus¬ fallen wird. Aber das iſt eben der Haupt- und Grundfehler unſerer Moral, nur zu negiren, nur zu verbieten, nur zu vernichten, dagegen ſie ſich Muͤhe gibt, alles Treibende und Liebende in uns als das Unmoraliſche, als das zu Negirende, als das Suͤndhafte darzuſtellen.
Sie, der es nicht gelang, auch nur ein ein¬ ziges Gebot der Liebe zu predigen, wollte es mit der Achtung und Ehrfurcht zwingen, die nach ihrer Behauptung jeder Sterbliche dem kategori¬ ſchen Imperativ ſchuldig ſei. Allein, ſo groß auch die Zahl ihrer Verehrer war, es fehlte ſchon fruͤher nicht an Solchen, die den Imperativ grade zu ablehnten, die rechte Luſt zur ſchoͤnen That empfanden, rechten Abſcheu vor dem Haͤßlichen und denen das Schoͤne und Haͤßliche in Bezug
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gehoͤrt dem Gebiete an, woraus ſie ſtammt, dem
Gebiet der Schwaͤche und der Unnatur. Schafft
uns ein kraͤftiges Geſchlecht, ſprengt die Bande,
die den Krafterguß ſchoͤner Neigungen und Triebe
ſuͤndhaft gefeſſelt halten, befreit die Welt von den
Suͤnden der Schwaͤche, und dann ſeht, wie viele
Rudera eurer jetzigen Pflichtenlehre ſich in der
Umgeſtaltung des Lebens erhalten werden, und um
wie Vieles kuͤrzer und buͤndiger das Kapitel von
den Kolliſionsfaͤllen zwiſchen Moral und Trieb aus¬
fallen wird. Aber das iſt eben der Haupt- und
Grundfehler unſerer Moral, nur zu negiren, nur
zu verbieten, nur zu vernichten, dagegen ſie ſich
Muͤhe gibt, alles Treibende und Liebende in uns
als das Unmoraliſche, als das zu Negirende, als
das Suͤndhafte darzuſtellen.
Sie, der es nicht gelang, auch nur ein ein¬
ziges Gebot der Liebe zu predigen, wollte es mit
der Achtung und Ehrfurcht zwingen, die nach
ihrer Behauptung jeder Sterbliche dem kategori¬
ſchen Imperativ ſchuldig ſei. Allein, ſo groß
auch die Zahl ihrer Verehrer war, es fehlte ſchon
fruͤher nicht an Solchen, die den Imperativ grade
zu ablehnten, die rechte Luſt zur ſchoͤnen That
empfanden, rechten Abſcheu vor dem Haͤßlichen
und denen das Schoͤne und Haͤßliche in Bezug
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/177>, abgerufen am 22.11.2024.
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