Wir haben im vierten Buche dieser Geschichte die Absichten entdekt, welche den Sophisten bewogen hat- ten, unsern Helden mit der schönen Danae bekannt zu machen. Der Entwurf war wol ausgesonnen, und hätte, nach den Voraussezungen, die dabey zum Grunde lagen, ohnmöglich mißlingen können, wenn man auf irgend eine Voraussezung Rechnung machen dürfte, so bald sich die Liebe ins Spiel mischt. Dieses mal war es ihm gegangen, wie es gemeiniglich den Projectma- chern geht; er hatte an alles gedacht, nur nicht an den einzigen Fall, der ihm seine Absichten vereitelte. Wie hätte er auch glauben können, daß eine Danae fähig seyn sollte, ihr Herz an einen Platonischen Liebhaber zu verliehren? Ein gleichgültiger Philosoph würde dar- über betroffen gewesen seyn, ohne böse zu werden; aber es giebt sehr wenig gleichgültige Philosophen. Hippias fand sich in seinen Erwartungen betrogen; seine Erwar- tungen gründeten sich auf Schlüsse; seine Schlüsse auf seine Grundsäze, und auf diese das ganze System sei- ner Jdeen, welches (wie man weiß) bey einem Phi- losophen wenigstens die Hälfte seines geliebten Selbsts ausmacht. Wie bätte er nicht böse werden sollen? Seine Eilelkeit fühlte sich beleidiget. Agathon und Danae hat- ten die Gelegenheit dazu gegeben. Er wußte zwar wol, daß sie keine Absicht ihn zu beleidigen dabey gehabt ha- ben konnten; allein darum bekümmert sich kein Hippias. Genug, daß sein Unwille gegründet war; daß er einen Gegenstand haben mußte; und daß ihm nicht zu zu-
muthen
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Achtes Buch, erſtes Capitel.
Wir haben im vierten Buche dieſer Geſchichte die Abſichten entdekt, welche den Sophiſten bewogen hat- ten, unſern Helden mit der ſchoͤnen Danae bekannt zu machen. Der Entwurf war wol ausgeſonnen, und haͤtte, nach den Vorausſezungen, die dabey zum Grunde lagen, ohnmoͤglich mißlingen koͤnnen, wenn man auf irgend eine Vorausſezung Rechnung machen duͤrfte, ſo bald ſich die Liebe ins Spiel miſcht. Dieſes mal war es ihm gegangen, wie es gemeiniglich den Projectma- chern geht; er hatte an alles gedacht, nur nicht an den einzigen Fall, der ihm ſeine Abſichten vereitelte. Wie haͤtte er auch glauben koͤnnen, daß eine Danae faͤhig ſeyn ſollte, ihr Herz an einen Platoniſchen Liebhaber zu verliehren? Ein gleichguͤltiger Philoſoph wuͤrde dar- uͤber betroffen geweſen ſeyn, ohne boͤſe zu werden; aber es giebt ſehr wenig gleichguͤltige Philoſophen. Hippias fand ſich in ſeinen Erwartungen betrogen; ſeine Erwar- tungen gruͤndeten ſich auf Schluͤſſe; ſeine Schluͤſſe auf ſeine Grundſaͤze, und auf dieſe das ganze Syſtem ſei- ner Jdeen, welches (wie man weiß) bey einem Phi- loſophen wenigſtens die Haͤlfte ſeines geliebten Selbſts ausmacht. Wie baͤtte er nicht boͤſe werden ſollen? Seine Eilelkeit fuͤhlte ſich beleidiget. Agathon und Danae hat- ten die Gelegenheit dazu gegeben. Er wußte zwar wol, daß ſie keine Abſicht ihn zu beleidigen dabey gehabt ha- ben konnten; allein darum bekuͤmmert ſich kein Hippias. Genug, daß ſein Unwille gegruͤndet war; daß er einen Gegenſtand haben mußte; und daß ihm nicht zu zu-
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Achtes Buch, erſtes Capitel.
Wir haben im vierten Buche dieſer Geſchichte die
Abſichten entdekt, welche den Sophiſten bewogen hat-
ten, unſern Helden mit der ſchoͤnen Danae bekannt zu
machen. Der Entwurf war wol ausgeſonnen, und
haͤtte, nach den Vorausſezungen, die dabey zum Grunde
lagen, ohnmoͤglich mißlingen koͤnnen, wenn man auf
irgend eine Vorausſezung Rechnung machen duͤrfte, ſo
bald ſich die Liebe ins Spiel miſcht. Dieſes mal war
es ihm gegangen, wie es gemeiniglich den Projectma-
chern geht; er hatte an alles gedacht, nur nicht an den
einzigen Fall, der ihm ſeine Abſichten vereitelte. Wie
haͤtte er auch glauben koͤnnen, daß eine Danae faͤhig
ſeyn ſollte, ihr Herz an einen Platoniſchen Liebhaber
zu verliehren? Ein gleichguͤltiger Philoſoph wuͤrde dar-
uͤber betroffen geweſen ſeyn, ohne boͤſe zu werden; aber
es giebt ſehr wenig gleichguͤltige Philoſophen. Hippias
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tungen gruͤndeten ſich auf Schluͤſſe; ſeine Schluͤſſe auf
ſeine Grundſaͤze, und auf dieſe das ganze Syſtem ſei-
ner Jdeen, welches (wie man weiß) bey einem Phi-
loſophen wenigſtens die Haͤlfte ſeines geliebten Selbſts
ausmacht. Wie baͤtte er nicht boͤſe werden ſollen? Seine
Eilelkeit fuͤhlte ſich beleidiget. Agathon und Danae hat-
ten die Gelegenheit dazu gegeben. Er wußte zwar wol,
daß ſie keine Abſicht ihn zu beleidigen dabey gehabt ha-
ben konnten; allein darum bekuͤmmert ſich kein Hippias.
Genug, daß ſein Unwille gegruͤndet war; daß er einen
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/9>, abgerufen am 24.11.2024.
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