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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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39.
Der aufruhr, der den ganzen saal empöret,
Schrekt Rezien aus ihrer träumerey;
Sie schaut bestürzt sich um, was dessen ursach sey,
Und, wie sie sich nach Hüons seite kehret,
Wie wird ihm, da er sie erblikt!
Sie ists, sie ists, ruft er, und läßt entzükt
Den blut'gen stal und seinen turban fallen,
Und wird von ihr erkannt wie seine locken wallen.
40.
Er ists, er ists, rief sie -- allein die schaam
Erstikt den ton in ihrem rosenmunde.
Wie schlug das herz ihr erst, da er geflogen kam,
Im angesicht der ganzen Tafelrunde
Sie liebekühn in seine arme nahm,
Und, da sie glüend bald, bald blaß wie eine Büste,
Sich zwischen lieb' und jungferlichem gram
In seinen armen wand, sie auf die lippen küßte!
41.
Schon hatt' er sie zum zweytenmal geküßt;
Wo aber nun den trauring herbekommen?
Zum glücke, daß der ring an seinem finger ist,
Den er im Eisenthurm dem Riesen abgenommen.
Zwar, wenig noch mit dessen wehrt vertraut,
Schien ihm, dem ansehn nach, der schlechtste kaum geringer;
Doch steckt er ihn aus noth izt an des Fräuleins finger,
Und spricht: so eign' ich dich zu meiner lieben Braut!
42. Er
G 5
39.
Der aufruhr, der den ganzen ſaal empoͤret,
Schrekt Rezien aus ihrer traͤumerey;
Sie ſchaut beſtuͤrzt ſich um, was deſſen urſach ſey,
Und, wie ſie ſich nach Huͤons ſeite kehret,
Wie wird ihm, da er ſie erblikt!
Sie iſts, ſie iſts, ruft er, und laͤßt entzuͤkt
Den blut'gen ſtal und ſeinen turban fallen,
Und wird von ihr erkannt wie ſeine locken wallen.
40.
Er iſts, er iſts, rief ſie — allein die ſchaam
Erſtikt den ton in ihrem roſenmunde.
Wie ſchlug das herz ihr erſt, da er geflogen kam,
Im angeſicht der ganzen Tafelrunde
Sie liebekuͤhn in ſeine arme nahm,
Und, da ſie gluͤend bald, bald blaß wie eine Buͤſte,
Sich zwiſchen lieb' und jungferlichem gram
In ſeinen armen wand, ſie auf die lippen kuͤßte!
41.
Schon hatt' er ſie zum zweytenmal gekuͤßt;
Wo aber nun den trauring herbekommen?
Zum gluͤcke, daß der ring an ſeinem finger iſt,
Den er im Eiſenthurm dem Rieſen abgenommen.
Zwar, wenig noch mit deſſen wehrt vertraut,
Schien ihm, dem anſehn nach, der ſchlechtſte kaum geringer;
Doch ſteckt er ihn aus noth izt an des Fraͤuleins finger,
Und ſpricht: ſo eign' ich dich zu meiner lieben Braut!
42. Er
G 5
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[0111] 39. Der aufruhr, der den ganzen ſaal empoͤret, Schrekt Rezien aus ihrer traͤumerey; Sie ſchaut beſtuͤrzt ſich um, was deſſen urſach ſey, Und, wie ſie ſich nach Huͤons ſeite kehret, Wie wird ihm, da er ſie erblikt! Sie iſts, ſie iſts, ruft er, und laͤßt entzuͤkt Den blut'gen ſtal und ſeinen turban fallen, Und wird von ihr erkannt wie ſeine locken wallen. 40. Er iſts, er iſts, rief ſie — allein die ſchaam Erſtikt den ton in ihrem roſenmunde. Wie ſchlug das herz ihr erſt, da er geflogen kam, Im angeſicht der ganzen Tafelrunde Sie liebekuͤhn in ſeine arme nahm, Und, da ſie gluͤend bald, bald blaß wie eine Buͤſte, Sich zwiſchen lieb' und jungferlichem gram In ſeinen armen wand, ſie auf die lippen kuͤßte! 41. Schon hatt' er ſie zum zweytenmal gekuͤßt; Wo aber nun den trauring herbekommen? Zum gluͤcke, daß der ring an ſeinem finger iſt, Den er im Eiſenthurm dem Rieſen abgenommen. Zwar, wenig noch mit deſſen wehrt vertraut, Schien ihm, dem anſehn nach, der ſchlechtſte kaum geringer; Doch ſteckt er ihn aus noth izt an des Fraͤuleins finger, Und ſpricht: ſo eign' ich dich zu meiner lieben Braut! 42. Er G 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/111>, abgerufen am 21.11.2024.