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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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15.
Der ärgste feind, der je sich aus der hölle schlich,
Die sterblichen zu necken und zu quälen,
Fuhr in den armen mann, und plagt ihn jämmerlich.
Alt, schwach und blind, wie konnt' er sich verheelen,
Rosette sey, so sehr sie einem Engel glich,
Doch nur ein Weib? Konnt's an versuchern fehlen?
Die welt ist ringsumher von ofnen augen voll,
Und ach! das auge blind, das sie beleuchten soll!
16.
So jung, so schön, aus lauter liebeszunder
Gewebt -- wer kann sie sehn und nicht vor sehnsucht glühn?
Wo sah man je so frische wangen blühn,
Je augen funkelnder und lilienarme runder?
Zwar ist sie tugendhaft; sie wird ja freylich fliehn,
Doch, wenn sie auf der flucht nun glitschte? wär'es wunder?
Der grund worauf sie flieht ist hellgeschlifner stahl,
Und ach! die einmal fällt, die fällt für allemal.
17.
Selbst ihre tugenden, ihr sanft gefällig wesen,
Ihr leichter sinn, stets froh und guter ding,
Was sonst an ihr das liebste ihm gewesen,
Die holde schaam sogar, womit sie ihn umfieng,
Und was ihm sonst von ihren tausend reizen,
Entschleyert und verschönt, sein seelenspiegel weißt,
Das alles hilft izt nur dem argwohn der ihn beißt
Sich in sein wundes herz noch tiefer einzubeizen.
18. Der
15.
Der aͤrgſte feind, der je ſich aus der hoͤlle ſchlich,
Die ſterblichen zu necken und zu quaͤlen,
Fuhr in den armen mann, und plagt ihn jaͤmmerlich.
Alt, ſchwach und blind, wie konnt' er ſich verheelen,
Roſette ſey, ſo ſehr ſie einem Engel glich,
Doch nur ein Weib? Konnt's an verſuchern fehlen?
Die welt iſt ringsumher von ofnen augen voll,
Und ach! das auge blind, das ſie beleuchten ſoll!
16.
So jung, ſo ſchoͤn, aus lauter liebeszunder
Gewebt — wer kann ſie ſehn und nicht vor ſehnſucht gluͤhn?
Wo ſah man je ſo friſche wangen bluͤhn,
Je augen funkelnder und lilienarme runder?
Zwar iſt ſie tugendhaft; ſie wird ja freylich fliehn,
Doch, wenn ſie auf der flucht nun glitſchte? waͤr'es wunder?
Der grund worauf ſie flieht iſt hellgeſchlifner ſtahl,
Und ach! die einmal faͤllt, die faͤllt fuͤr allemal.
17.
Selbſt ihre tugenden, ihr ſanft gefaͤllig weſen,
Ihr leichter ſinn, ſtets froh und guter ding,
Was ſonſt an ihr das liebſte ihm geweſen,
Die holde ſchaam ſogar, womit ſie ihn umfieng,
Und was ihm ſonſt von ihren tauſend reizen,
Entſchleyert und verſchoͤnt, ſein ſeelenſpiegel weißt,
Das alles hilft izt nur dem argwohn der ihn beißt
Sich in ſein wundes herz noch tiefer einzubeizen.
18. Der
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[0144] 15. Der aͤrgſte feind, der je ſich aus der hoͤlle ſchlich, Die ſterblichen zu necken und zu quaͤlen, Fuhr in den armen mann, und plagt ihn jaͤmmerlich. Alt, ſchwach und blind, wie konnt' er ſich verheelen, Roſette ſey, ſo ſehr ſie einem Engel glich, Doch nur ein Weib? Konnt's an verſuchern fehlen? Die welt iſt ringsumher von ofnen augen voll, Und ach! das auge blind, das ſie beleuchten ſoll! 16. So jung, ſo ſchoͤn, aus lauter liebeszunder Gewebt — wer kann ſie ſehn und nicht vor ſehnſucht gluͤhn? Wo ſah man je ſo friſche wangen bluͤhn, Je augen funkelnder und lilienarme runder? Zwar iſt ſie tugendhaft; ſie wird ja freylich fliehn, Doch, wenn ſie auf der flucht nun glitſchte? waͤr'es wunder? Der grund worauf ſie flieht iſt hellgeſchlifner ſtahl, Und ach! die einmal faͤllt, die faͤllt fuͤr allemal. 17. Selbſt ihre tugenden, ihr ſanft gefaͤllig weſen, Ihr leichter ſinn, ſtets froh und guter ding, Was ſonſt an ihr das liebſte ihm geweſen, Die holde ſchaam ſogar, womit ſie ihn umfieng, Und was ihm ſonſt von ihren tauſend reizen, Entſchleyert und verſchoͤnt, ſein ſeelenſpiegel weißt, Das alles hilft izt nur dem argwohn der ihn beißt Sich in ſein wundes herz noch tiefer einzubeizen. 18. Der

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/144>, abgerufen am 27.11.2024.