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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, erstes Capitel.
an Verdiensten, Ansehen oder Reichthum zu ertragen;
daher immer mit sich selbst im Streit, immer von Par-
teyen und Factionen zerrissen; bis, nach einem lang-
wierigen umwechslenden Uebergang von Freyheit zu
Sclaverey und von Sclaverey zu Freyheit, beyde zu-
lezt die Fesseln der Römer geduldig tragen lernten; und
sich weislich mit der Ehre begnügten, Athen die Schule,
und Syracus die Korn-Kammer dieser Majestätischen
Gebieterin des Erdbodens zu seyn.

Nach einer Reyhe von so genannten Tyrannen, das
ist, von Beherrschern, welche sich der einzelnen und will-
kührlichen Gewalt über den Staat bemächtiget hatten,
ohne auf einen Beruf von den Bürgern zu warten, war
Syracus und ein grosser Theil Siciliens mit ihr end-
lich in die Hände des Dionysius gefallen; uud von die-
sem, nach einer langwierigen Regierung, unter welcher
die Syracusaner gewiesen hatten, was sie zu leiden
fähig seyen, seinem Sohne, dem jüngern Dionysius
erblich angefallen. Das Recht dieses jungen Menschen
an die königliche Gewalt, deren er sich nach seines Vaters
Tod (den er selbst durch einen Schlaftrunk beschleuniget
hatte) anmaßte, war noch weniger als zweydeutig;
denn sein Vater konnte ihm kein Recht hinterlassen,
das er selbst nicht hatte. Aber eine starke Leibwache,
eine wohlbefestigte Citadelle, und eine durch die Be-
raubung der reichesten Sicilianer angefüllte Schazkam-
mer ersezte den Abgang eines Rechts, welches ohnehin
alle seine Stärke von der Macht zieht, die es gelten

machen
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Neuntes Buch, erſtes Capitel.
an Verdienſten, Anſehen oder Reichthum zu ertragen;
daher immer mit ſich ſelbſt im Streit, immer von Par-
teyen und Factionen zerriſſen; bis, nach einem lang-
wierigen umwechſlenden Uebergang von Freyheit zu
Sclaverey und von Sclaverey zu Freyheit, beyde zu-
lezt die Feſſeln der Roͤmer geduldig tragen lernten; und
ſich weislich mit der Ehre begnuͤgten, Athen die Schule,
und Syracus die Korn-Kammer dieſer Majeſtaͤtiſchen
Gebieterin des Erdbodens zu ſeyn.

Nach einer Reyhe von ſo genannten Tyrannen, das
iſt, von Beherrſchern, welche ſich der einzelnen und will-
kuͤhrlichen Gewalt uͤber den Staat bemaͤchtiget hatten,
ohne auf einen Beruf von den Buͤrgern zu warten, war
Syracus und ein groſſer Theil Siciliens mit ihr end-
lich in die Haͤnde des Dionyſius gefallen; uud von die-
ſem, nach einer langwierigen Regierung, unter welcher
die Syracuſaner gewieſen hatten, was ſie zu leiden
faͤhig ſeyen, ſeinem Sohne, dem juͤngern Dionyſius
erblich angefallen. Das Recht dieſes jungen Menſchen
an die koͤnigliche Gewalt, deren er ſich nach ſeines Vaters
Tod (den er ſelbſt durch einen Schlaftrunk beſchleuniget
hatte) anmaßte, war noch weniger als zweydeutig;
denn ſein Vater konnte ihm kein Recht hinterlaſſen,
das er ſelbſt nicht hatte. Aber eine ſtarke Leibwache,
eine wohlbefeſtigte Citadelle, und eine durch die Be-
raubung der reicheſten Sicilianer angefuͤllte Schazkam-
mer erſezte den Abgang eines Rechts, welches ohnehin
alle ſeine Staͤrke von der Macht zieht, die es gelten

machen
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[85/0087] Neuntes Buch, erſtes Capitel. an Verdienſten, Anſehen oder Reichthum zu ertragen; daher immer mit ſich ſelbſt im Streit, immer von Par- teyen und Factionen zerriſſen; bis, nach einem lang- wierigen umwechſlenden Uebergang von Freyheit zu Sclaverey und von Sclaverey zu Freyheit, beyde zu- lezt die Feſſeln der Roͤmer geduldig tragen lernten; und ſich weislich mit der Ehre begnuͤgten, Athen die Schule, und Syracus die Korn-Kammer dieſer Majeſtaͤtiſchen Gebieterin des Erdbodens zu ſeyn. Nach einer Reyhe von ſo genannten Tyrannen, das iſt, von Beherrſchern, welche ſich der einzelnen und will- kuͤhrlichen Gewalt uͤber den Staat bemaͤchtiget hatten, ohne auf einen Beruf von den Buͤrgern zu warten, war Syracus und ein groſſer Theil Siciliens mit ihr end- lich in die Haͤnde des Dionyſius gefallen; uud von die- ſem, nach einer langwierigen Regierung, unter welcher die Syracuſaner gewieſen hatten, was ſie zu leiden faͤhig ſeyen, ſeinem Sohne, dem juͤngern Dionyſius erblich angefallen. Das Recht dieſes jungen Menſchen an die koͤnigliche Gewalt, deren er ſich nach ſeines Vaters Tod (den er ſelbſt durch einen Schlaftrunk beſchleuniget hatte) anmaßte, war noch weniger als zweydeutig; denn ſein Vater konnte ihm kein Recht hinterlaſſen, das er ſelbſt nicht hatte. Aber eine ſtarke Leibwache, eine wohlbefeſtigte Citadelle, und eine durch die Be- raubung der reicheſten Sicilianer angefuͤllte Schazkam- mer erſezte den Abgang eines Rechts, welches ohnehin alle ſeine Staͤrke von der Macht zieht, die es gelten machen F 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/87>, abgerufen am 22.11.2024.