ten Gefühl besteht, euch immer beunruhiget, und so bald er einen besondern Gegenstand bekömmt, die Seele aller eurer übrigen Triebe wird?
Daß wir einen solchen Beweis führen, und was noch ein wenig grausamer ist, daß wir euch die Verbindlich- keit aufdringen könnten, keines dieser anmuthsvollen Geschöpfe, so vollkommer es immer in euern bezauber- ten Augen seyn möchte, eher zu lieben, bis es euch be- fohlen wird, daß ihr sie lieben sollt -- ist eine Sache, die euch nicht unbekannt seyn kan. Aber eben deßwegen, weil es so oft bewiesen wird, können wir es als etwas ausgemachtes voraussezen; und uns däucht, die Frage ist nun allein, wie es anzufangen sey, um euer wider- strebendes Herz für Pflichten gelehrig zu machen, gegen welche ihr tausend scheinbare Einwendungen zu machen glaubt, wenn ihr uns am Ende doch nichts anders ge- sagt habt, als ihr habet keine Lust, sie auszuüben.
Die Auflösung dieser Frage däucht uns die grosse Schwierigkeit, worinn uns die gemeinen Moralisten mit einer Gleichgültigkeit steken lassen, die desto unmensch- licher ist, da wenige unter ihnen sind, welche nicht auf eine oder die andere Art erfahren hätten, daß es nicht so leicht sey einen Feind zu schlagen, als zu beweisen, daß er geschlagen werden solle.
Jndessen
Achtes Buch, viertes Capitel.
ten Gefuͤhl beſteht, euch immer beunruhiget, und ſo bald er einen beſondern Gegenſtand bekoͤmmt, die Seele aller eurer uͤbrigen Triebe wird?
Daß wir einen ſolchen Beweis fuͤhren, und was noch ein wenig grauſamer iſt, daß wir euch die Verbindlich- keit aufdringen koͤnnten, keines dieſer anmuthsvollen Geſchoͤpfe, ſo vollkommer es immer in euern bezauber- ten Augen ſeyn moͤchte, eher zu lieben, bis es euch be- fohlen wird, daß ihr ſie lieben ſollt — iſt eine Sache, die euch nicht unbekannt ſeyn kan. Aber eben deßwegen, weil es ſo oft bewieſen wird, koͤnnen wir es als etwas ausgemachtes vorausſezen; und uns daͤucht, die Frage iſt nun allein, wie es anzufangen ſey, um euer wider- ſtrebendes Herz fuͤr Pflichten gelehrig zu machen, gegen welche ihr tauſend ſcheinbare Einwendungen zu machen glaubt, wenn ihr uns am Ende doch nichts anders ge- ſagt habt, als ihr habet keine Luſt, ſie auszuuͤben.
Die Aufloͤſung dieſer Frage daͤucht uns die groſſe Schwierigkeit, worinn uns die gemeinen Moraliſten mit einer Gleichguͤltigkeit ſteken laſſen, die deſto unmenſch- licher iſt, da wenige unter ihnen ſind, welche nicht auf eine oder die andere Art erfahren haͤtten, daß es nicht ſo leicht ſey einen Feind zu ſchlagen, als zu beweiſen, daß er geſchlagen werden ſolle.
Jndeſſen
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Achtes Buch, viertes Capitel.
ten Gefuͤhl beſteht, euch immer beunruhiget, und ſo
bald er einen beſondern Gegenſtand bekoͤmmt, die Seele
aller eurer uͤbrigen Triebe wird?
Daß wir einen ſolchen Beweis fuͤhren, und was noch
ein wenig grauſamer iſt, daß wir euch die Verbindlich-
keit aufdringen koͤnnten, keines dieſer anmuthsvollen
Geſchoͤpfe, ſo vollkommer es immer in euern bezauber-
ten Augen ſeyn moͤchte, eher zu lieben, bis es euch be-
fohlen wird, daß ihr ſie lieben ſollt — iſt eine Sache,
die euch nicht unbekannt ſeyn kan. Aber eben deßwegen,
weil es ſo oft bewieſen wird, koͤnnen wir es als etwas
ausgemachtes vorausſezen; und uns daͤucht, die Frage
iſt nun allein, wie es anzufangen ſey, um euer wider-
ſtrebendes Herz fuͤr Pflichten gelehrig zu machen, gegen
welche ihr tauſend ſcheinbare Einwendungen zu machen
glaubt, wenn ihr uns am Ende doch nichts anders ge-
ſagt habt, als ihr habet keine Luſt, ſie auszuuͤben.
Die Aufloͤſung dieſer Frage daͤucht uns die groſſe
Schwierigkeit, worinn uns die gemeinen Moraliſten mit
einer Gleichguͤltigkeit ſteken laſſen, die deſto unmenſch-
licher iſt, da wenige unter ihnen ſind, welche nicht auf
eine oder die andere Art erfahren haͤtten, daß es nicht
ſo leicht ſey einen Feind zu ſchlagen, als zu beweiſen,
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/45>, abgerufen am 16.07.2024.
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