Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
3.
Nur daß der süßen verbotenen frucht
Euch ja nicht vor der zeit gelüste!
Geduld! der freundlichste wind begünstigt eure flucht,
Zween tage noch, so winkt Hesperiens goldne küste.
O rette, rette sie, getreuer Scherasmin,
Wenn's möglich ist! -- Zu spät! die trunknen seelen hören
Sogar den donner nicht. Unglückliche, wohin
Bringt euch ein augenblick? Kann liebe so bethören?
4.
In welches meer von jammer stürzt sie euch!
Wer wird den zorn des kleinen Halbgotts schmelzen?
Ach! wie sie arm in arm sich auf den wogen welzen!
Noch glücklich durch den trost, zum wenigsten zugleich
Eins an des andern brust zu sinken ins verderben.
Ach! hoft es nicht! zu sehr auf euch erboßt
Versagt euch Oberon sogar den armen trost,
Den armen lezten trost des leidenden, zu sterben!
5.
Zu strengern qualen aufgespart
Seh ich sie hülflos, nackt, am öden ufer irren;
Ihr lager eine kluft, mit einer handvoll dürren
Halbfaulem schilf bestreut, und beeren wilder art,
Die kärglich hier und dort an kahlen hecken schmoren,
All ihre kost! In dieser dringenden noth
Kein hüttenrauch von fern, kein hülfewinkend both,
Die ganze natur zu ihrem fall verschworen!
6. Und
3.
Nur daß der ſuͤßen verbotenen frucht
Euch ja nicht vor der zeit geluͤſte!
Geduld! der freundlichſte wind beguͤnſtigt eure flucht,
Zween tage noch, ſo winkt Heſperiens goldne kuͤſte.
O rette, rette ſie, getreuer Scherasmin,
Wenn's moͤglich iſt! — Zu ſpaͤt! die trunknen ſeelen hoͤren
Sogar den donner nicht. Ungluͤckliche, wohin
Bringt euch ein augenblick? Kann liebe ſo bethoͤren?
4.
In welches meer von jammer ſtuͤrzt ſie euch!
Wer wird den zorn des kleinen Halbgotts ſchmelzen?
Ach! wie ſie arm in arm ſich auf den wogen welzen!
Noch gluͤcklich durch den troſt, zum wenigſten zugleich
Eins an des andern bruſt zu ſinken ins verderben.
Ach! hoft es nicht! zu ſehr auf euch erboßt
Verſagt euch Oberon ſogar den armen troſt,
Den armen lezten troſt des leidenden, zu ſterben!
5.
Zu ſtrengern qualen aufgeſpart
Seh ich ſie huͤlflos, nackt, am oͤden ufer irren;
Ihr lager eine kluft, mit einer handvoll duͤrren
Halbfaulem ſchilf beſtreut, und beeren wilder art,
Die kaͤrglich hier und dort an kahlen hecken ſchmoren,
All ihre koſt! In dieſer dringenden noth
Kein huͤttenrauch von fern, kein huͤlfewinkend both,
Die ganze natur zu ihrem fall verſchworen!
6. Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0010"/>
            <lg n="3">
              <head> <hi rendition="#c">3.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">N</hi>ur daß der &#x017F;u&#x0364;ßen verbotenen frucht</l><lb/>
              <l>Euch ja nicht vor der zeit gelu&#x0364;&#x017F;te!</l><lb/>
              <l>Geduld! der freundlich&#x017F;te wind begu&#x0364;n&#x017F;tigt eure flucht,</l><lb/>
              <l>Zween tage noch, &#x017F;o winkt He&#x017F;periens goldne ku&#x0364;&#x017F;te.</l><lb/>
              <l>O rette, rette &#x017F;ie, getreuer Scherasmin,</l><lb/>
              <l>Wenn's mo&#x0364;glich i&#x017F;t! &#x2014; Zu &#x017F;pa&#x0364;t! die trunknen &#x017F;eelen ho&#x0364;ren</l><lb/>
              <l>Sogar den donner nicht. Unglu&#x0364;ckliche, wohin</l><lb/>
              <l>Bringt euch ein augenblick? Kann liebe &#x017F;o betho&#x0364;ren?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <head> <hi rendition="#c">4.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">I</hi>n welches meer von jammer &#x017F;tu&#x0364;rzt &#x017F;ie euch!</l><lb/>
              <l>Wer wird den zorn des kleinen Halbgotts &#x017F;chmelzen?</l><lb/>
              <l>Ach! wie &#x017F;ie arm in arm &#x017F;ich auf den wogen welzen!</l><lb/>
              <l>Noch glu&#x0364;cklich durch den tro&#x017F;t, zum wenig&#x017F;ten zugleich</l><lb/>
              <l>Eins an des andern bru&#x017F;t zu &#x017F;inken ins verderben.</l><lb/>
              <l>Ach! hoft es nicht! zu &#x017F;ehr auf euch erboßt</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;agt euch Oberon &#x017F;ogar den armen tro&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Den armen lezten tro&#x017F;t des leidenden, zu &#x017F;terben!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <head> <hi rendition="#c">5.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">Z</hi>u &#x017F;trengern qualen aufge&#x017F;part</l><lb/>
              <l>Seh ich &#x017F;ie hu&#x0364;lflos, nackt, am o&#x0364;den ufer irren;</l><lb/>
              <l>Ihr lager eine kluft, mit einer handvoll du&#x0364;rren</l><lb/>
              <l>Halbfaulem &#x017F;chilf be&#x017F;treut, und beeren wilder art,</l><lb/>
              <l>Die ka&#x0364;rglich hier und dort an kahlen hecken &#x017F;chmoren,</l><lb/>
              <l>All ihre ko&#x017F;t! In die&#x017F;er dringenden noth</l><lb/>
              <l>Kein hu&#x0364;ttenrauch von fern, kein hu&#x0364;lfewinkend both,</l><lb/>
              <l>Die ganze natur zu ihrem fall ver&#x017F;chworen!</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">6. Und</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] 3. Nur daß der ſuͤßen verbotenen frucht Euch ja nicht vor der zeit geluͤſte! Geduld! der freundlichſte wind beguͤnſtigt eure flucht, Zween tage noch, ſo winkt Heſperiens goldne kuͤſte. O rette, rette ſie, getreuer Scherasmin, Wenn's moͤglich iſt! — Zu ſpaͤt! die trunknen ſeelen hoͤren Sogar den donner nicht. Ungluͤckliche, wohin Bringt euch ein augenblick? Kann liebe ſo bethoͤren? 4. In welches meer von jammer ſtuͤrzt ſie euch! Wer wird den zorn des kleinen Halbgotts ſchmelzen? Ach! wie ſie arm in arm ſich auf den wogen welzen! Noch gluͤcklich durch den troſt, zum wenigſten zugleich Eins an des andern bruſt zu ſinken ins verderben. Ach! hoft es nicht! zu ſehr auf euch erboßt Verſagt euch Oberon ſogar den armen troſt, Den armen lezten troſt des leidenden, zu ſterben! 5. Zu ſtrengern qualen aufgeſpart Seh ich ſie huͤlflos, nackt, am oͤden ufer irren; Ihr lager eine kluft, mit einer handvoll duͤrren Halbfaulem ſchilf beſtreut, und beeren wilder art, Die kaͤrglich hier und dort an kahlen hecken ſchmoren, All ihre koſt! In dieſer dringenden noth Kein huͤttenrauch von fern, kein huͤlfewinkend both, Die ganze natur zu ihrem fall verſchworen! 6. Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/10
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/10>, abgerufen am 24.11.2024.