Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.32. Wie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,Das, ohne hoffnung, nun im offnen meere treibt? Erschöpft ist ihre kraft; besinnen, hören, sehen Verschwand; nur das gefühl von ihrer liebe bleibt. So fest umarmt, als wären sie zusammen. Gewachsen, keines mehr sich seiner selbst bewußt, Doch immer noch im andern athmend, schwammen Sie, mund auf mund, dahin, und brust an brust. 33. Und kannst du, Oberon, sie unbeklagt erbleichen,Du, einst ihr freund, ihr schuz, kannst sie verderben sehn? Du siehst sie, weinst um sie, und läßst dich nicht erweichen? Er wendet sich und flieht -- es ist um sie geschehn! Doch, sorget nicht! der Ring läßt sie nicht untergehn, Sie werden unverlezt den nahen strand erreichen; Sie schüzt der magische geheimnisvolle ring, Den Rezia aus Hüons hand empfieng. 34. Wer diesen ring besizt, das allgewaltge SiegelDes großen Salomons, dem löscht kein Element Das lebenslicht; er geht durch flammen ungebrennt; Schließt ihn ein kerker ein, so springen schloß und riegel, Sobald er sie berührt; und will er von Trident Im Nu zu Memphis seyn, so leyht der ring ihm flügel: Nichts ist was der, der diesen Talisman Besizt und kennt, durch ihn nicht würken kann. 35. Er
32. Wie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,Das, ohne hoffnung, nun im offnen meere treibt? Erſchoͤpft iſt ihre kraft; beſinnen, hoͤren, ſehen Verſchwand; nur das gefuͤhl von ihrer liebe bleibt. So feſt umarmt, als waͤren ſie zuſammen. Gewachſen, keines mehr ſich ſeiner ſelbſt bewußt, Doch immer noch im andern athmend, ſchwammen Sie, mund auf mund, dahin, und bruſt an bruſt. 33. Und kannſt du, Oberon, ſie unbeklagt erbleichen,Du, einſt ihr freund, ihr ſchuz, kannſt ſie verderben ſehn? Du ſiehſt ſie, weinſt um ſie, und laͤßſt dich nicht erweichen? Er wendet ſich und flieht — es iſt um ſie geſchehn! Doch, ſorget nicht! der Ring laͤßt ſie nicht untergehn, Sie werden unverlezt den nahen ſtrand erreichen; Sie ſchuͤzt der magiſche geheimnisvolle ring, Den Rezia aus Huͤons hand empfieng. 34. Wer dieſen ring beſizt, das allgewaltge SiegelDes großen Salomons, dem loͤſcht kein Element Das lebenslicht; er geht durch flammen ungebrennt; Schließt ihn ein kerker ein, ſo ſpringen ſchloß und riegel, Sobald er ſie beruͤhrt; und will er von Trident Im Nu zu Memphis ſeyn, ſo leyht der ring ihm fluͤgel: Nichts iſt was der, der dieſen Talisman Beſizt und kennt, durch ihn nicht wuͤrken kann. 35. Er
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0174"/> <lg n="32"> <head> <hi rendition="#c">32.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">W</hi>ie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,</l><lb/> <l>Das, ohne hoffnung, nun im offnen meere treibt?</l><lb/> <l>Erſchoͤpft iſt ihre kraft; beſinnen, hoͤren, ſehen</l><lb/> <l>Verſchwand; nur das gefuͤhl von ihrer liebe bleibt.</l><lb/> <l>So feſt umarmt, als waͤren ſie zuſammen.</l><lb/> <l>Gewachſen, keines mehr ſich ſeiner ſelbſt bewußt,</l><lb/> <l>Doch immer noch im andern athmend, ſchwammen</l><lb/> <l>Sie, mund auf mund, dahin, und bruſt an bruſt.</l> </lg><lb/> <lg n="33"> <head> <hi rendition="#c">33.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">U</hi>nd kannſt du, Oberon, ſie unbeklagt erbleichen,</l><lb/> <l>Du, einſt ihr freund, ihr ſchuz, kannſt ſie verderben ſehn?</l><lb/> <l>Du ſiehſt ſie, weinſt um ſie, und laͤßſt dich nicht erweichen?</l><lb/> <l>Er wendet ſich und flieht — es iſt um ſie geſchehn!</l><lb/> <l>Doch, ſorget nicht! der Ring laͤßt ſie nicht untergehn,</l><lb/> <l>Sie werden unverlezt den nahen ſtrand erreichen;</l><lb/> <l>Sie ſchuͤzt der magiſche geheimnisvolle ring,</l><lb/> <l>Den Rezia aus Huͤons hand empfieng.</l> </lg><lb/> <lg n="34"> <head> <hi rendition="#c">34.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">W</hi>er dieſen ring beſizt, das allgewaltge Siegel</l><lb/> <l>Des großen Salomons, dem loͤſcht kein Element</l><lb/> <l>Das lebenslicht; er geht durch flammen ungebrennt;</l><lb/> <l>Schließt ihn ein kerker ein, ſo ſpringen ſchloß und riegel,</l><lb/> <l>Sobald er ſie beruͤhrt; und will er von Trident</l><lb/> <l>Im Nu zu Memphis ſeyn, ſo leyht der ring ihm fluͤgel:</l><lb/> <l>Nichts iſt was der, der dieſen Talisman</l><lb/> <l>Beſizt und kennt, durch ihn nicht wuͤrken kann.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">35. Er</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
32.
Wie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,
Das, ohne hoffnung, nun im offnen meere treibt?
Erſchoͤpft iſt ihre kraft; beſinnen, hoͤren, ſehen
Verſchwand; nur das gefuͤhl von ihrer liebe bleibt.
So feſt umarmt, als waͤren ſie zuſammen.
Gewachſen, keines mehr ſich ſeiner ſelbſt bewußt,
Doch immer noch im andern athmend, ſchwammen
Sie, mund auf mund, dahin, und bruſt an bruſt.
33.
Und kannſt du, Oberon, ſie unbeklagt erbleichen,
Du, einſt ihr freund, ihr ſchuz, kannſt ſie verderben ſehn?
Du ſiehſt ſie, weinſt um ſie, und laͤßſt dich nicht erweichen?
Er wendet ſich und flieht — es iſt um ſie geſchehn!
Doch, ſorget nicht! der Ring laͤßt ſie nicht untergehn,
Sie werden unverlezt den nahen ſtrand erreichen;
Sie ſchuͤzt der magiſche geheimnisvolle ring,
Den Rezia aus Huͤons hand empfieng.
34.
Wer dieſen ring beſizt, das allgewaltge Siegel
Des großen Salomons, dem loͤſcht kein Element
Das lebenslicht; er geht durch flammen ungebrennt;
Schließt ihn ein kerker ein, ſo ſpringen ſchloß und riegel,
Sobald er ſie beruͤhrt; und will er von Trident
Im Nu zu Memphis ſeyn, ſo leyht der ring ihm fluͤgel:
Nichts iſt was der, der dieſen Talisman
Beſizt und kennt, durch ihn nicht wuͤrken kann.
35. Er
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/174 |
Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/174>, abgerufen am 16.02.2025. |