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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, erstes Capitel.
dauerten, kurz eine stete Berauschung von Schwel-
gerey, machten die Beschäftigungen eines Hofes von
thörichten Jünglingen aus, welche nichts angelegeners
hatten, als durch Erfindung neuer Wollüste sich in der
Zuneigung des Prinzen fest zu sezen, und ihn zu gleicher
Zeit zu verhindern, jemals zu sich selbst zu kommen, und
den Abgrund gewahr zu werden, an dessen blumichtem
Rand er in unsinniger Sorglosigkeit herumtanzte.

Man kennt die Staatsverwaltung wollüstiger Prinzen
aus ältern und neuern Beyspielen zu gut, als daß wir
nöthig hätten, uns darüber auszubreiten. Was für eine
Regierung ist von einem jungen Unbesonnenen zu erwar-
ten, dessen Leben ein immerwährendes Bacchanal ist?
Der keine von den grossen Pflichten seines Berufs kennt,
und die Kräfte, die er zu ihrer Erfüllung anstrengen
sollte, bey nächtlichen Schmäusen und in den feilen Ar-
men üppiger Buhlerinnen verzettelt? Der, unbeküm-
mert um das Beste des Staats, seine Privat-Vortheile
selbst so wenig einsieht, daß er das wahre Verdienst,
welches ihm verdächtig ist, hasset, und Belohnungen an
diejenigen verschwendet, die unter der Maske der eyfrig-
sten Ergebenheit und einer gänzlichen Aufopferung, seine
gefährlichsten Feinde sind? Von einem Prinzen, bey
dem die wichtigsten Stellen auf die Empfehlung einer
Tänzerin oder der Sclaven, die ihn aus- und anklei-
den, vergeben werden? Der sich einbildet, daß ein Hof-
schranze, der gut tanzt, ein Nachtessen wol anzuordnen
weiß, und ein überwindendes Talent hat, sich bey den

Weibern
F 4

Neuntes Buch, erſtes Capitel.
dauerten, kurz eine ſtete Berauſchung von Schwel-
gerey, machten die Beſchaͤftigungen eines Hofes von
thoͤrichten Juͤnglingen aus, welche nichts angelegeners
hatten, als durch Erfindung neuer Wolluͤſte ſich in der
Zuneigung des Prinzen feſt zu ſezen, und ihn zu gleicher
Zeit zu verhindern, jemals zu ſich ſelbſt zu kommen, und
den Abgrund gewahr zu werden, an deſſen blumichtem
Rand er in unſinniger Sorgloſigkeit herumtanzte.

Man kennt die Staatsverwaltung wolluͤſtiger Prinzen
aus aͤltern und neuern Beyſpielen zu gut, als daß wir
noͤthig haͤtten, uns daruͤber auszubreiten. Was fuͤr eine
Regierung iſt von einem jungen Unbeſonnenen zu erwar-
ten, deſſen Leben ein immerwaͤhrendes Bacchanal iſt?
Der keine von den groſſen Pflichten ſeines Berufs kennt,
und die Kraͤfte, die er zu ihrer Erfuͤllung anſtrengen
ſollte, bey naͤchtlichen Schmaͤuſen und in den feilen Ar-
men uͤppiger Buhlerinnen verzettelt? Der, unbekuͤm-
mert um das Beſte des Staats, ſeine Privat-Vortheile
ſelbſt ſo wenig einſieht, daß er das wahre Verdienſt,
welches ihm verdaͤchtig iſt, haſſet, und Belohnungen an
diejenigen verſchwendet, die unter der Maske der eyfrig-
ſten Ergebenheit und einer gaͤnzlichen Aufopferung, ſeine
gefaͤhrlichſten Feinde ſind? Von einem Prinzen, bey
dem die wichtigſten Stellen auf die Empfehlung einer
Taͤnzerin oder der Sclaven, die ihn aus- und anklei-
den, vergeben werden? Der ſich einbildet, daß ein Hof-
ſchranze, der gut tanzt, ein Nachteſſen wol anzuordnen
weiß, und ein uͤberwindendes Talent hat, ſich bey den

Weibern
F 4
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[87/0089] Neuntes Buch, erſtes Capitel. dauerten, kurz eine ſtete Berauſchung von Schwel- gerey, machten die Beſchaͤftigungen eines Hofes von thoͤrichten Juͤnglingen aus, welche nichts angelegeners hatten, als durch Erfindung neuer Wolluͤſte ſich in der Zuneigung des Prinzen feſt zu ſezen, und ihn zu gleicher Zeit zu verhindern, jemals zu ſich ſelbſt zu kommen, und den Abgrund gewahr zu werden, an deſſen blumichtem Rand er in unſinniger Sorgloſigkeit herumtanzte. Man kennt die Staatsverwaltung wolluͤſtiger Prinzen aus aͤltern und neuern Beyſpielen zu gut, als daß wir noͤthig haͤtten, uns daruͤber auszubreiten. Was fuͤr eine Regierung iſt von einem jungen Unbeſonnenen zu erwar- ten, deſſen Leben ein immerwaͤhrendes Bacchanal iſt? Der keine von den groſſen Pflichten ſeines Berufs kennt, und die Kraͤfte, die er zu ihrer Erfuͤllung anſtrengen ſollte, bey naͤchtlichen Schmaͤuſen und in den feilen Ar- men uͤppiger Buhlerinnen verzettelt? Der, unbekuͤm- mert um das Beſte des Staats, ſeine Privat-Vortheile ſelbſt ſo wenig einſieht, daß er das wahre Verdienſt, welches ihm verdaͤchtig iſt, haſſet, und Belohnungen an diejenigen verſchwendet, die unter der Maske der eyfrig- ſten Ergebenheit und einer gaͤnzlichen Aufopferung, ſeine gefaͤhrlichſten Feinde ſind? Von einem Prinzen, bey dem die wichtigſten Stellen auf die Empfehlung einer Taͤnzerin oder der Sclaven, die ihn aus- und anklei- den, vergeben werden? Der ſich einbildet, daß ein Hof- ſchranze, der gut tanzt, ein Nachteſſen wol anzuordnen weiß, und ein uͤberwindendes Talent hat, ſich bey den Weibern F 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/89>, abgerufen am 28.03.2024.