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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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12.
Da sähe man (wiewohl, wenn Engel nicht
Mit stillem blik ihr ebenbild umweben,
Wer sieht sie hier?) mit heiterm angesicht,
Auf dem die sorgen nur wie leichte wölkchen schweben,
Die Königstochter gern sich jeder niedern pflicht
Der kleinen wirtschaft untergeben:
Auch was sie nie gekannt, viel minder je gethan,
Wie schnell ergreift sie es, wie steht ihr alles an!
13.
Oft schürzt sie, ohne mindsten harm
Daß ihre zarte haut den schönen schmelz verliere,
Beym wassertrog, vor ihrer hüttenthüre,
Den schlanken schwanenweißen arm.
Die freud' (ihr süßer lohn) den väterlichen Alten
Und den geliebten Mann in einem stand zu halten,
Der von dem drückendsten der armut sie befreyt,
Veredelt, würdigt ihr des tagwerks niedrigkeit.
14.
Und sieht sie dann (auch Er ist jener Engel einer!)
Der heilge Greis, der von der arbeit kehrt,
Und segnet sie: o dann ist ihre freude reiner
Und inniger, als würd' ihr dreymal mehr verehrt
Als sie zu Bagdad ließ. Wenn dann bey sternenlichte
Die nacht sie alle drey am feuerheerd vereint,
Und auf Amandens lieblichem gesichte,
Das halb im schatten steht, die flamme widerscheint:
15. Dann
12.
Da ſaͤhe man (wiewohl, wenn Engel nicht
Mit ſtillem blik ihr ebenbild umweben,
Wer ſieht ſie hier?) mit heiterm angeſicht,
Auf dem die ſorgen nur wie leichte woͤlkchen ſchweben,
Die Koͤnigstochter gern ſich jeder niedern pflicht
Der kleinen wirtſchaft untergeben:
Auch was ſie nie gekannt, viel minder je gethan,
Wie ſchnell ergreift ſie es, wie ſteht ihr alles an!
13.
Oft ſchuͤrzt ſie, ohne mindſten harm
Daß ihre zarte haut den ſchoͤnen ſchmelz verliere,
Beym waſſertrog, vor ihrer huͤttenthuͤre,
Den ſchlanken ſchwanenweißen arm.
Die freud' (ihr ſuͤßer lohn) den vaͤterlichen Alten
Und den geliebten Mann in einem ſtand zu halten,
Der von dem druͤckendſten der armut ſie befreyt,
Veredelt, wuͤrdigt ihr des tagwerks niedrigkeit.
14.
Und ſieht ſie dann (auch Er iſt jener Engel einer!)
Der heilge Greis, der von der arbeit kehrt,
Und ſegnet ſie: o dann iſt ihre freude reiner
Und inniger, als wuͤrd' ihr dreymal mehr verehrt
Als ſie zu Bagdad ließ. Wenn dann bey ſternenlichte
Die nacht ſie alle drey am feuerheerd vereint,
Und auf Amandens lieblichem geſichte,
Das halb im ſchatten ſteht, die flamme widerſcheint:
15. Dann
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[0212] 12. Da ſaͤhe man (wiewohl, wenn Engel nicht Mit ſtillem blik ihr ebenbild umweben, Wer ſieht ſie hier?) mit heiterm angeſicht, Auf dem die ſorgen nur wie leichte woͤlkchen ſchweben, Die Koͤnigstochter gern ſich jeder niedern pflicht Der kleinen wirtſchaft untergeben: Auch was ſie nie gekannt, viel minder je gethan, Wie ſchnell ergreift ſie es, wie ſteht ihr alles an! 13. Oft ſchuͤrzt ſie, ohne mindſten harm Daß ihre zarte haut den ſchoͤnen ſchmelz verliere, Beym waſſertrog, vor ihrer huͤttenthuͤre, Den ſchlanken ſchwanenweißen arm. Die freud' (ihr ſuͤßer lohn) den vaͤterlichen Alten Und den geliebten Mann in einem ſtand zu halten, Der von dem druͤckendſten der armut ſie befreyt, Veredelt, wuͤrdigt ihr des tagwerks niedrigkeit. 14. Und ſieht ſie dann (auch Er iſt jener Engel einer!) Der heilge Greis, der von der arbeit kehrt, Und ſegnet ſie: o dann iſt ihre freude reiner Und inniger, als wuͤrd' ihr dreymal mehr verehrt Als ſie zu Bagdad ließ. Wenn dann bey ſternenlichte Die nacht ſie alle drey am feuerheerd vereint, Und auf Amandens lieblichem geſichte, Das halb im ſchatten ſteht, die flamme widerſcheint: 15. Dann

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/212>, abgerufen am 21.11.2024.